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"Keine EU-weiten Trends"

Christoph Hasselbach27. Mai 2014

Im einen Land werden die extremen Parteien stärker, im anderen schwächer. Ähnlich unterschiedlich: die Wahlbeteiligung. Die Europawahl werde nach wie vor national entschieden, sagt der Politikwissenschaftler Klaus Goetz.

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Ein Wähler wirft seinen Stimmzettel in die Urne für die Europawahl. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Goetz, die Europawahl bietet bisher ein sehr gemischtes Bild. Extreme rechte und linke Parteien und Europafeinde legen in manchen Staaten deutlich zu, etwa UKIP in Großbritannien oder die Freiheitlichen in Österreich. Woanders schneiden sie dagegen schlechter ab als erwartet, zum Beispiel die Partei für die Freiheit in den Niederlanden. Wie erklären Sie sich das?

Goetz: Ich denke, das uneinheitliche Bild ergibt sich in erster Linie daraus, dass die Europawahl trotz der Aufstellung von Spitzenkandidaten nach wie vor im jeweiligen Kontext des individuellen Mitgliedslandes verstanden werden muss. Es gibt keine europaweiten Trends, es gibt keine europaweiten Parteien, es gibt auch nicht so etwas wie ein europäisches Parteiensystem. Und deshalb ist es auch nicht überraschend, dass wir in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten ganz unterschiedliche Trends sehen.

Klaus H. Goetz Uni München
Prof. Klaus H. GoetzBild: privat

Bei der Wahlbeteiligung ist es ähnlich. Hier sind offenbar die Werte vor allem im Süden und Osten sehr schwach, und in einigen wichtigen Staaten wie Deutschland und Frankreich geht der Trend wieder nach oben. Hat das dieselben Gründe?

In den kleinen Mitgliedsstaaten sind die Wähler besonders schwer zu mobilisieren, weil die Wähler dort wissen, es geht vielleicht um sechs oder acht Sitze in einem sehr großen Parlament. Das heißt, es ist klar, dass für die kleinen Länder mit dieser Wahlentscheidung im Parlament keine großen Änderungen verbunden sind. Was Deutschland betrifft, ist es insbesondere den Sozialdemokraten, die beim letzten Mal sehr stark unter der Wahlenthaltung ihrer Kernklientel gelitten haben, diesmal wieder besser gelungen, ihr Wählerpotenzial auszuschöpfen.

Liegt der relativ gute Wert für die Sozialdemokraten in Deutschland auch am Spitzenkandidaten Martin Schulz?

Das hat auf jeden Fall nicht geschadet. Die Spitzenkandidatur hat natürlich auch viel mediale Aufmerksamkeit in Deutschland auf Schulz gelenkt. Wenn man sich anschaut, wie viel mediale Aufmerksamkeit Schulz hatte und wie viel Herr McAllister, dann hat sicherlich die Sozialdemokratie davon profitiert, dass ihr deutscher Spitzenkandidat gleichzeitig als Spitzenkandidat für das Amt des Kommissionspräsident präsentiert wurde.

Wie schätzen Sie allgemein das Auftreten der Spitzenkandidaten ein. Hat das die Wahl wirklich interessanter und relevanter für die Bürger gemacht, so wie es gedacht war?

Ich denke, in Deutschland in gewissem Umfang schon. Dadurch, dass Schulz der Spitzenkandidat der deutschen Sozialdemokratie war. Und dadurch, dass der EVP-Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker durch seine Deutschkenntnisse auch im deutschen Wahlkampf zumindest in einigen Fernsehsendungen präsent war. Wenn wir aber zum Beispiel nach Frankreich schauen, wenn wir nach Großbritannien schauen, nach Spanien oder Italien, dann haben diese Spitzenkandidaten so gut wie keine Rolle gespielt.

Es werden in jedem Fall sehr viel mehr Euroskeptiker ins Parlament einziehen. Wie wird sich die Europapolitik dadurch verändern?

Der Effekt wird sein, dass die beiden großen Parteien noch enger zusammenrücken. Wenn die Ränder stärker werden, wird die Mitte näher zusammenrücken müssen. Und wir werden das insbesondere in den nächsten Tagen beobachten können, wenn darüber entschieden werden muss, wer soll mit welcher Mehrheit zum Kommissionspräsidenten gewählt werden. Das kann eigentlich nur klappen, wenn sich die Sozialdemokraten und die Europäische Volkspartei auf einen Kandidaten einigen.

Prof. Dr. Klaus H. Goetz hat den Lehrstuhl für Politische Systeme und Europäische Integration am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität in München inne.