Ansporn für ein neues Europa
7. September 2017In einem sind sich der griechische Linke und der Franzose der selbsterklärten Mitte sehr ähnlich: im ganz großen Auftritt. In der Suche nach der perfekten Dramaturgie. Präsident Emmanuel Macron, heißt es aus der Athener Delegation, habe sich monatelang daran festgebissen, auf der Pnyx sprechen zu dürfen. Am Rande sei dem geneigten Leser verraten, nicht einmal Obama ist dies gelungen. Auch er musste sich am Ende mit dem griechischen Parlament begnügen. Keine Option für Macron.
Die eindringliche Warnung, dort oben auf dem Hügel im Anschnitt vor der Akropolis könne seine Sicherheit nicht gewährleistet werden, war dem Präsidenten augenscheinlich egal. Entweder ganz große Kino oder gar nicht. Regieanweisung kamen auch vom Präsidenten höchstpersönlich, heißt es aus griechischen Kreisen. Emmanuel Macron wollte den neuen Ton Europas vor einer beleuchteten Akropolis im Dunkeln anklingen lassen, daher marschierten Regierungsdelegationen und Journalisten erst zur späten Stunde auf den Hügel über Athen.
Doch auch Tsipras genießt die schmeichelnde Kulisse sichtlich. Einmal nicht als der abgewatschte Schuljunge da zustehen, der sein Taschengeld nicht im Griff hat. Nein, diese Bilder heute Abend sprechen eine andere Sprache. Der griechische Ministerpräsident steht in der Abendsonne, unter ihm die Stadt Athen, im Rücken die Akropolis, Zirkaden säumen den Weg. Es ist ein stolzes Bild und Alexis Tsipras weiß es zu nutzen.
Tsipras ist Absprachen in Europas Hinterzimmern satt
In einer gut halbstündigen Rede redet er Europa ins Gewissen. Es ist keine Abrechnung, vielmehr ein Ansporn. Ein Ansporn für Europa. Kern seiner Forderung: Mehr Demokratie in Europa. Damit meint er mitnichten mehr Infostände in Europas Fußgängerzonen sondern Demokratie im Herzen der EU. Sprich in Brüssel. Man sieht Tsipras förmlich an - wie er da im Abendlicht auf dem Hügel der Pnyx steht, so wie einst die alten Griechen - wie sehr Ermahnung und Zurechtweisung in Brüssel vor jedermann seine tiefen Spuren hinterlassen haben. "Europa darf niemals wieder ein Europa der Hinterzimmer sein", warnt der Linke dann auch eindringlich. Niemals wieder dürften ein paar Staaten über das Wohl und Weh eines anderen EU-Staates entscheiden ohne Kontrolle.
Das ist das Detail, das auch im radikalen Umbau der Eurozone Macrons wiederzufinden ist: Tsipras fordert zusammen mit seinem französischen Kollegen eine parlamentarische Kontrolle über die Eurozone. Nicht nur ein eigenes Budget und einen eigenen Euro-Finanzminister. Um der gegenwärtigen Vertrauenskrise zu entkommen, so der französisch-griechische Vorschlag, soll eine eigene Kammer geschaffen werden: Abgeordnete aller Euro-Staaten, so Alexis Tsipras, könnten so "auf transparente und nachvollziehbare Weise" wegweisende Entscheidungen für die Währungsgruppe fällen. Ohne politische Arroganz und Nachtsitzungen weniger Wichtiger, so Tsipras Forderung. Beide, der griechische Ministerpräsident und der französische Präsident wollen die demokratische Unwucht in Europa passé wissen. Tsipras aus eigener Erfahrung, Macron aus Überzeugung. Europa, so zieht Frankreichs Präsident denn auch den Schluss, sei in rund zehn Jahren von einer Finanzkrise in eine Vertrauenskrise geschlittert, die schließlich, gedrängt von ungebremster Krisenpolitik, in einer undemokratischen Hinterzimmer-Politik "entartet" sei, so Macron wörtlich.
Europa muss Vertrauen seiner Bürger wiedergewinnen
Die akute Krise sei überwunden, bilanziert Tsipras, Europa müsse nun an einem radikalen Neuentwurf arbeiten. "Eine EU die still steht, kann niemanden für sich gewinnen, niemanden begeistern."
Nur ein soziales Europa könne ein Europa der Zukunft sein, könne der Jugend etwas bieten. Hier bestätigt Emmanuel Macron seinen linken Amtskollegen. Neben den Reformen innerhalb der Eurozone entwerfen Frankreich und Griechenland ein Europa mit bundesstaatlichen Elementen, wie etwa neben einem eigenen Eurofinanzminister einen Minister für Soziales um zumindest ein Minimum an sozialer Kohäsion innerhalb der EU zu schaffen.
Bereits 2005, so Macron, hätte die EU-Politik einen arroganten Fehler begangen, nicht auf die Zweifel der Bürger zu hören. Ein Europa, das beschützt, ist der rote Faden, der sich auch hier vor der Akropolis durch Macrons Rede spinnt. Ein Weitermachen wie bisher, stellt er in seiner Athener Rede klar, ist keine Option. Reformen seien dafür notwendig, denn die EU sei nicht auf der Höhe gewesen, ihre Krisen allein zu meistern. Diese Unfähigkeit habe Europas Glaubwürdigkeit schwer beschädigt um schließlich in Europahass umzuschlagen. Man dürfe deshalb, so der Präsident wörtlich, die Kritik an Europa nicht denen überlassen, die Europa "loswerden wollen". Nicht den politischen Extremen überlassen, nicht den Terroristen. "Gönnt ihnen nichts", so Frankreichs Präsident mit Nachdruck.
Griechenland und Frankreich wollen wieder mehr Gemeinsamkeit
Mehr Europa. Mehr Souveränität, mehr Demokratie und Vertrauen, auch unter den einzelnen Mitgliedsstaaten. "Vor lauter Animositäten sei den Europäern der Blick aufs große Ganze verloren gegangen", so Frankreichs Präsident.
Tsipras Rede ist dennoch nicht frei von Spitzen gegen Deutschland. Verlorenes Vertrauen können nur wieder aufkeimen, wenn die EU nicht Gleiche unter Gleichen dulde, so der Grieche. Es könne nicht sein, dass manche große Staaten ihr Defizit überschreiten und dies nicht einmal mit weichem Bleichstift notiert werde, so Tsipras zornig. "Wir haben in der EU harte Regeln, aber die müssen für alle gelten", fordert er ein.
Doch richtiger Zorn ist es nicht. Das Wohlgefallen ob des gelungenen Schulterschluss von Griechenland und Frankreich überwiegt an diesem Abend. Ihre beiden Staaten, so Tsipras, seien "eng verbunden als Fackelträger der Demokratie und Menschenrechte". Ganz großes Kino eben.