Große Agenda für die EU
17. November 2003Der Höhepunkt der Sitzung der EU-Außenminister liegt ganz am Schluss der zweitägigen Tagung. Am Dienstag mittag kommt nämlich für einige Stunden der amerikanische Außenminister Collin Powell nach Brüssel, der den US-Präsidenten bei seinem Staatsbesuch in Großbritannien begleitet. Powell selbst hatte das Treffen angeregt, weil er den europäischen Kollegen ihre Pläne für ein eigenes militärisches Hauptquartier und eine gar zu eigenständige Verteidigungspolitik ausreden will. Bundesaußenminister Joschka Fischer, der sich bereits am Montag in Washington mit Powell treffen wird, ist bereits zurückgerudert. Er verzichtet auf ein eigenes Hauptquartier der EU, das der sogenannte "Pralinengipfel" aus Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg Ende April für Tervuren bei Brüssel vorgesehen hatte.
Streitpunkt NATO
Stattdessen haben sich wohl die Briten mit ihrer Ansicht durchgesetzt, dass es nur eine kleine Planungszelle geben solle, die der NATO, dem transatlantischen Bündnis, das auch die USA einschließt, keine Konkurrenz machen kann. Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana besteht auf einer möglichst eigenständigen Militär- und Sicherheitspolitik, dazu gehörten auch präventive militärische Operationen, die von einigen EU-Mitgliedsstaaten abgelehnt werden. Am Montag werden die EU Außenminister zusammen mit den Verteidigungsministern über die künftige Sicherheits- und Verteidigungspolitik beraten. Beschlußreif ist nun wohl die Einrichtung einer europäischen Rüstungsagentur, die die Bewaffnung und Ausrüstung der europäischen Armeen koordinieren soll, um endlich die technologische Lücke zur US-Armee schließen zu können.
Streitpunkt Irak
Ein weiteres zentrales Thema der Gespräche der Außenmininster untereinander und mit dem amerikanischen Amtskollegen wird die Lage im Irak sein. Die EU tritt dafür ein, die Regierungsverantwortung an die Iraker selbst zu übertragen, sobald die Sicherheitslage dies zulasse. Zusätzliche Truppen aus europäischen Staaten, weder von den Kriegsbefürwortern noch von den Gegnern, sind unter dem Eindruck des Anschlages auf die italienischen Carabinieri im Süden Iraks nicht zu erwarten. Nachdem der amerikanische Präsident George W. Bush angekündigt hat, "die USA würden bleiben, bis der Job erledigt sei", will man in Brüssel von Powell wissen, wie die zeitlichen Vorstellungen für Machtübergabe und Wiederaufbau in Washington aussehen. Der italienische Außenminister Franco Frattini sagte noch einmal, Italien werde seine Truppen nicht abziehen.
Streitpunkt Berlusconi
Heftige Kritik kommt auf Frattini wegen des Gipfeltreffens zwischen dem russischen Präsidenten Vladimir Putin mit dem italienischen EU-Ratspräsidenten Silvio Berlusconi zu. Die große Mehrheit der EU-Staaten könne die Positionen, die Berlusconi vertreten habe und in eine gemeinsame Erklärung diktiert habe, nicht teilen, heißt es in Brüssel. Die nachträgliche Verurteilung einer Gipfelerklärung ist ein in der EU bisher einmaliger Vorgang. Berlusconi hatte seinen Duz-Freund Putin vor Kritik an seinem Vorgehen in Tschetschenien und an der Verhaftung des russischen Unternehmers Chodorkowski in Schutz genommen.
Streitpunkt EU-Verfassung
Nicht übermäßig glücklich sind die Außenminister auch mit der italienischen Verhandlungsführung bei der Regierungskonferenz zur Schaffung einer EU-Verfassung, die am Montag und Dienstag ebenfalls zentrales Thema sein wird. Der italienische Außenminister Frattini hat für das Ende November angesetzte Konklave der Außenminister einen Kompromißvorschlag angekündigt. Für die Regelung, dass jedes Mitgliedsland mindestens einen Kommissar in die EU-Kommission entsendet, gebe es jetzt eine mehrheitliche Zustimmung, so Frattini. Beschlüsse zur Besetzung der Kommission müssten allerdings einstimmig gefasst werden.
Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi unternimmt zur Zeit in bilateralen Gesprächen mit seinen Kollegen Versuche, den Streit um Stimmengewichtung und Besetzung der Institutionen in der erweiterten Union abzumildern. Polen weigert sich nach wie vor auf die günstige Gewichtung seiner Stimmen, die im EU-Vertrag von Nizza festgelegt ist, zu verzichten. Wie die über 100 konkreten Änderungswünsche der Staaten am Verfassungstext in nur zwei Wochen in einen Kompromiß gegossen werden sollen, ist vielen Teilnehmern der Regierungskonferenz noch schleierhaft. Es könnte sein, dass die heiklen Entscheidungen solange verschoben werden bis sie schließlich Mitte Dezember alle auf dem Tisch der Staats- und Regierungschefs landen, die beim EU-Gipfel dann abschließend über die Verfassung beraten wollen.