Glasfaser revolutioniert die Erdbebenforschung
3. Juli 2018Eine zitternde Nadel fährt ganz langsam über eine Papierrolle. Fährt ein Lastkraftwagen in der Nähe vorbei, werden die Ausschlägen stärker. Tritt ein Erdbeben auf oder zündet jemand eine unterirdische Atombombe, schlägt der Zeiger deutlich stärker aus und registriert die Stärke und Dauer des Ereignisses. So funktionieren seit Jahrhunderten Seismographen.
Mittlerweile werden die Daten von Seismometern erfasst, die keine Papierrolle mehr haben. Per Computer werden sie weltweit in Sekundenschnelle zusammengeführt und von Erdbebenforschern ausgewertet.
Doch eine Schwäche haben diese Geräte: Sie stehen üblicherweise in großem Abstand zueinander über unseren Globus verteilt – oft hunderte Kilometer auseinander. Ort und Stärke eines Bebens müssen aus den Aufzeichnungen der nächstgelegenen Seismometers rekonstruiert werden. Dabei kann es zu Ungenauigkeiten kommen. Nicht selten schätzen verschiedene geologische Dienste die Stärke eines gemessenen Bebens unterschiedlich ein.
Alle vier Meter ein Seismometer
Nun hat ein internationales Team um Philippe Jousset und Thomas Reinsch vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) einen neuen Ansatz entwickelt, um Erschütterungen zu messen - und zwar mit herkömmlichen Glasfaser-Datenleitungen.
Auf der isländischen Halbinsel Reykjanes schickten sie Laser-Lichtimpulse durch einen Strang eines 15 Kilometer langen Datenübertragungskabels, das dort seit langem der Telekommunikation dient.
Dieses Kabel führt über eine Bruchzone zwischen der Amerikanischen und der Eurasischen Kontinentalplatte. Um Vergleichsdaten zu gewinnen, hatten die Forscher in der Umgebung zudem ein dichtes Netz von Seismometern installiert.
Das Ergebnis überraschte die Forscher: "Unsere Messungen per Glasfaserkabel bildeten den Untergrund weitaus genauer als je zuvor ab". So genau als sei alle vier Meter ein Seismometer installiert, berichtete Jousset.
Und wie funktioniert das?
"Beim Herstellen der Glasfasern verbleiben Inhomogenitäten im Kabel", erklärt die an der Arbeit beteiligte Geophysikerin Charlotte Krawczyk gegenüber der Deutschen Welle. "Diese Störungen machen wir uns zu Nutze. Denn an diesen Punkten wird Licht zurückgeworfen, wenn wir einen Laserimpuls hineinschicken", so Krawczyk. Solche Streupunkte sind in der Glasfaser überall verteilt. Ändert sich die Länge der Glasfaser während eines Bebens, verändert sich auch die Lage der Streuzentren zueinander. Und diese winzigen Unterschiede können die Seismologen messen.
Die Daten aus der Glasfasermethode enthüllten sogar weitere Bruchzonen sowie langsame Bodenverformungen, die mehrere Minuten andauerten - mit herkömmlichen Seismometern ist so etwas nicht möglich.
Mehr dazu: Seismologe: "Italien muss häufig mit mittelschweren Beben rechnen"
Ganz neu ist die Methode nicht. In Bohrlöchern setzen Physiker bereits seit Jahren Glasfaserkabel zur Überwachung der Ölförderung ein, sagt Krawczyk. Dennoch könnte sie die Geoforschung völlig umkrempeln.
Denn weltweit gibt es Netze unterirdisch und unterseeisch verlegter Glasfaserkabel von Telekommunikationsunternehmen. Die Geophysikerin schätzt, dass es mit der neuen Methode möglich sein könnte, bis zu 50 Kilometer weit in ein Kabel hineinzuschauen.
Gerade in Ballungsräumen, die von Erdbeben stark bedroht sind, wie San Francisco, Istanbul, Mexico City oder Tokio könnte so eine Fülle hochpräziser Daten gewonnen werden. Aber auch in entlegenen Regionen gibt es zahlreiche Kommunikationskabel, auch hier könnte die Glasfaser-Methode angewendet werden.
Kostengünstig ist die Technik zudem. Um die Messungen durchzuführen benötigen die Geophysiker lediglich einen Faserstrang in einem riesigen Kabel. Neben den Erdbebendaten könnten auch Veränderungen des Wasserdrucks - etwa durch Wellenbewegungen bei Stürmen - durch Glasfaserkabel detektiert werden.
Ein flächendeckender Einsatz dieser Methode wird sicher nicht über Nacht kommen. Die Technik könnte sich aber mittelfristig bei Erdbebenwarten weltweit durchsetzen, hofft Krawczyk, "das wäre für uns ein Traum!"