Griechenland: Die Einigung entzweit
18. Juli 2018"Verschwinde hier!", schreit ein ganz in schwarz gekleideter, glatzköpfiger Mann. In der Hand hält er die griechische Flagge. "Filmen ist hier verboten", ruft ein Anderer. "Warum? Das ist doch legal", erwidere ich. "Weil ich das so sage." Die beiden gehören zu einer Versammlung von etwa 200 Nationalisten, direkt am Weißen Turm, dem Wahrzeichen von Griechenlands zweitgrößter Stadt Thessaloniki. Ihr Anliegen: Sie demonstrieren gegen die Einigung im Namensstreit mit dem Nachbarland Mazedonien. Journalisten und Kritiker sind hier nicht erwünscht.
Mit etwas Abstand haben sich einige Kamerteams der griechischen Medien positioniert. "Wir wollen nicht provozieren", erklärt eine Reporterin. "Diese paar Leute fallen kaum ins Gewicht. Das hat doch nichts damit zu tun, wie man in Thessaloniki wirklich denkt." In der Tat nehmen die wenigsten Passanten Notiz von der Versammlung. "Mazedonien ist griechisch und orthodox!" steht auf den Bannern.
Laut aktueller Umfragen unterstützen etwa 63 Prozent der Griechen diese Haltung. Sie sind gegen die Vereinbarung, die vor vier Wochen im nordgriechischen Prespes zwischen Ministerpräsident Alexis Tsipras und seinem mazedonischen Amtskollegen Zoran Zaev unterzeichnet wurde. Vor allem Ultrarechte und übereifrige orthodoxe Christen fühlen sich von der Politik verraten.
Patriotismus statt Auseinandersetzung
Schon lange waren Griechenlands Nationalisten nicht mehr so aktiv wie heute. Vor einigen Wochen stürmte eine Gruppe gewaltbereiter Demonstranten aus dem rechten Spektrum ein von Linken gern besuchtes Café im Zentrum Thessalonikis. Die Besucher kamen mit blauen Flecken und dem Schock davon. Die jüdischen Mahnmale für die Opfer des Holocausts am Freiheitsplatz und auf dem Universiätscampus wurden geschändet. Der Norweger Vemund Aarbakke kann darüber nur den Kopf schütteln. Er lehrt und forscht seit 15 Jahren am Geschichts-Institut der Aristoteles-Universität Thessaloniki. Sein Fachgebiet: die poltisiche Geschichte des Balkans.
Die Proteste in seiner griechischen Wahlheimat stimmen ihn traurig: "All diese Aggressionen, dieser Hass und diese Angst, man würde unsere Geschichte klauen - das bringt doch nichts." Für Aarbakke mangelt es bei der gesellschaflichen Auseinandersetzung mit der Mazedeonien-Frage vor allem an einem: historischen Fakten. Er hält wenig davon, die Antworten auf Probleme von heute in der Antike zu suchen. "Wenn man mich als Historiker fragt, ob Alexander der Große Grieche oder Mazedonier war, dann erwidere ich, dass er zu einer anderen Zeit gehört." Die starke Identifizierung mit antiken Helden findet er befremdlich. "Ich bin Norweger. Aber wenn ich über die Wikinger rede, dann spreche ich doch nicht von ‚Wir.‘ Das ist viel zu lang her."
Gerade in Griechenland reagiere man vor allem emotional. "Es geht hier um eine spezifisch griechische Art, die derzeitige Situation an ein nationales Selbstverständnis anzupassen", kritisiert er. Auch die Schulbildung spiele dabei eine zentrale Rolle. "Viele Studenten sind schockiert, wenn sie zum ersten Mal wissenschaftliche Texte zum Thema lesen und feststellen, dass das, was sie in der Schule gelernt haben, doch sehr anders ist." Erst seit den 1990er Jahren gebe es eine kritische Auseinandersetzung mit den Gründungsjahren des Landes und mit dem Bürgerkrieg. Doch gerade diese Epoche sei entscheidend für das, was man heute als Mazedonien-Frage bezeichnet.
Kaum Dialog auf dem Balkan
Griechenlands Ultrarechte und ihre aggressive Stimmungsmache gegen den nördlichen Nachbarn bilden nur die Spitze des Eisbergs. Die nationalen Attitüden ziehen sich durch alle Klassen der Gesellschaft eines Landes, das in den harten Jahren der Krise viel Prügel einstecken musste. Auch deswegen reden viele Menschen gerade im Norden Griechenlands vor allem von Dropi, zu Deutsch Schmach, und nicht etwa von Schritten in eine stabile, gemeinsame Zukunft oder wirtschaftliche Vorteile für beide Seiten. Gegendemonstrationen oder politische Kundgebungen von Unterstützern des Abkommens von Prespes? Fehlanzeige.
Nicht nur in Griechenland, sondern auch in den angrenzenden Ländern werden politische Annäherungsprozesse eher von einer schweigenden Mehrheit unterstützt. Öffentlich wagen nur Wenige, sich zu einer nachbarschaftlich orientierten Außenpolitik und der gemeinsamen Geschichte zu bekennen. Zu schwer wiegen kulturelle Abgrenzungsprozesse in einer Region, in der nationale Grenzen erst im späten 19. Jahrhundert eine Rolle spielten. Dass Alexis Tsipras bei seiner Ansprache in Prespes Griechenland als Teil des Balkans bezeichnete: ein Tabubruch.
Geschichte als Annäherung
Zvezdana Kovac, Leiterin des in Thessaloniki ansässigen Zentrum für Demokratie und Versöhnung in Südosteuropa (CDRSEE) begrüßt die Einigung zwischen Griechenland und Mazedonien. Für die aus Montenegro stammende Journalistin ist das ein historischer Akt. Seit etwa 20 Jahren unterstützt und motiviert ihr Institut kulturelle Annäherungsprozesse in der Region. Vor allem die geschichtliche Bildung spiele eine entscheidende Rolle. "In allen Ländern des Balkans wie in Griechenland ist die Annäherung an Geschichte vor allem ego- und ethnozentriert. Man glorifiziert das eigene Land und beschuldigt den Nachbarn. Wir motivieren dazu, die Perspektive des Anderen einzunehmen."
Die Rolle des Westens bewertet sie kritisch. Europa habe der Region nach den Jugoslawienkriegen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, betont Kovac. "Man vergisst: Der Balkan ist Teil Europas. Wenn demokratische Prozesse hier in Gefahr sind, könnte das fatale Konsequzenen für den gesamten Kontinent haben."
Für Vemund Aarbakke liegen die Widerstände einer Annäherung vor allem in der konsequenten Negation der gemeinsamen Vergangenheit begraben. Man müsse anerkennen, dass die Region von kultureller Vielfalt geprägt sei. "In Griechenland herrscht häufig das Dogma, das Land sei homogener als andere Länder in Europa. Dem ist natürlich nicht so. Es ist eine Frage, sich mit der Realität und Andersartigkeit auseinanderzusetzen. Wer, wie einige hier, kulturelle Reinheit propagiert, der schafft vor allem eines: Probleme."