Italien - das Land der mittelschweren Beben
31. Oktober 2016Deutsche Welle: Herr Parolai, wenn man sich Erdbeben weltweit anschaut, fällt auf, dass die Erdbeben in Italien in diesem Jahr zwar sehr große Schäden angerichtet haben, sie auf der Richterskala aber gar nicht so stark zu sein schienen - sie lagen zwischen 5,9 und 6,5. Dafür waren es viele Beben und auch sehr viele recht starke Nachbeben. Gibt es etwas Besonderes an der Geologie des Apennin-Gebirges, was dazu führt?
Stefano Parolai: Man kann sagen, dass wir im Zentral- und Nordapennin häufigere Erdbebenereignisse haben - im Vergleich zum südlichen Apennin etwa. Aber die Stärke der Beben ist etwas geringer.
Historisch gab es auch noch einige etwas stärkere Beben - etwa 1703 [in der Nähe von L' Aquila] mit einer Stärke von geschätzt etwa 6,9. Natürlich sind das historische Daten. Damals gab es keine Seismometer. Man muss also vorsichtig sein, wenn es um die Schätzung der Magnitude geht.
Für die Region ist es charakteristisch, dass wir uns in einer Dehnungszone befinden. Wenn ein Erdbeben stattfindet, liegt das an einem Bruch in einem Teil eines komplexen Grabensystems mit einer bestimmten Ausdehnung. Und diese Ausdehnung ist typisch für die Stärke des Bebens. Es ist also keine größere Struktur, die bricht, sondern wir haben hingegen viele Gräben, die einander beeinflussen.
Also wäre dies ein Unterschied, etwa zum St. Andreas Graben in Kalifornien, wo die Erdbeben auch Stärke 8 und mehr erreichen können?
Die Situation ist ganz anders: In Italien ist es eine Dehnungszone, während in Kalifornien die nordamerikanische und pazifische Platte entgegengesetzt aneinander entlang driften.
Im Zentrum des Apennins wird das Material eher auseinandergerissen. So kommt es zu den Frakturen, die dann Erdbeben generieren. Und das führt auch dazu, dass sich die Erdbeben voneinander unterscheiden - in Stärke und Häufigkeit.
Das ist auch nochmal anders, wenn man in die großen Subduktionszonen Südamerikas oder Japans schaut. Dort schiebt sich eine Platte unter die andere.
Wirkt sich das dann im Apennin eher so aus wie Dominosteine: Einer kippt um, und löst den nächsten aus?
Wenn ein Erdbeben stattfindet, wird die Spannung durch das Erdbeben in der näheren Erdkruste weiterverteilt. Das kann dann entweder zu Nachbeben führen, von denen wir seit August sehr viele gesehen haben. Aber es kann eben auch dazu führen, dass es weitere richtige Erdbebenereignisse gibt, mit einer ähnlichen Stärke wie das erste Beben - oder sogar noch stärker.
Anfangs kann man nur raten, was da geschieht. Ein detaillierteres Bild, was eigentlich passiert und wie diese unterschiedlichen Strukturen möglicherweise interagieren, werden wir erst in den kommenden Wochen bekommen können, wenn die Analyse der Daten vervollständigt wird.
Könnte man also annehmen, dass mit einem sehr viel stärkeren Erdbeben für diese Region dann eher nicht zu rechnen ist?
Es ist schwierig zu sagen, was dort ein richtig großes Erdbeben bedeuten würde. Historische Aufzeichnungen zeigen uns, dass es auch etwas stärkere Ereignisse gegeben hat. Und es ist sehr schwierig zu sagen, ob das Maximum dessen erreicht ist, was wir erwarten dürfen oder nicht.
Aber wir können sicher sagen, dass derartige Ereignisse häufig in der Vergangenheit vorgekommen sind und leider auch immer wieder vorkommen werden.
Oft gibt es ja bei Erdbeben auch ein historisch zu beobachtendes Muster, wo es sich längere ruhige Phase mit Phasen abwechseln in denen es häufigere Erdbeben gibt. Das erklärt man dadurch, dass nach einem oder mehreren großen Beben die Spannung in der Erdkruste geringer ist, und sie sich erst wieder neu aufbauen muss. Trifft das auch für den Apennin zu?
Es ist ein sehr vereinfachtes Modell, dass davon ausgeht, dass Spannung aufgebaut wird - dann gibt es ein Erdbeben, die Spannung wird weiter verteilt, es gibt Nachbeben und danach dauert es einige Zeit, bis sich die Spannung wieder aufbaut....
Die Wirklichkeit sieht aber hier etwas komplizierter aus: Die Spannung wird nämlich in einer Umgebung weiter verteilt, wo es bereits viele Brüche gibt. Es ist also die Interaktion zwischen den verschiedenen Grabensystemen und dem Spannungsfeld in der Erdkruste, das natürlich dann weitere Erdbebenereignisse auslöst.
Viele der Häuser, die jetzt eingestürzt sind, waren ja historische Gebäude. Warum sind sie nicht schon bei früheren Beben eingestürzt?
Viele sind gar nicht so alt. Sie sind nur historisch in dem Sinne, dass sie spezifisch für eine ländliche Architektur stehen. Aber viele stammen noch aus dem letzten Jahrhundert und haben noch nicht so ein starkes Erdbeben überstanden.
Ich war mit Kollegen des Geoforschungszentrums Potsdam nach dem August-Erdbeben in der Region und wir haben eine Methode zur schnellen Schadensabschätzung erprobt. Und uns ist aufgefallen, dass viele der Gebäude nicht sehr erdbebensicher gestaltet waren. Das ist wohl der eigentliche Grund, weshalb so viele zerstört wurden.
Hinzu kommt, dass sich die Epizentren der Erdbeben nur ein wenig nach Norden verschoben haben. Viele Gebäude, die schon im August etwas beschädigt worden waren, sind so noch einmal getroffen worden. Insofern war es ein Glück, dass einige dieser Gebäude schon als einsturzgefährdet gesperrt worden waren, bevor das zweite und dritte Beben passierten - so gab es weniger Verletzte.
Stefano Parolai ist Seismologe am Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). Im Rahmen seiner Forschungsarbeit hat er mit anderen GFZ-Kollegen nach August 2016 den Ort Amatrice besucht, um dort Schadensanalysemodelle zu erproben. Der Forscher stammt selbst aus dem norditalienischen Ligurien, wo es auch häufig zu Erdbeben kommt.
Das Interview führte Fabian Schmidt.