Tatverdächtiger sollte abgeschoben werden
21. Dezember 2016Der nach dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin bundesweit gesuchte tatverdächtige Tunesier sollte eigentlich bereits aus Deutschland abgeschoben werden. Sein Asylantrag sei im Sommer abgelehnt worden, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger in Düsseldorf. Er habe aber nicht abgeschoben werden können, "weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte" und Tunesien zunächst bestritten habe, dass er Bürger des Landes sei.
Abschiebung bislang an Tunesien gescheitert
Die Abschiebung sei wegen fehlender Passersatzdokumente aus Tunesien gescheitert. "Die tunesischen Behörden haben diese heute überstellt", sagte Jäger und ergänzte: "Ich will diesen Umstand nicht weiter kommentieren." Laut dem Minister hielt sich der Verdächtige seit Februar vor allem in Berlin auf. Er sei aber zuletzt auch "kurz" in Nordrhein-Westfalen gewesen. Die vorgesehene Abschiebung habe auf Grundlage einer Verwaltungsabsprache die Ausländerbehörde in Kleve betrieben.
Gegen den Tatverdächtigen des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Berlin wurde bereits wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ermittelt. Das Landeskriminalamt von Nordrhein-Westfalen habe ein entsprechendes Verfahren gegen den Mann initiiert, so Jäger weiter. Die Ermittlungen dazu seien in Berlin geführt worden. Dort habe der Verdächtige seit Februar 2016 seinen Lebensmittelpunkt gehabt und sei nach heutigem Kenntnisstand zuletzt nur kurz in Nordrhein-Westfalen gewesen. Die Sicherheitsbehörden hätten ihre Erkenntnisse über ihn im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum ausgetauscht, zuletzt im November 2016.
Jäger bestätigte laufende "Maßnahmen", wollte zu den Einzelheiten der Fahndung aber keine Angaben machen, um diese nicht zu gefährden. Der Gesuchte solle gefasst und befragt werden.
De Maizière: Es wird weiter in alle Richtungen ermittelt
"Es ist ein Verdächtiger, nicht zwingend der Täter", hatte zuvor Bundesinnenminister Thomas de Maizière betont. Es werde nach wie vor in alle Richtungen ermittelt und es würden alle Spuren verfolgt. Der neue Tatverdächtige ist den Ermittlern auf hoher Ebene spätestens seit November bekannt. Er sei damals Gegenstand einer Sitzung des gemeinsamen Terrorabwehrzentrums (GTAZ) von Bund und Ländern gewesen, berichtet die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Der Mann habe sich wechselweise in Nordrhein-Westfalen und in Berlin aufgehalten und mit zahlreichen Identitäten gearbeitet.
Der Mann gelte als Gefährder. Er sei eingebettet in ein großes Islamisten-Netzwerk. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte auf Nachfrage, die Behörde äußere sich nicht zum aktuellen Ermittlungsstand.
Nach übereinstimmenden Medienberichten wurde im Lastwagen des Attentäters ein Ausweisdokument gefunden. Dabei soll es sich offenbar um eine Duldungsbescheinigung handeln. Das ausländerrechtliche Dokument wurde demnach im Kreis Kleve in Nordrhein-Westfalen ausgestellt.
Mehr als 500 Hinweise
Nach dem tödlichen Attentat auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz läuft die Fahndung nach dem Angreifer ohnehin auf Hochtouren. Die Polizei hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 500 Hinweise erhalten. Das BKA-Portal, über das Zeugen Fotos und Videos vom Tatort hochladen können, war für rund zweieinhalb Stunden nicht erreichbar. Der Grund war offenbar ein Hackerangriff.
Neben Zeugenaussagen werten die Ermittler DNA-Spuren und Fingerabdrücke aus. Mit Daten des Satellitensystems GPS vom Tatabend werde nach dem Handy des Täters gesucht, sagte der Vorsitzende des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz. Auf dieser Basis könne ein Bewegungsbild erstellt werden. "Wir haben viele Möglichkeiten, um die Person auch zu finden." Demensprechend zeigte sich Schulz "relativ zuversichtlich, dass wir vielleicht schon morgen oder in naher Zukunft einen neuen Tatverdächtigen präsentieren können."
Auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche nahe des Kurfürstendamms waren am Montag elf Menschen getötet und 45 weitere zum Teil schwer verletzt worden, als ein Lkw in die Menge raste. Außerdem wurde ein Pole tot in dem Lastwagen gefunden, vermutlich der ursprüngliche Fahrer. Inzwischen beanspruchte die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) die Tat für sich.
IS bekennt sich
Allerdings ist bisher nicht geklärt, ob wirklich eine so weit verzweigte Organisation hinter dem Anschlag steht oder der Täter auf eigene Faust handelte. Der IS hatte über sein Sprachrohr Amak verbreitet, der Angriff sei eine Reaktion auf Aufrufe gewesen, die Bürger von Staaten der Anti-Terror-Koalition anzugreifen. Sollte sich bestätigen, dass der IS hinter der Tat steht, wäre es der erste islamistische Anschlag mit einer Vielzahl von Todesopfern in Deutschland.
Die Ermittler müssen auch deshalb neu ansetzen, weil sich eine erste Spur als falsch erwies. Ein festgenommener Flüchtling aus Pakistan wurde wieder freigelassen. Gegen ihn bestehe kein dringender Tatverdacht mehr, teilte die Bundesanwaltschaft mit.
rb/kle/fab (dpa, afp, rtre)