Gespannte Ruhe in Donezk
8. Juli 2014Donezk hat sich offenbar in eine besetzte Stadt verwandelt. Plötzlich, innerhalb eines Tages, war die Millionenstadt im ostukrainischen Industrierevier voller bewaffneter Männer in Tarnanzügen. Auf ihnen ist das Emblem der von prorussischen Separatisten ausgerufenen "Volksrepublik Donezk" aufgenäht. Es sind meist junge Männer, die mit Waffe in der Hand durch die Stadt streifen, ihre Handy-Guthaben an Service-Terminals aufladen, Bankgeschäfte erledigen oder in Läden Rasierklingen und Socken kaufen.
Die Bewohner von Donezk verhalten sich ruhig und zurückhaltend. So mancher verlässt aber lieber die Stadt, seitdem sich die Kämpfer der "Volksrepublik" aus den von der ukrainischen Armee befreiten Städten nach Donezk zurückziehen. In sozialen Netzwerken wird berichtet, die prorussischen Separatisten hätten Studentenwohnheime besetzt, die im Sommer leer stünden. Nach Angaben der Behörden ist die Lage in der Stadt "stabil gespannt". Den Bürgern wird geraten, Konflikte mit den Separatisten zu vermeiden. Auch sollten sie keine Orte aufsuchen, an denen sich die bewaffneten Männer versammeln.
"Horden von Kämpfern"
Einer dieser Orte ist die Regionalvertretung des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU. Das Gebäude haben die prorussischen Separatisten in ihre Festung verwandelt. "Da hielten sich schon länger Kämpfer auf. Das ist sozusagen deren Hauptquartier. Doch jetzt sind dort ganze Horden von ihnen", erzählt Ljudmila, die in der Nähe wohnt, gegenüber der Deutschen Welle. Auch die umliegenden Häuser seien besetzt: "Jetzt sind dort viele Autos zu sehen, die vorher nicht da waren". Ljudmila vermutet, dass die Separatisten bei ihrem Rückzug aus der von ukrainischen Soldaten eingenommenen Stadt Slowjansk Menschen Autos einfach weggenommen haben, um mit ihnen nach Donezk zu fahren.
Ljudmila arbeitet als Lehrerin an einer Schule direkt neben dem SBU-Gebäude. Sie befürchtet, dass im Fall von Kampfhandlungen auch ihre Schule unter Beschuss geraten könnte. "Wenn die Schule zerbombt wird, wo soll ich dann arbeiten", klagt sie. Von der Regionalregierung fühlt sie sich im Stich gelassen. Sie habe sich einfach in die Stadt Mariupol zurückgezogen. "Dabei haben sie all das zugelassen. Sie haben für die Kämpfer sogar das Gebäude der Regionalverwaltung geräumt. Und dann sind sie als Erste geflüchtet", so Ljudmila.
Furcht vor Zerstörungen
Aber wird man Donezk wirklich bombardieren? Diese Frage stellen sich heute viele Bürger der Stadt. Denn nachts sind bereits heftige Explosionen zu hören. Es sind Kämpfe mit schwerer Artillerie, die am nahe gelegenen Flughafen und im Dorf Karliwka toben. "Die ukrainische Armee schießt, dass die Erde bebt und Felder brennen", berichtet der DW der Landwirt Andrej. Auch seine Farm in Karliwka wurde von Geschossen getroffen.
Für die jetzige Situation im Lande macht der Bauer den nach Russland geflüchteten ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch verantwortlich, aber auch die Oligarchen. Sie würden die Menschen gegeneinander aufhetzen. Dabei würden sie nur eigene Machtinteressen verfolgen. Da sich die Separatisten nun in Donezk verschanzt hätten, glaubt Andrej nicht, dass es bald Frieden gibt. "Man wird gegen sie mitten in der Stadt kämpfen. Diese Kämpfe werden blutiger und zerstörerischer sein als in den Kleinstädten", befürchtet der Landwirt.
Hoffnung auf friedliche Lösung
Angst vor möglichen Kämpfen ist überall zu spüren, vor allem in den Gesprächen der Menschen. Wie die Spannung in der Stadt steigt, zeigt sich auch an den vielen verbarrikadierten Geschäften sowie den geschlossenen Einrichtungen und Büros. Viele Menschen arbeiten in ihren Wohnungen, um nicht unnötig in die Stadt gehen zu müssen.
Der Gouverneur der Region, Sergej Taruta, der seine Amtsgeschäfte mit seinen Mitarbeitern von der Küstenstadt Mariupol aus erledigt, hofft, dass es nicht zu Kämpfen in Donezk kommt. "Die Kämpfer haben unser Territorium noch nicht verlassen, sie haben nur den Ort gewechselt", so Taruta in der ukrainischen Presse. Er setzt auf Verhandlungen. Ziel müsse es sein, dass die Kämpfer friedlich das Land verlassen. Unterdessen versicherte im ukrainischen Fernsehen der Kommandeur der ukrainischen Nationalgarde, Stepan Poltorak, dass man Donezk nicht bombardieren werde.