Renzi schaut in den Abgrund
20. Juni 2016Kurz vor der zweiten Runde der Kommunalwahlen hatte Ministerpräsident Matteo Renzi noch versucht, die Bedeutung des Urnengangs herunterzuspielen. Das sei keine Testwahl für seine sozialdemokratisch-konservative Koalition, sondern lediglich eine Angelegenheit von lokaler Bedeutung.
Die Sicht der Medien und vieler Italiener war allerdings eine andere: Für Römer, Turiner, Mailänder und Neapolitaner war klar, dass ihre Stimme für oder gegen einen Bürgermeisterkandidaten auch über das Schicksal des umtriebigen Chefs der sozialdemokratischen Partei (PD) und Regierungschefs entscheiden könnte. Zumindest vorentscheiden. Denn der wirkliche Test kommt im Oktober.
Dann will Renzi das parlamentarische System in Italien grundlegend neu ordnen und dafür die Verfassung ändern. Das Volk kann direkt darüber entscheiden - in einem Referendum. Und das kann für die Regierenden, wie man zur Zeit in Großbritannien beobachten kann, große Risiken bergen. Die Italiener werden nicht nur über die Entmachtung der zweiten Parlamentskammer befinden, sondern über Matteo Renzi selbst. Er hat seine politische Zukunft mit dem Ausgang des Referendums verbunden. Ein Vertrauensfrage. Hat er das Vertrauen noch?
Prostestbewegung trimuphiert
Die "Grillini", die Anhänger des Fundamental-Oppositionellen Beppe Grillo, sagen klar: Nein. "Die Kommunalwahl war nur die Vorspeise für eine nationale Regierung", triumphierte am Sonntagabend bei der Wahlparty der Grillini ein führendes Mitglied der Bewegung Fünf Sterne (Cinque Stelle). Einen historischen Sieg bejubelte Beppo Grillo: "Jetzt ändert sich alles." Die Fünf-Sterne-Kandidatin Virginia Raggi holte den Bürgermeisterposten in Rom mit sattem Vorsprung.
Auch in Turin vertrauten die Wählerinnen und Wähler der Bewegung des ehemaligen Komikers mehr als den alteingesessenen politischen Lagern. In Mailand und Bologna konnte Renzis sozialdemokratische Partei gewinnen. Hätte er Mailand, das wirtschaftliche Herz Italiens, an das rechts-nationale Bündnis aus Lega Nord und Silvio Berlusconi verloren, hätte er wohl gehen müssen.
Haussegen in Renzis Partei hängt schief
Die Wahlschlappe besonders in Rom, wo im vergangenen Herbst ein Sozialdemokrat nach Korruptionsskandalen aufgeben musste, spaltet die PD weiter. Sie ist in mindestens drei Flügel zerfallen. Besonders die Linken um den ehemaligen Kommunisten Massimo D'Alema wollen Matteo Renzi, den eher pragmatischen sozialliberalen Reformer, so schnell wie möglich loswerden. 2014 konnte Matteo Renzi die Europawahl noch mit 41 Prozent klar gewinnen. Davon ist er im Moment weit entfernt. Die Grillini sind ihm auf den Fersen und liegen bei Meinungsumfragen national auf dem zweiten Platz. Die zerstrittenen Konservativen und Rechtspopulisten liegen abgeschlagen dahinter. Teile von ihnen regieren aber mit Matteo Renzi in einer schwierigen Koalition.
Renzi selbst darf von seinen eigenen Parteifreunden, die über Alternativen zum smarten Chef nachdenken, kein Mitleid erwarten. Denn Matteo Renzi, der ehemalige Bürgermeister von Florenz, hat die Macht nicht durch Wahlen erobert, sondern seinen Vorgänger Enrico Letta 2014 an der Parteispitze weggeputscht und so dessen Amt als Regierungschef übernommen. Dieses Schicksal könnte ihm nun auch drohen.
It's the economy, stupid
Matteo Renzi hat eine Reihe von Reformen im verkrusteten Italien angestoßen. Die Reform des Wahlrechts, die Neugliederung des Parlaments, eine Neuordnung der Justiz und die umstrittene Arbeitsmarktreform sind nur einige Beispiele. Der überaus dynamisch wirkende Renzi versprach den Italienern für jeden Monat eine neue Reform. Dieses Tempo hat er zwar nicht durchgehalten, aber seine Landsleute wohl doch eher verschreckt als beeindruckt.
Das größte Problem für die Regierung ist aber, dass die Wirtschaft nur ganz leicht wächst, die Arbeitslosigkeit zwar langsam zurückgeht, aber vor allem bei jungen Italienern immer noch viel zu hoch ist. Die Zahl der "working poor" wächst, also der Menschen, die trotz Arbeitsstelle nur äußerst mühsam über die Runden kommen.
Die anhaltende Frustration über die wirtschaftliche Lage spielt den Grillini in die Hände. Sie geißeln die Reformen, Schuld haben die EU und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem angeblichen Spar-Diktat. Außer populistischen Forderungen nach einem Grundeinkommen und einem Austritt aus der Euro-Währungsunion hat die Bewegung Fünf Sterne nicht viel zu bieten. Beppe Grillo wettert in seinem Blog und in seltener werdenden öffentlichen Auftritten gegen alles und jeden, gegen die da oben und gegen die da in Rom, gegen die EU und das Kapital. Da ist für jeden etwas dabei. Populismus par excellance, diesmal eben von links.
Ohne Plan, aber mit Leidenschaft
Vor allem junge Italiener, die keinen festen Job finden und sich keine eigene Wohnung leisten können, sind von den alten Parteien so frustiert, dass sie bei den Grillini ihr Kreuz machen. Ein bisschen Lust an Revolte und Chaos ist dabei. Die Überzeugung "Schlimmer kann es eh nicht mehr werden" spielt eine Rolle. Rationale Argumente werden gerne zur Seite geschoben.
Die Zinsen, die das überschuldete Italien für seine Staatsanleihen auszahlen muss, "Il spread", hält Beppe Grillo für ein Folterinstrument, das sich die Finanzmärkte, Brüssel und die böse Bundeskanzlerin in Berlin ausgedacht haben. Das Geld, das Italien brauche, um Schulden zu tilgen oder zu investieren, könne man doch selber drucken, so sein Rezept.
Über den Sommer, in dem im politischen Italien normalerweise eher Ruhe und Stillstand herrscht, muss Matteo Renzi jetzt versuchen, die Argumente der Grillini zu entkräften und die Stimmung zu seinen Gunsten zu drehen. Er hat bereits in der Vergangenheit mehr Spielraum für neue Schulden bei der EU-Kommission angemahnt und deutsche Bevormundung kritisiert.
Er nimmt die Stimmung im Lande durchaus auf. Gelingt es ihm nicht, mit dieser Taktik mehr Wähler an sich zu binden, wird es im Oktober beim Referendum sehr eng für ihn. Die sozialdemokratischen Wahlkampf-Strategen hoffen, dass im Oktober - anders als bei den Kommunalwahlen - mehr als nur die Hälfte der Wähler an die Urnen geht. Sie wollen die schweigende Mehrheit der Nicht-Wähler mobilisieren.
Augen auf Brexit und Spanien
Auswirkungen könnten auch politische Ereignisse in anderen europäischen Ländern haben: Sollten die Briten für einen Austritt aus der EU stimmen, bedeutet das weiteren Gegenwind für Renzi. Wenn die Populisten auf den Inseln triumphieren, werden die Populisten in Italien gerne auf den Zug aufspringen.
Am Sonntag wählt auch noch Spanien. Dort könnten die Links-Populisten von Podemos, mit den Grillini durchaus geistig verwandt, vormachen, wie man bei nationalen Wahlen ordentlich zulegt und vielleicht an die Macht kommt.