Finden Grüne und FDP beim Klima zusammen?
28. September 2021Im Wahlkampf waren die Positionen klar. Für die liberaldemokratische FDP waren die Grünen eine "innovationsfeindliche Verbotspartei", der Parteivorsitzende Christian Lindner warb mit Sätzen wie: "Grüne Schulden (...) wird es mit der FDP nicht geben!". Aus Sicht der eher links orientierten Grünen fehlten im Liberalen-Programm konkrete Pläne zu ihrem wichtigsten Thema, dem Klimaschutz. Und viele dürften beim Gedanken an ein "Limetten-Bündnis" - wie eine Kombination wegen der Parteifarben gelb und grün bereits genannt wurde - eher das Gesicht verzogen haben.
Die "Königsmacher" führen erste Gespräche
Doch seit klar ist, dass Grüne und FDP aller Voraussicht nach gemeinsam der neuen Bundesregierung angehören werden, sind die Töne deutlich moderater. Beide Parteien setzten ihre Ankündigung, zunächst untereinander Vorgespräche führen zu wollen - und erst danach mit SPD und CDU/CSU - bereits am Dienstagabend um. Das sei deswegen wichtig, weil man inhaltlich besonders weit voneinander entfernt liege, hieß es.
Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck trafen sich mit FDP-Chef Christian Lindner und Generalsekretär Volker Wissing und posteten auf Instagram: "Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten."
Was Grüne und FDP in der Klimapolitik verbindet
Anders als auf den ersten Blick vermutet, hätten beide Parteien "doch einige Gemeinsamkeiten", sagt David Wortmann. Wortmann ist Geschäftsführer von DWR eco, einer Unternehmensberatung für Politik, Kommunikation und Strategie, die sich auf Nachhaltigkeitsthemen spezialisiert hat. Das Unternehmen hatte vor der Wahl die Parteiprogramme in Bezug auf den Klimaschutz verglichen.
Beschleunigung der Energiewende
Hier setzten sich beide Parteien dafür ein, Genehmigungsverfahren zu verschlanken, um den Bau von Solar- und Windparks voranzutreiben, so Wortmann.
Subventionsabbau
Auch bei diesem Herzensthema der FDP könnten die Grünen mitgehen, vor allem in einem Bereich: "Wir haben knapp 40 Milliarden Euro an Steuergeldern, die jedes Jahr in den Bereich der fossilen Energien fließen, das muss natürlich abgebaut werden, wenn man es mit dem Klimaschutz ernst meint", sagt Wortmann. Da könnten sich Grüne und FDP treffen.
Kreislaufwirtschaft, Moore, Ladestationen
Beide Parteien wollen eine höhere Recyclingquote einführen. Und den FDP-Forderungen nach einer Renaturierung von Mooren als CO2-Speicher werden die Grünen vermutlich ebenso uneingeschränkt zustimmen. Beide Parteien wollen außerdem die Ladestation-Infrastruktur für mehr Elektromobilität ausbauen.
CO2-Preis: Knackpunkt oder Gemeinsamkeit?
Den Ausstoß von CO2 zu besteuern, halten beide Parteien für ein wichtiges Instrument in der Klimapolitik. Derzeit liegt der CO2-Preis in Deutschland bei 25 Euro pro Tonne und soll bis 2025 auf 55 Euro steigen. Die Grünen wollen ihn bis 2023 auf 60 Euro erhöhen.
Die FDP will ein striktes CO2-Budget festlegen, das nicht überschritten werden darf. Mit dieser Verknappung würde automatisch der CO2-Preis steigen, sagt David Wortmann. "Und das ist ja auch etwas, das die Grünen fordern - ich hoffe deswegen, dass sich beide auf einen lenkungswirksamen und ambitionierten CO2-Preis einigen werden."
Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht dagegen den CO2-Preis als möglichen Streitpunkt zwischen FDP und Grünen. Für die Stiftung Klimaneutralität leitete Kemfert eine Studie der DIW-Tochtergesellschaft ECON, die alle Parteiprogramme auf ihre Klimaneutralität hin untersuchte.
"Die FDP will Klimaschutz mit dem zentralen Instrument des Emissionshandels umsetzen, den sie global erweitern möchte. Ihr schwebt vor, auch andere Sektoren, wie Verkehr und Gebäude, mit in den Emissionshandel zu integrieren. Das würde sehr stark steigende CO2-Preise zur Folge haben. Das wiederum möchte die FDP eigentlich nicht, da ist ihr Programm sehr inkonsistent," so Kemfert.
Beide Parteien haben als Ausgleich für eine solche Preissteigerung eine Rückvergütung an die Bürger in ihr Wahlprogramm geschrieben.
Das trennt FDP und Grüne beim Klimaschutz
Klimaneutralität
Während die Grünen Deutschland innerhalb der nächsten 20 Jahre klimaneutral machen möchten, also bis Anfang der 2040-er Jahre, will die FDP Klimaneutralität erst 2050 erreichen. Das deutsche Klimaschutzgesetz sieht allerdings schon das Jahr 2045 dafür vor.
Verkehr und Mobilität
Hier sehen sowohl Wortmann als auch Kemfert einen der größten Streitpunkte zwischen beiden Parteien. Die Grünen wollen ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zulassen.
"Das heißt natürlich nicht, dass Autos mit Verbrennungsmotoren dann nicht mehr fahren dürfen", betont Wortmann. "Dennoch, ein Verbot von Technologien ist etwas, das die FDP nicht unterstützen möchte, und hier werden sich beide sicher stark behaken."
Wasserstoff
Die Grünen setzen zwar auch auf Wasserstoff für die Energiewende, sie wollen ihn aber ausschliesslich "grün" – also aus Wasser und nur durch Einsatz erneuerbaren Energien gewinnen. Die FDP will zumindest übergangsweise auch sogenannten blauen oder türkisen Wasserstoff nutzen, der aus Erdgas beziehungsweise aus Methan hergestellt wird. Der ist aber nur dann CO2-neutral, solange das entstehende CO2 nicht in die Atmosphäre gelangt, etwa weil es eingelagert wird.
CO2-Speicherung
Bei den Technologien der CO2-Einlagerung (Carbon Capture) und CO2-Verwendung (Carbon Usage) stehen die beiden Parteien auf unterschiedlichen Standpunkten."Theoretisch könnten damit auch Kohle- oder Gaskraftwerke weiterbetrieben werden, indem die entstehenden CO2-Emissionen zurückgehalten und eingelagert werden. Die Grünen wollen aber keine weitere Übergangstechnologie schaffen, die dazu führt, dass fossile Kraftwerke länger betrieben werden", erläutert der DWR-eco-Geschäftsführer.
Wo könnte es Kompromisse geben?
Kohleausstieg
Die Grünen wollen ihn auf 2030 vorziehen, das aber könnte mit der FDP schwer werden, auch wenn sie sich bisher auf keinen Zeitpunkt festgelegt hat. Wenn sich beide Parteien aber bei der CO2-Bepreisung einigen - was David Wortmann und Claudia Kemfert für möglich halten - könnte dies den Kohleausstieg und damit auch die deutsche Klimaneutralität beschleunigen. "Je höher der CO2-Preis ist, desto schneller wird die Kohleverstromung unattraktiv im Markt und das kann dazu führen, dass bis 2030 der Kohleausstieg tatsächlich erfolgen kann", sagt Wortmann.
Industriepolitik
Hier hält Energieökonomin Kemfert die meisten Kompromisse für möglich. "Die Grünen haben ja ein auffallend industriefreundliches Programm, mit Instrumenten zur Förderung der Industrie, wie etwa Ausgleichzahlungen für Klimaschutzmaßnahmen - da kann ich mir gut vorstellen, dass die FDP mitgeht."
Ministerien
Im Wahlkampf meldete FDP-Chef Christian Lindner schon früh sein Interesse am Posten des Finanzministers an, sollte es seine Partei in die neue Regierung schaffen. Diesen Wunsch könnten ihm die Grünen erfüllen. Allerdings nicht ohne Zugeständnisse seitens der Liberalen, meint David Wortmann.
"Die Grünen werden sicherlich in den Koalitionsverhandlungen die entsprechenden Schlüsselressorts für den Klimaschutz beanspruchen, etwa das Wirtschaftsministerium, dem der Ausbau der erneuerbaren Energien zufällt, oder auch das Umweltministerium", prognostiziert David Wortmann.