Hagia Sophia darf wieder Moschee werden
10. Juli 2020Die Hagia Sophia in Istanbul kann trotz weltweiter Proteste wieder als Moschee genutzt werden. Das höchste Verwaltungsgericht der Türkei urteilte am Freitag (10.07.2020) , dass die Umwandlung des Bauwerks in ein Museum durch den Staatsgründer der modernen Türkei Mustafa Kemal Atatürk im Jahr 1934 unrechtmäßig gewesen sei.
Die Hagia Sophia ist nicht nur das Wahrzeichen von Istanbul, sondern auch eine der beliebtesten Touristenattraktionen der Türkei. Die imposante Ziegelstein-Kuppel und die kostbaren, zum Teil vergoldeten Fresken ziehen jährlich Millionen von Besuchern an und haben dem Bauwerk den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes eingebracht.
Doch die Hagia Sophia ist mehr als nur ein architektonisches Meisterwerk - sie war schon immer auch ein politisches Symbol: Das monumentale Bauwerk wurde im sechsten Jahrhundert nach Christus vom byzantinischen Kaiser Justinian errichtet.
Immer wieder Gegenstand von Symbolpolitik
Als die Osmanen Konstantinopel 1453 eroberten, verwandelte Sultan Mehmed II. die Kirche kurzerhand in eine Moschee. Auch der Gründer der türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, nutzte das Gotteshaus für einen Akt von hoher symbolischer Bedeutung: Im Jahr 1935 machte er aus der Hagia Sophia ein Museum. Die moderne Türkei ist ein säkulares Land, so die Botschaft von damals.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan versuchte in jüngster Vergangenheit, das im Istanbuler Stadtteil Fatih gelegene Gebäude symbolisch auszuschlachten. Für viele seiner nationalistisch-islamistisch gesinnten Wähler gilt die Hagia Sophia als Symbol für die Eroberung des christlichen Konstantinopels durch die Osmanen und für die Überlegenheit der islamischen Welt.
Der türkische Präsident und Chef der Regierungspartei AKP hatte alles daran gesetzt, die Entscheidung Atatürks rückgängig zu machen. Die Hagia Sophia werde der Aufsicht der Religionsbehörde unterstellt und für muslimische Gottesdienste geöffnet, erklärte Erdogan auf Twitter.
Zurück zur Nutzung als Moschee
Diskussionen über eine Umwandlung zur Moschee gab es in der Türkei immer wieder - doch dieses Mal wird Klartext gesprochen: Das Oberste Verwaltungsgericht hat geprüft, ob Atatürks Dekret, das die Hagia Sophia in den 1930er Jahren zu einem Museum umwandelte, juristisch Bestand hat und nun entschieden, dass sie nun wieder Moschee wird. Begleitet wurde die AKP-Initiative von einer nationalistischen Rhetorik. "Die Hagia Sophia ist unser geographischer Besitz. Wer es mit dem Schwert erobert hat, besitzt auch die Eigentumsrechte", polterte etwa der stellvertretende AKP-Vorsitzende Numan Kurtulmuş. "Die Hagia Sophia ist Teil unserer Souveränität."
Die Regierungspartei gab sich schon vor der Entscheidung siegesgewiss: Am 567. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels, ließ sie einen Imam einige Koran-Suren in der Hagia Sophia sprechen. In der türkischen Öffentlichkeit wurde anschließend bereits darüber spekuliert, ob die Entscheidung schon gefallen sei und daher bereits erste Vorbereitungen getroffen würden.
Symbolischer Akt mit spaltender Wirkung
Erdogans Initiative zielt darauf ab, die türkische Wählerschaft wieder stärker hinter der AKP zu versammeln. Die Regierungspartei hatte jüngsten Umfragen zufolge in der türkischen Bevölkerung deutlich an Zuspruch verloren. Daher versuchte der Staatschef in den vergangenen Monaten wieder vermehrt, nationalistische Gefühle in der Bevölkerung zu erzeugen.
Der Versuch riss neue Gräben auf. Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel, das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche, hatte sich strikt gegen eine Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ausgesprochen. Die Hagia sei eines der bedeutendsten Baudenkmäler der menschlichen Zivilisation und gehöre nicht bloß ihren unmittelbaren Eignern, sondern "der ganzen Menschheit", so der Patriarch bei einem Gottesdienst in Istanbul.
Auch Nikolas Uzunoglu, der Vorsitzende der Föderation griechischstämmiger Türken (IREF), sagte der DW noch vor dem Gerichtsentscheid, dass er es für falsch halte, dass die Hagia Sophia zum politischen Zankapfel werde. Das Bauwerk stehe für den Frieden zwischen den Religionen und Zivilisationen. "Aussagen, in denen von der 'Eroberung der Hagia Sophia mit dem Schwert' die Rede ist, sollten unserer gesamten Gesellschaft Anlass zur Sorge geben", so Uzunoglu.
Sogar Papst Franziskus äußert sich nach dem Entscheid
Am Sonntag nach der Entscheidung durch das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei sagte Papst Franziskus im Anschluss an das Angelus-Gebet auf dem Petersplatz in Rom, er empfinde "großen Schmerz", wenn er an das Wahrzeichen Istanbuls denke. Die russisch-orthodoxe Kirche hat die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee deutlich kritisiert. "Die Sorgen von Millionen von Christen wurden nicht gehört", sagte Wladimir Legoida vom Moskauer Patriarchat der Agentur Interfax in Moskau. "Die Gerichtsentscheidung zeigt, dass alle Forderungen nach Zurückhaltung ignoriert wurden."
Auch die griechische Kulturministerin Lina Mendoni kritisierte das Geschehen. "Es ist eine Provokation für die zivilisierte Welt", erklärte die Ministerin nach Angaben des griechischen Staatsradios. Erdogan warf sie vor, "sein Land sechs Jahrhunderte zurückzuführen".
"Es gibt keine religiöse Rechtfertigung"
Auch in der akademischen Welt hatte man sich besorgt über die mögliche Umwandlung des Museums geäußert. "Das Gebäude dient seit 1500 Jahren gleich zwei Weltreligionen, ohne dass seine Architektur grundlegend geändert werden musste", sagte der Historiker Edhem Eldem von der Istanbuler Bogazici-Universität. "Von dieser Art Gebäuden gibt es nur eine Handvoll auf der ganzen Welt. Und die muss man schützen." Die Hagia Sophia stehe zudem für ein gemeinsames, universelles Menschheitserbe. "Möchten wir dieses Erbe abschotten und verbergen - oder nicht lieber der ganzen Welt präsentieren?", fragt Eldem.
Ähnlich sah das zuvor auch der Theologe İhsan Eliaçık. Für ihn erschien der mögliche Schritt nicht religiös gerechtfertigt. "Ein Recht durch das Schwert" habe keinen Platz im Koran. "Die gewaltsame Einverleibung von Kulturstätten ist verboten". Die Hagia Sophia sei ein Symbol des Friedens zwischen der islamischen und christlichen Welt, so Eliacik.
Einwände, die den türkischen Präsidenten nicht sonderlich zu interessieren schienen. An die griechisch-orthodoxe Gemeinde in der Türkei gewandt, sagte er jüngst nur: "Ihr sagt uns: 'Bitte verwandelt die Hagia Sophia nicht in eine Moschee.' Meint ihr, die Türkei müsse sich eurem Willen beugen? Wir warten auf die Entscheidung vom Obersten Verwaltungsgericht. Danach werden die nötigen Schritte unternommen." Nun ist die Entscheidung gefallen.
UNESCO und EU-Kommissionsvize gegen Umwandlung
Die UNESCO, die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, hat die Umwandlung der Istanbuler Hagia Sophia von einem reinen Museum in eine Moschee "zutiefst bedauert". Generalsekretärin Audrey Azoulay habe gegenüber dem türkischen Botschafter ihre tiefe Besorgnis zum Ausdruck gebracht, teilte die UNESCO mit.
Kurz vor der Verkündung des Gerichtsentscheids warnte sie die Türkei vor einer im Alleingang gefällten Entscheidung. In Paris erklärten UNESCO-Vertreter deutlich, dass der Kuppelbau als Teil der Istanbuler Altstadt zum Weltkulturerbe gehöre. Damit seien "eine Reihe von Zusagen und rechtlichen Verpflichtungen verbunden". Die UNESCO wünsche sich die Aufnahme von Gesprächen, bevor die Entscheidung gefällt werde. Sie betonte, dass kein Staat eine grundlegende "Veränderung an dem herausragenden universellen Wert" eines Welterbe-Monuments vornehmen dürfe.
Auch der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, ist für den Erhalt des aktuellen Status des weltberühmten Bauwerks. Das sagte der griechische Politiker im Brüsseler Europaparlament. Wie andere vor ihm unterstrich Schinas die symbolische Wichtigkeit der weltberühmten Hagia Sophia für einen glaubensübergreifenden und interkulturellen Dialog.
Schinas vergaß auch nicht, daran zu erinnern, dass Erdogan 2010, als Istanbul Kulturhauptstadt Europas gewesen sei, die Metropole am Bosperus als europäische Stadt bezeichnet habe. Da keine Gespräche auf internationaler oder europäischer Ebene mehr gesucht worden seien, folge die Entscheidung ausschließlich innertürkischen Interessen.