Unerwartet starke Urlaubssaison in Griechenland
10. November 2021Endlich können Amalia Delakis und Sohn Dimitris verschnaufen. Die vergangenen Monate waren für ihren Autoverleih in Kretas Hafenstadt Chania unerwartet betriebsam: Griechenlands Mittelmeerinseln, und damit auch Kreta, erlebten einen veritablen Besucherboom und in der Folge war die Nachfrage nach Leihwagen enorm. Insgesamt konnte sich Griechenlands Tourismusbranche über umsatzstarke Monate freuen.
"Letztes Jahr war sehr schwierig und viele kleine Unternehmen wussten nicht, ob sie überleben würden", sagt Amalia im Gespräch mit der DW. Davon kann 2021 keine Rede sein. "Dieses Jahr kamen alle [Touristen] gleichzeitig: Im Juli, August, September und bis in den Oktober hinein. Viele Autovermieter hatten nicht genügend Fahrzeuge, um dem plötzlichen Besucherandrang gerecht zu werden."
Die Delakis vermuten, dass besonders viele Touristen auf Leihwagen gesetzt haben, um angesichts der Corona-Pandemie nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen zu sein. Hinzu kommt, dass andere sonst sehr populäre Urlaubsländer wie die Türkei, die USA und Thailand für Reisende bisher weitgehend unzugänglich waren. Davon, so glaubt sie, hat Griechenland profitiert.
Die Sommer- und Herbstmonate haben viele Erwartungen übertroffen. Und das, obwohl Waldbrände nahe Athen und auf den Inseln Evia und Rhodos im August nicht wenige potenzielle Urlauber von einem Besuch abgeschreckt haben dürften.
Allein in den Monaten Juli und August reisten mehr als zwei Millionen Gäste nach Griechenland - mehr als in jedes andere europäische Land. Im September reichten die Besucherzahlen sogar fast an das Niveau von 2019 heran, so Tourismusminister Vassilis Kikilias im Radiosender SKAI. Das ausgegebene Ziel, mindestens halb so viele Touristen in das Land zu locken wie 2019, wurde erreicht.
"Griechenlands Tourismusbranche hat die Initiative ergriffen, so wie auch im Vorjahr", erklärte Kikilias bei SKAI. "Große Anstrengungen wurden in dieser Pandemie unternommen, diese Erfolge gehen zurück auf das Engagement der Hotelbetreiber, des Transportgewerbes, der Tourismusbranche, der Airlines und der Fremdenführer." Darüber hinaus lobte Minister Kikilias Griechenlands Werbekampagne und nachhaltige Urlaubsangebote.
Unerwartet positive Zahlen
Griechenland war eines der ersten Länder, das seine Grenzen für Touristen öffnete. Eine Quarantäne war nicht erforderlich. Diese Entscheidung war auch aus wirtschaftlichen Erwägungen getroffen worden, macht die Tourismusbranche doch 25 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts aus.
Im Jahr 2019 generierte die Branche 18,2 Milliarden Euro Umsatz. Im Pandemiejahr 2020 hingegen konnten nur 4,6 Milliarden Euro erwirtschaftet werden - harte Zeiten für diejenigen, die auf das Tourismusgeschäft angewiesen sind und mit den Einnahmen über den Winter kommen müssen. Kreta und Rhodos, zwei Inseln, die stark vom Massentourismus abhängen, mussten mit schweren Umsatzeinbußen kämpfen.
Verändert sich das Geschäft?
Gleichwohl zeichnet sich dieses Jahr eine kurze aber dafür umso geschäftigere Urlaubssaison auf Kreta ab. "Dieses Jahr war sehr umsatzstark und die Nachfrage bleibt hoch. Neulich fuhr ich in die Stadt und sah dort, wie Urlauber aus vier Reisebussen von TUI und ähnlichen Touristikunternehmen ausstiegen - solche Bilder sind wir nicht gewohnt", sagt Alexandra Monousakis. Zusammen mit ihrem Mann Afshin Molavi betreibt sie mehrere Gewerbe in und um Chania, darunter ein Weingut und eine Gaststätte.
Molavi zufolge waren ausländische Restaurantgäste dieses Jahr durchaus gewillt, mehr Geld für Speisen und hochwertigen Wein auszugeben als zuvor. Er vermutet, dass sich eine gewisse Reiselust aufgestaut hat, nachdem viele lange Zeit dazu verdammt waren, zuhause auszuharren. Nach so langer unfreiwilliger Urlaubsabstinenz saß das Geld bei Besuchern dann etwas lockerer als sonst, so Molavi. Womöglich lässt sich dieses Phänomen auch andernorts beobachten, jedenfalls berichtete Griechenlands Finanzminister Christos Staikouras, dass Touristen im ersten Halbjahr 2021 im Durchschnitt mehr Geld ausgaben als 2019.
Populäre Pauschalreisen
Kreta, wie auch Rhodos, Kos und andere Inseln der südlichen Ägäis, sind vor allem bei Pauschalreisenden beliebt, die von großen Touristikunternehmen wie TUI eingeflogen werden. Tatsächlich geht der Großteil aller Rhodosbesucher dieses Jahr auf All-Inklusive-Reisen zurück.
"Diese Saison war stärker als erwartet, insbesondere der Monat August, der fast das Niveau von 2019 erreichte", sagt Christos Michalakis von GEM travel. Sein Unternehmen bietet touristische Exkursionen auf Rhodos an. Michalakis zufolge übertraf der Oktober alle Erwartungen, kamen doch mehr Besucher als im selben Zeitraum 2019.
Katja Haffenrichter-Kritsotakis vom Hotelier-Verband in Rethymno auf Kreta glaubt, Urlauber legten viel Wert auf die Einhaltung Corona-konformer Sicherheitsmaßnahmen. Das Buchen von All-Inklusive-Reisen habe vielen das nötige Vertrauen geben, in den Urlaub aufzubrechen, wussten sie doch, dass Touristikunternehmen auf die Einhaltung der Hygienestandards pochen. Rund 70 Prozent aller Hotelübernachtungen in Rethymno gingen dieses Jahr auf Pauschalreisende zurück.
Nachhaltige Reisekonzepte
Griechenlands Regierung plant nun, die Frühlingssaison 2022 bereits Mitte März statt wie sonst üblich zu Ostern einzuläuten. Ihr ist daran gelegen, möglichst bald wieder viele zahlungskräftige Reisende ins Land zu locken.
Alexandra Manousakis und Afshin Molavi jedenfalls bereiten sich schon jetzt auf die nächste Saison vor. Zwar sind sie dankbar für die zurückliegenden, umsatzstarken Monate, doch fragen sie sich auch, wie Kreta zukünftig mit einem solchen Besucheransturm fertig werden wird. Griechenlands Entscheider beteuern, das Land werde auf nachhaltigen Tourismus setzen und Marktführer in diesem Segment werden. Doch ist damit dem Problem des "Übertourismus", also der zu großen Touristenmassen auf Kreta, Santorini und Mykonos beizukommen?
"Es wäre schrecklich, wenn doppelt so viele Menschen kommen, die unsere Strände verdrecken und sich betrinken - niemand will so was", betont Manousakis. "Wir hoffen auf Gäste, die sich für unsere Kultur und Natur begeistern. Kreta ist eine wunderschöne Insel und wir können ihren Charme erhalten, wenn wir den Tourismus in geordnete Bahnen lenken."