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PolitikSüdkorea

Görlach Global: Wo Südkoreas Putsch-Präsident Recht hatte

Alexander Görlach
17. Dezember 2024

Für seinen Putschversuch sollte Südkoreas abgesetzter Präsident Yoon ins Gefängnis gehen. Doch einige seiner Weichenstellungen in der Außenpolitik sollten nicht rückgängig gemacht werden, meint Alexander Görlach.

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Demonstranten mit Fahnen, Schildern und einem großen Leit-Transparent
Demonstration für die Amtsenthebung von Yoon Suk Yeol am 15. Dezember.Bild: Kyodo/picture alliance

Südkoreas politische Krise nach der kurzzeitigen Verhängung des Kriegsrechts durch den nun abgesetzten Präsidenten Yoon Suk Yeol ist noch nicht vorbei. Zwar haben mittlerweile, in einem zweiten Anlauf, zwölf Abgeordnete der konservativen Partei für eine Amtsenthebung ihres Parteifreundes Yoon Suk Yeol gestimmt. Gleichzeitig wird diese aber erst dann rechtsgültig, wenn das Oberste Gericht des Landes diesen Beschluss bestätigt. Bis das so weit ist, können bis zu sechs Monate ins Land ziehen. Allerdings hat die stärkste Oppositionspartei angekündigt, kein Verfahren gegen den Interimspräsidenten Han Duck-soo, der bis dato Premierminister war, einzuleiten, um die Funktionsfähigkeit des Landes nicht zu gefährden.

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander GörlachBild: Privat

Kaum jemanden dürfte das mehr gefreut haben, als US-Präsident Joe Biden, der dieser Tage mit dem neuen Staatsoberhaupt Han Duck-soo telefoniert hat. Denn die Vereinigten Staaten von Amerika haben in den zwei Jahren, in denen Yoon Präsident war, ihre Allianz mit dem demokratischen Land weiter vertieft. Und Südkorea hat sich in diesen beiden Jahren, nicht zuletzt auf US-Initiative, auch bewegt: Yoon hat die Aussöhnung mit Japan vorangetrieben. Die ehemalige grausame Kolonialmacht Japan weigert sich seit Jahrzehnten, sich ihrer vollen historischen Verantwortung zu stellen. Zuletzt hat Seoul angekündigt, die Entschädigungszahlungen zu übernehmen, die eigentlich Japan an die wenigen noch lebenden Opfer leisten müsste - meist Frauen, die japanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg als Zwangsprostituierte dienen mussten.

Japans mangelnde Vergangenheitsbewältigung

Diese Entscheidung hat Yoon, der ohnehin im Land schon unbeliebt war, nicht beliebter gemacht. Nun fürchtet Washington, dass sein Nachfolger diese Politik des Entgegenkommens revidieren könnte. Ein solcher Kurswechsel läge nicht unbedingt im Interesse Südkoreas, allerdings ist aus dem Ausland heraus nicht sofort voll verständlich, warum viele Südkoreaner dennoch zurecht auf diesem Punkt beharren: Bis auf den heutigen Tag haben sich konservative japanische Regierungen geweigert, das volle Ausmaß der Grausamkeiten, die das imperiale Japan in Korea und China angerichtet hat, einzugestehen.

Eine Allianz der beiden demokratischen Nachbarn Südkorea und Japan, in diesem Punkt irrte Yoon nicht, ist in der Tat unverzichtbar, wenn man dem autoritären China und seinem imperialistischen Alleinherrscher Xi Jinping etwas Wirkungsvolles entgegen setzen will. Beide Länder haben deshalb nicht nur ein Kooperationsformat mit den USA ins Leben gerufen, sondern, jedes Land für sich, die von Russland angegriffene Ukraine unterstützt. Im Gegenzug erhofften sich die Länder von den NATO-Partnern im Westen Unterstützung in der Vorbereitung auf einen, wie sie fürchten, bevorstehenden Kampf mit der Volksrepublik China.

Sollte der neue Präsident, um Punkte bei der Bevölkerung zu sammeln, die Zusammenarbeit mit Japan wieder aufkündigen wollen, wäre das nicht nur ein Rückschritt für die Bemühungen der USA im Westpazifik, sondern ein handfestes Problem für die Sicherheit Südkoreas, Japans und letztlich auch Taiwans.

Die USA sind nicht nur beliebt

Nicht zuletzt in Nordkorea, in Kim Jong Uns finsterem Reich, wird man genau schauen, ob ein Nachfolger Yoons die Beziehungen zu Japan kappt und gar, auch das ist möglich, die zuletzt stärkere Bindung an die USA wieder etwas lockert. Denn die USA sind in Südkorea nicht nur beliebt. Auch hier ist der Grund aus dem Ausland heraus nicht sofort erfassbar: In der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, vor dem Koreakrieg, hat Washington, dessen Militär im Süden der koreanischen Halbinsel das Sagen hatte, nicht verhindern wollen, dass als Kommunisten verunglimpfte Koreaner getötet wurden. Auf der Insel Jeju wurden so in den Jahren 1948 und 1949 bis zu 30.000 Menschen, zehn Prozent der Inselbevölkerung, getötet, ohne dass die USA eingeschritten wären.

In den Jahrzehnten der Militärdiktatur (1961-79) durfte über diese Verbrechen nicht gesprochen werden. Das änderte sich erst mit der demokratischen Wende Ende der achtziger Jahre. Im Jahr 2008 wurde dann, endlich, eine Gedenkstätte auf Jeju errichtet, die an das Massaker erinnert und auch der Rolle, die die Vereinigten Staaten dabei spielten, gemahnt. Bis heute sieht Washington sich nicht in der Verantwortung für die Geschehnisse.

Die in Teilen negative Wahrnehmung der USA erklärt, warum eine mögliche politische Neuausrichtung im Land die von den USA favorisierte und von Yoon ins Werk gesetzte Sicherheitsarchitektur in dieser Weltregion wieder kippen könnte. Besonnenheit ist daher nun von den politischen Verantwortlichen gefragt.

Yoon hat die Demokratie Südkoreas enorm geschwächt, für seinen Putschversuch sollten er und die Mitverantwortlichen ins Gefängnis gehen. Die neue Politik der Versöhnung und Partnerschaft, die gerade erst begonnen hat, darf bei der Strafverfolgung nicht zu einem Kollateralschaden werden. Denn das würde den Feinden der Freiheit in Peking und Pjönjang in die Hände spielen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.