Griechen protestieren gegen Flüchtlings-Hotspot
15. Februar 2016"Ich will keinen Hotspot auf meiner Insel", schreit ein alter Mann aus dem Dorf Pili in die Menge seiner Mitbürger. Sie alle sind am Hügel vor dem Ort an der Polizeikette stecken geblieben, die ihnen mit Schilden und Schlagstöcken den Weg hoch zu dem früheren Militärlager versperrt, das jetzt im Eiltempo zum Hotspot für die Registrierung von Flüchtlingen ausgebaut wird. "Ich will ihn verdammt noch mal wirklich nicht!", regt der Mann sich auf. "Die ganzen Pakistaner und Afrikaner - sollen sie sie doch zu den Türken schicken! Das sind alles nur eingeschleuste Illegale." Die Umstehenden stacheln seine Wut noch an: "Wir wollen unsere Rasse reinhalten", schließt er seine Tirade ab, und zeigt damit, dass er wohl zu den Anhängern des rechtsextremen "Golden Dawn" gehört. Von denen gibt es in Pili einige, und sie hetzen die Bewohner auf, die Polizeisperren zu durchbrechen.
Geschäftsleute fürchten weniger Einnahmen durch Tourismus
Dyonisos Pikos hat früher Motorroller an Touristen vermietet, inzwischen ist er in Rente. Er trägt das "Oxi", das Nein zum Hotspot groß auf dem T-Shirt. Seine Haltung ist weniger radikal: "Wir leben hier zu 95 Prozent vom Tourismus. Ich persönlich habe nichts gegen die Flüchtlinge, wir haben ihnen sogar zu essen gegeben. Aber bisher waren auf Kos immer nur ein paar hundert, solange es keinen Hotspot gab. Wenn sie aber jetzt einen bauen, dann werden es viel mehr werden, weil sie dann hier länger bleiben. Und was sollen wir mit diesen armen Menschen machen, wo sie hinbringen? Die Insel ist klein, wir haben doch keinen Platz." Pikos steht wohl für die Mehrheit im Dorf: Nicht wirklich fremdenfeindlich, aber auch nicht bereit, den Hotspot zehn Kilometer entfernt von der Stadt Kos in ihrem Ort zu akzeptieren.
"Wir hätten es gerne, dass sie nur ein paar Stunden bei uns bleiben, ihre Papiere bekommen und dann gleich weiter auf das Festland gebracht werden", erklärt Hotelbesitzer Antonis Chatzimichalis. "Kos ist eines der wichtigsten Touristenziele in Griechenland, wenn wir hier einen Hotspot haben, wird das ein Desaster", fürchtet er. Die Touristen würden sich davon abschrecken lassen, sie wollten so ein Lager nicht an ihrem Urlaubsort. Auch er glaubt, dass die Flüchtlinge in dem Camp länger bleiben würden, als die Regierung den Bürgern erklärt.
Athen ist in der Klemme
Gerade am Freitag hat die EU-Kommission Griechenland eine letzte Frist gegeben: Innerhalb von drei Monaten müssten 60 Mängel beim Umgang mit der Flüchtlingskrise abgestellt sein. Dazu gehört auch, dass die im vergangenen Herbst beschlossenen und immer wieder zugesagten Hotspots zur Registrierung von Flüchtlingen nicht zustande kamen. Bisher gab es nur einen in Lesbos, der halbwegs funktioniert. Geplant aber sind fünf solcher Zentren auf verschiedenen Inseln. Schließlich versprach Premier Alexis Tsipras, alle würden bis zum Gipfeltreffen in dieser Woche fertig sein. Also wurde das Militär zu Hilfe geholt, jetzt soll es mit dem Bau ganz schnell gehen.
Die Hotspots sind zentraler Teil des Konzeptes zum Schutz der Außengrenzen. Hier sollen die Flüchtlinge nicht nur lückenlos registriert und ihre Fingerabdrücke im EU-weiten Eurodac-System gespeichert werden - hier sollen auch die mutmaßlichen Wirtschaftsmigranten aus Pakistan, Marokko oder Schwarzafrika sofort von den Kriegsflüchtlingen aus Syrien getrennt und in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Dafür allerdings müsste man sie in ein Transitlager einsperren - und diesen Aspekt hat bisher kaum eine europäische Regierung ihren Bürgern gegenüber offen erklärt. Die Bewohner von Pili allerdings glauben, dass es solche Pläne gibt und diese an ihnen vorbei gemacht werden.
Die Saison beginnt im April
"Solidarity" heißt die Gruppe von örtlichen Helfern, die im vergangenen Sommer auf Kos als einzige Lebensmittel und Kleidung an die Flüchtlinge verteilt hat. Inzwischen ist der UNHCR da und die Hilfe ist professionalisiert. Im vergangenen August und September kamen etwa 500 Menschen am Tag, derzeit sind es nur rund 100. Das Meer ist aufgewühlt, und fast jede Woche gibt es in den Meerengen zwischen den griechischen Inseln und dem türkischen Festland Todesopfer. 113 waren es bereits im Januar, mehr als je zuvor in diesem Monat.
Jorgos Hartofilis hat die örtliche Flüchtlingshilfe ins Leben gerufen und glaubt, dass mit dem Frühjahr die Zahlen wieder steigen werden: "Wenn der Hotspot etwa tausend Menschen aufnehmen kann, und sie werden innerhalb von zwei Tagen nach Athen gebracht, dann haben wir doch hier kein Problem damit", meint er. Die EU aber müsse entscheiden, wie die Menschen dann weiter verteilt würden. Er will noch nicht glauben, dass eine gemeinsame Flüchtlingspolitik in Europa gescheitert ist. Für das politisch aufgeheizte Klima auf der Insel macht er vor allem den Bürgermeister verantwortlich. Der behaupte, der Tourismus werde Schaden nehmen und wolle sogar ein Referendum abhalten, obwohl das rechtlich gar nicht möglich sei.
"Wir wollen kein Flüchtlingslager"
Die Proteste im Dorf Pili gehen an diesem Mittag glimpflich ab. Es kommt zu Rangeleien zwischen einigen der Scharfmacher unter den Demonstranten und der Polizei. Die schießt ein bisschen Tränengas in die Menge und treibt die Leute zurück, aber die Stimmung ist nicht hitzig genug für eine echte Prügelei. "Man muss diese Regierung absetzen!", schreit eine wütende Frau. "Aber wir sind selber schuld, wir haben sie gewählt." Sie will auch gleich die Grenzen zur Türkei schließen und aus der EU austreten.
Vize-Bürgermeister Michalis Chatzikalimnios ist mit dem Demonstrationszug bis zur Polizeisperre gelaufen: "Die Leute vertrauen der Regierung nicht und wie sie mit der Krise umgeht." Der Hotspot werde bestimmt nicht nur zur Registrierung dienen, sondern bald zu einem Gefängnis-Camp für 20.000 Menschen anwachsen. Wozu sonst würde man ein 40 Hektar großes Gelände brauchen? "Der ganze Druck aus der EU ist, was uns Angst macht. Wenn nämlich die Grenzen geschlossen werden, bleiben die Flüchtlinge hier stecken. Und zwar solange, bis man sie irgendwohin zurück schicken kann." Die Pläne aus einigen europäischen Hauptstädten, die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien zu schließen, haben sich auch schon bis zum Dorf Pili herum gesprochen.