NS-Raubkunst? Streit um Guarneri-Geige
27. Januar 2021Der Gegenstand des Rechtsstreits ist eine Violine des berühmten Geigenbaumeisters Joseph Guarneri. Sie steht im Zentrum einer langjährigen Auseinandersetzung zwischen einer Stiftung und den Erben darüber, ob sie zur Kategorie "NS-Raubgut" gehört oder vor 1945 ohne Zwang verkauft wurde.
Gefertigt wurde das wertvolle Instrument im 18. Jahrhundert - in der italienischen Stadt Cremona, einer Hochburg berühmter Geigenbauer. Die Guarneri-Geigen sind ebenso berühmt wie die kostbaren Streichinstrumente von Antonio Stradivari.
Jüdischer Musikalienhändler
Eigentümer dieser Geige war der Musikalienhändler Felix Hildesheimer, der sie 1938 von der Instrumenten-Handlung Hamma & Co. in Stuttgart erworben hatte. Kurz darauf wurde Hildesheimer auf Grund seiner jüdischen Abstammung unter dem Druck der NS-Rassengesetze gezwungen, sein Wohnhaus und seine Musikalienhandlung in Speyer zu verkaufen, um die berüchtigte "Reichsfluchtsteuer" aufzubringen.
Seine Versuche, ein Visum nach Australien zu bekommen, schlugen fehl. Am 1. August 1939 nahm sich Hildesheimer das Leben. Seine Witwe wurde von den Nazis im Frauenlager Gurs in Südfrankreich interniert und konnte schließlich über Marseille fliehen. Auch seinen beiden Töchtern gelang die Emigration nach Amerika.
Im Besitz der Stiftung
Im Jahr 1974 hatte die Violinistin Sophie Hagemann (1918 - 2010) aus Nürnberg die Guarneri-Geige, Baujahr 1706, erworben. Mit ihrem "Duo Modern" widmete sie sich in ihren Konzerten auch der zur Nazizeit verbotenen, sogenannten "entarteten Musik". Sie war verheiratet mit dem Komponisten Franz Hofmann, der 1945 an der Front gefallen war.
Nach ihrem Tod 2010 ging das kostbare Instrument als Erbe in den Besitz der Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung über, die ihre Arbeit der Förderung des musikalischen Nachwuchs widmet. Nach Angaben der Stiftung befindet sich das Instrument in einem schlechten Zustand, eine Restaurierung sei unumgänglich.
Bei genauerer Untersuchung wurde erst dann entdeckt, dass die Provenienz des historischen Instruments lückenhaft ist: Es gab nur Angaben und Belege über den Besitzerwechsel 1938 sowie über den Kauf 1974.
Nachforschungen ergaben als letzten Eigentümer Felix Hildesheimer. Der Vorstand der Stiftung beschloss einen etwaigen Restitutionsanspruch "proaktiv aufzuklären", wie auf der Webseite zu lesen ist.
Streit um Entschädigung
Der Versuch, mit Nachfahren der Familie Hildesheimer in Verbindung zu treten, schlug fehl. Die US-amerikanische Journalistin Toby Axelrod hörte von dem Fall und stellte damals erfolgreich den Kontakt zwischen der Stiftung in Deutschland und einer Tochter von Hildesheimer her.
2015 wurde für eine Klärung des Falls die Beratende Kommission (früher Limbach-Kommission) für die Rückgabe von NS-Raubkunst hinzugezogen. Die Empfehlung der Fachleute und Provenienzforscher vom 16. Dezember 2016 lautete, dass die Geige "in der Stiftung verbleibt und diese zum Ausgleich einen Betrag von 100.000 Euro an die Erben zahlt".
Beide Seiten hätten dies als faire und gerechte Lösung akzeptiert, hieß es damals. Seitdem bemühte sich der Vorstand nach eigenen Angaben, diese Entschädigungssumme über Drittmittel aufzubringen. Eine Zahlung an die Erben in den USA, mittlerweile die Enkel von Felix Hildesheimer, ist allerdings bislang nicht erfolgt. Darüber berichtete diese Woche auch die "New York Times".
Beschlagnahmung durch Gestapo
Inzwischen liegen angeblich neue Forschungsergebnisse vor, die den Schluss zulassen, dass der Musikalienhändler Felix Hildesheimer die Geige als "normale Handelsware" und nicht "fluchtbedingt" verkauft haben soll. Sie tauche nicht in der Liste der zwangsenteigneten Gegenstände auf, die die Familie nach dem Krieg erstellt hätte, so die Argumentation der Stiftung.
Dem widerspricht die Schlichtungskommission: "Das zurückbleibende Mobiliar wurde von der Gestapo beschlagnahmt und versteigert." Deshalb sei das Instrument eindeutig als "NS-Raubgut" einzustufen, so die abschließende Bewertung der Kommission, die aber nur Empfehlungen aussprechen darf. Wertgegenstände und Möbel jüdischer Familien waren von den Nazis auf sogenannten "Juden-Auktionen" verkauft worden - eventuell auch die Guarneri-Geige. Das Instrument tauchte nach dem Krieg wieder im Handel auf.
Nach der Restaurierung der Guarneri-Geige möchte die Stiftung sie als "Instrument der Verständigung" jungen hochbegabten Musikerinnen und Musikern an der Hochschule für Musik in Nürnberg zur Verfügung stellen. Doch das wäre erst nach einer endgültigen juristischen Klärung möglich.