Grütters: Deutscher Film im Ausland beliebt
18. Mai 2015DW: Welcher deutsche Film hat Sie in letzter Zeit am meisten beeindruckt?
Monika Grütters: Da gibt es zwei Filme: "Im Labyrinth des Schweigens", in dem Gert Voss den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer spielt. Der hat Ende der 50er Jahre die junge Bundesrepublik Deutschland aufgeweckt und dann den Beginn der Auschwitz-Prozesse Anfang der 60er Jahre in Gang gesetzt, die der ganz große Startschuss zur ehrlichen Aufarbeitung unserer Nazi-Vergangenheit waren. Der Film hat mich wahnsinnig beeindruckt - nicht nur, weil Gert Voss als Fritz Bauer überzeugte - auch der junge Generalstaatsanwalt, die Begegnung mit Auschwitz-Opfern, mit Juden, die plötzlich wieder in Deutschland lebten und sich nicht zu artikulieren wagten. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, um zu verstehen, warum wir heute sind, wie wir sind und wie mühsam der Weg dahin war.
Der zweite Film, der ganz hervorragend war, war "Victoria". Der Film, beruht auf einem Experiment: Er ist ohne einen einzigen Schnitt gedreht worden. Ein Roadmovie in der nächtlichen Stadt Berlin, wo ein paar Jugendliche in einen Kriminalfall verwickelt werden - und leider geht‘s nicht gut aus. Noch dazu gab es ein Streetcasting, es wurde also nicht nur mit Profi-Schauspielern gedreht. Der Film ist mit wahnsinnigem Erfolg auf der Berlinale gelaufen. Er startet im Juli in den Kinos in Deutschland und Frankreich. Und ich bin sicher: Das Experiment hat sich gelohnt.
Deutsche Geschichte verkauft sich im Ausland immer am besten. Welche Themen bearbeitet das deutsche Kino gerade, die für das Ausland interessant sein könnten?
70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs arbeiten wir nochmal wieder stark an dieser Geschichte. Wir versuchen aber auch mit der zweiten Diktatur, der SED-Diktatur, der Aufarbeitung unserer Teilung Deutschlands und der wiedergewonnenen Einheit klarzukommen. Auch das ist deshalb schwierig, weil es ja immer noch sehr viele Zeitzeugen gibt, die dieses Erleben schlecht gegen das heutige alltägliche Dasein in der Bundesrepublik in Beziehung setzen können. Ich glaube, das sind wichtige Filme und sie interessieren Viele, weil man sich das nicht vorstellen kann, wie man in dieser Zeit im geteilten Deutschland gelebt hat - wenn man nach drüben gucken konnte, sich Sehnsüchte entwickelt haben, aber auch ein Trotz.
Was ich mir wünsche, ist aber auch, dass wir heute unser gutes Leben in Deutschland genießen können. Wir haben ja einige ganz schöne Komödien. Das ist ein neuer Stil, der international Beachtung findet. Nicht nur "Fack ju Göhte" - auch so ein leicht melancholisch-komödiantisch gemachter Film wie "Honig im Kopf", wo es um Demenzkranke geht.
Wie wichtig ist der Markt in Cannes, auch wenn kein deutscher Film im Wettbewerb läuft?
Cannes ist das wichtigste Filmfestival der Welt. Hier werden nicht nur Filme verkauft, Rechte verwertet und der Vertrieb der Filme angekurbelt, sondern man sieht sich natürlich die Filme der Kollegen aus anderen Ländern an. Cannes ist aber dicht gefolgt von Berlin. Auch der Filmmarkt in Berlin hat inzwischen den Filmmarkt in Los Angeles nach hinten auf Platz drei verdrängt. Das ermutigt uns. Ich glaube, dass wir Deutschen sehr, sehr gut im internationalen Filmgeschehen positioniert sind.
Zweitens gibt es ja auch die junge Generation von Filmemachern, die vor allem durch ihre Kurzfilme auffallen. Ich liebe die sehr und ich glaube, es lohnt sich, die stark zu unterstützen. Die haben natürlich längst die internationale Plattform für sich entdeckt und warten nicht darauf, dass sie in Deutschland gefördert und dann nach hierhin nach Cannes bugsiert werden, sondern die kommen selbst her. Mit dem "Short Tiger", der Auszeichnung für Kurzfilme junger Debütanten zeigen wir natürlich auch, dass uns diese Gruppe wichtig ist. [Die Short Tiger-Gewinnerfilme werden von der Filmförderungsanstalt (FFA) und German films prämiert und sind Teil des Kurzfilmprogramms "Next Generation Short Tiger 2015", das im Rahmen des Filmfestivals in Cannes stattfindet, Anm. d. Red.]
Die Berlinale wurde mit einem Film einer Regisseurin eröffnet. Auch das Festival in Cannes startete mit dem Film einer Regisseurin. Drängen inzwischen immer mehr Frauen ins Filmgeschäft?
Inzwischen sind ungefähr die Hälfte der Studierenden weiblich, das heißt wir könnten ein ausgewogenes Verhältnis von eher weiblich dominierten Filmen gegenüber männlichen haben - aber das ist nicht der Fall. Relativ gesehen, sind weniger Regisseurinnen mit ihren guten Filmen vertreten, als die männlichen Kollegen. Die Frage, woran das liegen könnte, beschäftigt uns. Ich glaube, ein paar Stellschrauben kann man schon drehen. In manchen Gremien sitzen signifikant weniger Frauen. Da kann man natürlich ein bisschen nachjustieren. Interessant ist aber zu fragen: Wie kommen noch mehr Künstlerinnen zu ihrem wohlverdienten Recht?
Brauchen wir eine Frauenquote für Regisseurinnen?
Ich glaube, wir sollten da sehr vorsichtig sein mit der Forderung nach Quoten, weil da spielt man immer Quote und Qualität gegeneinander aus. Und das wollen die Frauen natürlich auch nicht, das ist auch nicht nötig. Wir müssen einfach ein bisschen mehr Sensibilität für diese Ausgewogenheit entwickeln. Und das passiert allein schon durch die Debatte darum. Da, wo wir eingreifen können, zum Beispiel bei Gremienbesetzung, werden wir das sehr zügig tun.
Das Interview führte Hans Christoph von Bock am Rande des Filmfestivals in Cannes.