Griechenlands Flüchtlinsgproblem
12. Februar 2016Mitte Dezember reiste der Chef der griechischen Zentralbank, Yannis Stournaras, nach Frankfurt zu einem Treffen mit dem Vorstand der Europäischen Zentralbank (EZB). Details des Gesprächs sollten geheim bleiben, doch ein Sache sickerte an die Öffentlichkeit: Laut Stournaras entwickelt sich die Flüchtlingskrise zu einem maßgeblichen "negativen Risikofaktor" für die langersehnte Erholung der griechischen Wirtschaft. Nach Hochrechnungen der Regierung in Athen, so erzählte Stournaras den Zentralbankern, koste die Flüchtlingskrise den Staat allein in diesem Jahr rund 600 Millionen Euro, eine Summe, die etwa 0,3 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukt entspricht.
Weniger als zwei Monate später erscheinen diese Prognosen äußerst optimistisch. Die Zahl 600 Millionen Euro ist das Produkt einer detailierten, noch nicht abgeschlossenen Untersuchung. Sie war vom Rat der Wirtschaftsberater des Finanzministeriums initiiert worden, um die wahren Kosten der Flüchtlingskrise für den griechischen Staat festzustellen.
Eine Milliarde Kosten für Flüchtlinge?
Darin sind die prognostizierten Kosten für Seenotrettung, Transport der Flüchtlinge aufs Festland, Asyl- und Verlegungsprozess, Rückführungen und - vermutlich am wichtigsten - für den Aufbau und den Betrieb der Registrierungszentren für Flüchtlinge, die so genannten Hotspots, enthalten.
Bei den Berechnungen gibt es jedoch ein Problem: Die 600 Millionen Euro umfassen lediglich Registrierungszentren für rund 12.500 Flüchtlinge, wie ein Beamter des Rates der Wirtschaftsberater gegenüber der DW mitteilt. Griechenland hatte sich jedoch verpflichtet, rund 30.000 Flüchtlinge unterzubringen. Hinzu kommen nochmal 20.000 Unterbringungsplätze, die vom UN-Flüchtlingshilfswerk in Griechenland geschaffen werden.
"Der Betrag von 600 Millionen Euro wird mit Sicherheit nach oben korrigiert", sagt der Beamte gegenüber der DW. "Ich denke, die wahren Kosten liegen bei knapp einer Milliarde Euro."
Wer zahlt das?
Wegen der griechischen Wirtschaftskrise hat die Regierung öffentliche Ausgaben bereits auf ein Minimum zurückgefahren. Gleichzeitig sind die Steuern stark gestiegen. Nun stellt sich die Frage: Woher soll das zusätzliche Geld für die Flüchtlinge kommen?
"Angesichts der wirtschaftlichen Lage Griechenlands sind die Kosten für die Flüchtlingskrise nicht unbedeutend", sagt Nick Malkoutzis, Redakteur des Politik- und Wirtschaftsportals "Macropolis". "Die 600 Millionen Euro, von denen die griechische Zentralbank spricht, entspricht etwa ein Drittel der Einsparungen, die Griechenland in diesem Jahr bei den Rentenzahlungen erzielt hat."
Zwar gibt es EU-Hilfen, die Griechenland mit fast 510 Millionen Euro unterstützen. Diese laufen jedoch über einen Zeitraum von 2014 bis 2020. Lediglich etwa 150 Millionen davon werden im besten Fall in diesem Jahr an das Land ausgezahlt.
Kein Geld für neue Staatsangestellte
"Es wird so gut wie unmöglich für Griechenland sein, all dies ohne zusätzliche Gelder zu schaffen", sagt der Beamte des Rates der Wirtschaftsberater. "Und die Unterstützung muss schnell und ohne viel Bürokratie kommen, ganz einfach, weil kein Geld da ist."
Sogar die EU-Kommission scheint sich nicht klar zu sein, was sie will. In ihrem letzten Fortschrittsbericht zu Griechenlands Umgang mit der Flüchtlingskrise empfahl die Kommission, zusätzliches Personal für die griechischen Asylbehörden einzustellen. Die Absichtserklärung zu Griechenland, die die Kommission ebenfalls unterschrieben hat, lehnt hingegen die Einstellung neuer Staatsangestellter ab.
Die strengen Auflagen zu Einstellungen können sogar zu höheren Kosten führen, denn die Entsendung von bereits beschäftigten Staatsbediensteten in weit entfernte Gegenden kann nach Angaben des Finanzministeriums langfristig teurer sein, als neues Personal einzustellen.
Kommen die Touristen?
Zwar sind die Staatsfinanzen in Gefahr, auf die griechische Wirtschaft insgesamt wird jedoch nur ein geringer Effekt durch die Flüchtlingskrise erwartet, etwa auf den Schlüsselsektor Tourismus. Nur wenige Touristenziele sind betroffen. Jüngste Untersuchungen des griechischen Tourimusbundes zeigen, dass Griechenland weiterhin als eines der sichersten Ziele in der Mittelmeerregion angesehen wird, besonders im Vergleich zu seinen Konkurrenten Türkei und Ägypten. "Die Nachfrage nach Zimmern in sicheren Mittelmeerregionen übertrifft das Angebot", sagt der Präsident des Tourismusbundes, Andreas Andreadis. "Daher gehe ich davon aus, dass der Tourismus in Griechenland auf dem gleichen Level wie 2015 bleibt, vielleicht sogar etwas höher."
Allerdings ergibt sich ein komplexeres Bild beim Blick auf die Inseln der östlichen Ägäis, die quasi an der Front der Flüchtlingskrise liegen. Viele fürchten hier, dass die Zahl der Touristen im nächsten Sommer zurückgehen könnte. Gleichzeitig wurde der mögliche Einkommensausfall zum Teil kompensiert durch die wirtschaftlichen Aktivitäten, die durch die Flüchtlingskrise selbst entstanden sind. Die etwa 500.000 Flüchtlinge, die durch die Inseln gereist sind, haben massenweise Güter und Dienstleistungen in lokalen Geschäften gekauft, die sich schnell an diese Art des Handels angepasst haben.
Sargnagel für europäische Solidarität
"Die Schlüsselfrage ist, ob die Inseln es schaffen, mit der Flüchtlingskrise in einer organisierten und humanen Weise umuugehen", sagt Andreadis. "Lesbos ist ein gutes Beispiel für eine Insel, die die Situation klug angeht. Andere Inseln wie Kos machen das nicht so gut." Auf Kos kam es kürzlich zu gewaltsamen Protesten gegen die Einrichtung eines Registrierungszentrum.
Zwar haben die europäischen Regierungen in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, man solle die Griechenlandkrise nicht mit der Flüchtlingskrise in Verbindung setzen. Allerdings lässt sich das immer schwerer vermeiden.
"Ich denke, es ist möglich, dass die Griechen das Trommelfeuer der Kritik aus dem Ausland zunehmend satt haben, besonders weil die EU-Staaten nicht viel tun, um das Problem zu lösen", sagt der Journalist Malkoutzis in Bezug auf die zunehmende Europaskepsis im Land.
In dieser Woche ziehen besonders rechte Gruppen und die Bauern des Landes die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Die einen protestieren gegen die geplanten Hotspots, die anderen gegen die Steuerpläne der Regierung. Die Regierung mit ihrer dünnen Parlamentsmehrheit sieht sich schon jetzt einem Test ausgesetzt, ob sie die Reformen, die für einen Bail-out nötig sind, umsetzen kann. Wenn gleichzeitig die Flüchtlingskrise ein neues Loch in den Staatshaushalt zu reißen droht, könnte dies ein weiterer Sargnagel für die europäische Solidarität sein.