Gestatten, erste Bürgermeisterin von Rom
20. Juni 2016Es gibt ein Bild von Virginia Raggi wenige Stunden vor ihrem Wahlsieg am Sonntag. In einer weißen Bluse mit flattrigen Flügelärmeln wirft sie ihren Stimmzettel in die Wahlurne. Dieses Outfit mag zufällig aus dem Kleiderschrank gegriffen sein, man kann es aber auch als bewusste Inszenierung verstehen: Schaut her, ich bin der Rettungsengel, angetreten, um unsere Stadt von dem Schlamassel zu befreien.
Nachdem die 37-Jährige mit großer Mehrheit zur Bürgermeisterin von Rom gewählt wurde, verkündet sie: "Mit uns beginnt eine neue Ära." Sie wolle die Institutionen der Hauptstadt zurück zu "Transparenz und Rechtmäßigkeit" führen. Ihre Wahl bezeichnet Raggi als "historischen Moment". Sie selbst findet es bemerkenswert, es als erste Frau in dieses Amt geschafft zu haben, "in einer Zeit, in der die Chancengleichheit oft nur ein leeres Versprechen ist".
Saubere Bürgersteige statt Olympische Spiele
An vollmundigen Versprechen ihrerseits mangelt es der frisch gewählten Bürgermeisterin nicht. "Wir werden diese Stadt wieder groß machen", kündigte sie im Wahlkampf an. Und zwar mit einer "sanften Revolution". Dazu gehöre es, zunächst einmal schlechte Straßen auszubessern, neue Busfahrstreifen einzurichten, mehr Fahrradwege zu schaffen. Aber auch die Verwaltung aufzuräumen, Korruption und Vetternwirtschaft zu beenden. Eine Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2024 lehnt sie strikt ab. Ob Rom tatsächlich für die Sommerspiele in acht Jahren kandidieren sollte, das will Raggi die Bürger in einem Referendum selbst entscheiden lassen.
Mit ihren Vorhaben, aber wohl auch mit ihrem bürgernahen Ton, hat Raggi offensichtlich den richtigen Nerv getroffen. So bezeichnete sie die Pläne für das 6,4-Milliarden-Projekt Olympia angesichts der enormen Verschuldung der Hauptstadt als "kriminell, wenn Rom unter Verkehr und Schlaglöchern zusammenbricht".
Von der Bürgerin zur Bürgermeisterin
Raggi, die erst vor wenigen Jahren von der Rechtsanwältin zur Politikerin wurde, gibt sich betont bürgernah. Als eine ganz normale Römerin, die sich um die Zukunft ihrer Heimatstadt sorgt, als Mutter, die für ihr Kind ein besseres Umfeld schaffen möchte. Auf ihrer Homepage kann man nachlesen, was sie dazu bewogen hat, in die Politik zu gehen. Als sie ihren kleinen Sohn mit dem Kinderwagen durch die Stadt schiebt, wird ihr klar, wie abgewirtschaftet Rom hinter der Touristenfassade ist: Hundekot auf den Bürgersteigen, Smog, die Straßen voller Schlaglöcher, überfüllte Busse und Bahnen. Sie sieht die Missstände in der Ewigen Stadt und beschließt, dass sich etwas ändern muss. Aus der Rechtsanwältin Raggi wird die Politikerin Raggi.
Zunächst engagiert sie sich in einem Nachbarschaftskomittee. Zusammen mit ihrem Mann, einem Journalisten, gründet sie dann einen Ableger des "Movimento Cinque Stelle", der eurokritischen Fünf-Sterne-Bewegung in ihrem Stadtteil. Und ergattert kurz darauf, nach der Kommunalwahl 2013, einen Sitz im römischen Stadtparlament. Die 2009 vom ehemaligen Star-Kabarettisten Beppe Grillo gegründete Protestinitiative lässt sich weder dem rechten noch dem linken Spektrum zuordnen, sondern präsentiert sich als radikal-provokante Alternative zu den etablierten Parteien.
"Jung, weiblich, frei von der alten Politik"
Kein einziges Wahlplakat von ihr prangte während des Bürgermeisterwahlkampfs in Rom. Mit dem Wortspiel #coraggio, das ihren Namen enthält, machte sie in sozialen Medien Wahlkampf. Coraggio heißt Mut auf Italienisch. Mut ist Teil ihres Programms.
"Alles anders zu machen als die alte Politik, das ist auch ihr Erfolgsrezept", sagt Tommaso Pedicini, Leiter der Italienisch-Redaktion von Funkhaus Europa. Raggi sei "jung, frisch, weiblich und vor allem frei von alten Seilschaften". Diese Mischung habe sie letztlich zur Bürgermeisterin von Rom gemacht. Dabei präsentiert sich die Quereinsteigerin als Gegenentwurf zum etablierten, in Korruption verstrickten Politikertypus. Dabei wirkt Raggi bei ihren Auftritten ruhiger als der polternde Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo.
"Nur 20 Prozent Erfolgschancen"
Virginia Raggi ist ein politischer Neuling. Selbst in Rom kannte sie bis vor wenigen Monaten kaum jemand. Aus Rom wieder eine regierbare Stadt zu machen, ist nun ihre Herausforderung.
Die Anti-Establishment-Partei hofft, mit Raggi als ihrer neuen Gallionsfigur, nun endlich auch echte Regierungstauglichkeit attestiert zu bekommen. Das Projekt Rom könnte somit zum Lackmustest für die nächste italienische Parlamentswahl werden.
Der Erfolgsdruck für die politische Quereinsteigerin Raggi dürfte also groß sein, schätzen Beobachter."Ich habe meine Zweifel, dass Raggi nun wie mit einem Zauberstab der langen Korruption und schlechten Politik in Rom ein Ende setzen kann", meint Italien-Experte Pedicini - selbst wenn Raggi es noch so ernst mit ihren Wahlversprechen meint. Die Hauptstadt Rom ist eben keine Insel, die mit dem Rest des politischen Italien nichts am Hut hat. Pedicini gibt der neuen Bürgermeisterin Raggi daher nur 20 Prozent Erfolgschancen. Aber immerhin: Sollte sie eines Tages tatsächlich scheitern, so hätte sie dann wenigstens den Mut, das offen zuzugeben.