Wie sich Brüssel gegen den Klimawandel rüstet
1. März 2020Am Place de la Bourse in der Brüsseler Innenstadt schlängeln sich Touristen und Pendler um Absperrungen und Pflastersteine. Bauarbeiten für den Klimaschutz.
Ein paar Blöcke weiter nördlich hat der Wandel bereits stattgefunden. Was einst ein verkehrsreicher Boulevard war, ist inzwischen eine autofreie Zone - nur für Fußgänger, Rad- und Rollerfahrer. Cafés nutzen die verbreiterten Bürgersteige, um ihre Gäste im Freien zu bewirten.
Die Sanierung des Gebietes zu einer Öko-Zone begann im Jahr 2017 und wird, wenn das Wetter mitspielt, Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Die Stadt, in der der europäische "Green Deal” im Dezember der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, will selbst durch ein neues Verkehrskonzept klimafreundlicher werden.
Klimaneutrale Städte
Der "Green Deal” verspricht, dass die EU bis zum Jahr 2050 durch Investitionen in grüne Technologien und Unternehmen sowie die Verringerung der Abgase klimaneutral wird.
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Derzeit ist der Verkehr für ein Viertel der EU-Treibhausgasemissionen verantwortlich. Und anders als bei der Stromerzeugung, die mittlerweile immer sauberer wird, setzt der Verkehr dem Klima weiter zu.
"Klimaneutral und intelligent” sollen die Städte in Europa künftig sein. Doch das ist gerade für Brüssel derzeit kaum vorstellbar.
Die Stadt erstickt im Verkehr. Staus und Smog gehören zum Alltag.
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Weniger als ein Drittel aller Fahrten werden mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestritten, weit mehr Menschen nehmen das Auto.
2018 ermahnte die Europäische Kommission die Belgier, weil die Stadt Brüssel es versäumt hatte, ausreichend gegen die Luftverschmutzung vorzugehen.
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Wappnung für ein autofreies Zeitalter
Aber die "Hauptstadt Europas” rüstet auf. "Brussels Mobility” hat in Absprache mit der Stadtverwaltung und Bürgern einen Zehnjahresplan, den so genannten "Good Move Plan”, entwickelt. Dieser sieht vor, dass die Nutzung von Autos um 25 Prozent reduziert werden soll. Dafür sollen neue Tram- und U-Bahnlinien gebaut werden, Radfahren und Laufen erleichtert werden.
Autofahren soll unattraktiver werden. So sieht der Plan ab 2021 eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 Kilometern pro Stunde im Raum Brüssel vor. Außerdem wird die Stadt innerhalb der nächsten zehn Jahre 65.000 Parkplätze streichen und bis 2015 sollen alle Busse in der Stadt mit Elektroantrieb fahren.
Doch es gibt auch Kritik. In einem Bericht der regionalen NGO Inter-Environnement Bruxelles (IEB) wird bemängelt, dass der Plan dem Privatsektor zu viele Chancen einräume, wie z.B. Carsharing-Anbietern und E-Scooter-Verleihern - als Ersatz für Privatwagen. Außerdem gebe der Plan keinen Aufschluss über die Finanzierung.
Verlagerung des Problems
Die meisten Fragen hat IEB in Bezug auf die Idee, den Verkehr über einen Autobahnring um die Stadt herum zu leiten - also außerhalb der Umweltzonen.
Außerdem will die Region Flandern, die zuständig für den Autobahnring ist, die Strecke ausbauen. Das widerspricht jedoch den Plänen der Brüsseler.
"Es ist offensichtlich, dass Brüssel sich gegen einen Ausbau der Autobahn ausspricht”, sagt Alain Maron, Umweltminister für die Region Brüssel der DW. "In einer Zeit, in der die Auswirkungen des Klimawandels offensichtlicher denn je sind, macht es keinen Sinn, Autobahnen weiter auszubauen.”
Straßen für Fußgänger
"Staus sind kein Problem, das wir lösen sollten. Sie sind nur Symptome dafür, dass die Dinge falsch laufen”, sagt Dirk Dufour, Manager von TRIDEE, einer Beratungsfirma für nachhaltige Mobilität, der DW.
"Es ist einfach eine Frage von zu vielen Autos am gleichen Ort zur selben Zeit. Der einzige Ausweg ist die Verlagerung auf andere Transportmittel. Dieser Wandel kann nur funktionieren, wenn wir den öffentlichen Raum und die Straßen neu aufteilen.”
37% der Brüsseler gehen die meisten ihrer Wege zu Fuß. Inge Paemen, Sprecherin von "Brussels Mobility”, sagt, dass dies vor allem möglich sei, weil im Zentrum der Stadt alles nah beieinander liege.
"Das Problem ist allerdings, dass es fast wie ein Hindernislauf ist, wenn man durch die Stadt läuft”, erzählt sie der DW. So müssten Fußgänger Autos, die auf Gehwegen parken, ausweichen. Außerdem seien die Bürgersteige schlecht und viele Wege verstellt durch private Bauprojekte.
Solche Hindernisse zu beseitigen und 40% des öffentlichen Raums den Fußgängern zu widmen, waren bereits 2012 Teil eines Plans, der das Zufußgehen "einfacher, angenehmer, sicherer und effizienter” machen sollte und die Stadt so gestalten sollte, "dass sie dem Menschen nah sei”.
Fast acht Jahre später gibt Maron zu, dass die Stadt noch einen langen Weg vor sich habe. Eine Studie vom vergangenen Oktober stellte fest, dass das Thema für Brüsseler hohe Brisanz hat. 75 Prozent der Bewohner wünschen sich größere und zugängliche Bürgersteige und fast 80 Prozent waren offen für Alternativen zum eigenen Auto.
Öffentliche Beteiligung
Maron sagt, er sei zuversichtlich, dass die Bürgerbeteiligung - anders als bei dem Plan von 2012 - bei der Durchsetzung des "Good Move Plans” helfen werde.
Der Brüsseler Umweltminister sagt auch, dass das "beispiellose Ausmaß an öffentlicher Beteiligung” und die Koordination zwischen Regierung und Öffentlichkeit den Planungsprozess schon jetzt vereinfacht habe.
Die EU plantihre eigenen Vorschläge noch in diesem Jahr zu veröffentlichen, um "erschwingliche, zugängliche, gesündere und saubere Transportmöglichkeiten” für Europa zu machen. Unter anderem soll das Laufen und Fahrradfahren attraktiver gemacht werden.
Als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den EU "Green Deal” im Dezember” vorgestellt hat, sagte sie "Europäische Bürger ändern ihren Lebensstil um das Klima und den Planeten zu schützen".
Doch bei allen Initiativen, die gerade auf europäischer und lokaler Ebene ins Leben gerufen werden, hängt der Erfolg von klimaneutralen Städten davon ab, inwieweit die Bürger bereit sind mitzumachen und sich entsprechend umweltfreundlich fortzubewegen.