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Literatur

Gert Ledig: "Vergeltung"

6. Oktober 2018

Als Gert Ledigs Buch 1956 erschien, wollten die Deutschen von den Gräuel des Krieges nichts mehr wissen. "Vergeltung" erzählt vom Bombardement einer anonymen deutschen Stadt durch ein amerikanisches Geschwader.

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Zweiter Weltkrieg Bombenabwurf durch US-Bomber
Bild: picture-alliance/akg-images

Die Stadt bleibt ungenannt, die Figuren des Romans auch, bis auf den amerikanischen Bomberpiloten Jonathan Strenehen. Er wird abgeschossen und fällt in die Hände der Deutschen. Von Zivilisten wird er grausam misshandelt, woran er stirbt. Dabei hatte er den Bombenhagel absichtlich über einem Friedhof niedergehen lassen, um die Zivilbevölkerung zu schützen.

"Als die erste Bombe fiel, schleuderte der Luftdruck die toten Kinder gegen die Mauer. Sie waren vorgestern in einem Keller erstickt. Man hatte sie auf den Friedhof gelegt, weil ihre Väter an der Front kämpften und man ihre Mütter erst suchen musste. Man fand nur noch eine. Aber die war unter den Trümmern zerquetscht. So sah Vergeltung aus."

"Vergeltung" von Gert Ledig

Da ist dann noch das Ehepaar Cheovski, das ohne ihre in der Schlacht getöteten Söhne nicht mehr leben mag und sich umbringt. Da sind der Bergungstrupp, die Gruppe hungernder Zwangsarbeiter aus Osteuropa, ein kriegsversehrter Leutnant mit dem letzten Aufgebot aus zwangsrekrutierten Gymnasiasten, ein Trupp angetrunkener Soldaten oder auch der Familienvater, der verzweifelt nach Ehefrau und Kind sucht. Schließlich erleben wir die junge Frau, die nach einem Bombeneinschlag im Luftschutzkeller verschüttet und hier von einem älteren Deutschen vergewaltigt wird.

Stilistische Experimente

All das beschreibt ein neutraler Erzähler. Der Autor lenkt den Blick auf wechselnde Motive. Er leuchtet sie - wie in einem Film - aus den verschiedensten Blickwinkeln aus. Dabei schlägt er einen lakonischen, kommentarlos wirkenden Erzählton an. Kurze, stakkatohafte Sätzen treiben das Erzähltempo bis zu kaum erträglicher Atemlosigkeit.

"Er glotzte die Tür an, sah die Tropfen und bekam Durst. Mit herausgestreckter Zunge leckte er am Metall. Sie blieb kleben. Das Wasser war Ölfarbe. Durch die Hitze warf sie Blasen. Sein Mund pappte. Was an seiner Zunge hing, musste er abkratzen. Er nahm die Fingernägel. Dann kroch Jonathan Strenehen davon. Es war sinnlos, dass er vor dieser Tür starb. Sterben konnte er überall."

Ruinen des von Fliegerbomben zerstörten Koblenz 1945
Koblenz nach der Zerstörung durch amerikanische Bomber. Die Aufnahme entstand am 17. März 1945.Bild: Bundesarchiv-146-1970-088-56

Das schockiert und verstört. Aber es zieht unweigerlich in die Geschichten hinein und schafft zugleich moralisierende Distanz.

So kurz nach dem Krieg musste "Vergeltung" wohl floppen. Die Leser im Wirtschaftswunder-Westdeutschland hatten andere Sorgen - und vor allem Hoffnungen. So versank Ledigs zweiter Band seiner Kriegs-Trilogie in der Vergessenheit. In "Stalinorgel" (1955) hatte er zuvor vom Kampf um die Höhe 318 vor Leningrad erzählt. In "Faustrecht" (1957) schilderte er den Überfall deutscher Kriegsheimkehrer auf einen amerikanischen Jeep.

Später literarischer Durchbruch

Erst 1999 kam die Neuauflage von "Vergeltung" und damit auch der Durchbruch. Plötzlich überboten sich die deutschen Feuilletons in Lobeshymnen und maßen Ledigs Werk endlich die verdiente Bedeutung bei - als wichtiges deutsches Anti-Kriegsbuch, das den Krieg nüchtern und ohne Pathos als das beschreibt, was er ist - ein banales Verbrechen.

 

Gert Ledig: "Vergeltung" (1956), Suhrkamp Verlag

Der Autor Robert Gerhard Ledig wurde 1921 in Leipzig geboren und starb 1999 in Landsberg am Lech. Er kämpfte im Zweiten Weltkrieg als Offizier zunächst an der West-, später an der Ostfront, wo er schwer verwundet wurde. Nach dem Krieg ließ er sich zum Schiffbauingenieur ausbilden, begann jedoch nebenher zu schreiben. In seiner Trilogie aus "Die Stalinorgel", "Vergeltung" und "Faustrecht" verarbeitete Ledig Kriegserfahrungen. Doch erst kurz vor dem Tod des Autors fand sein Werk eine späte Würdigung.