Haiti: Geburtstag im Armenhaus
2. Januar 2004
In Gonaives, im Nordwesten Haitis, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Dort, wo sich am 1. Januar 1804 Haiti nach einem blutigen Sklavenaufstand als erstes lateinamerikanisches Land von der Kolonialherrschaft befreite, toben auch heute wieder gewalttätige Straßenkämpfe. Aber diesmal richtet sich die Wut gegen einen Landsmann: den jetzigen Präsidenten und einstigen Hoffnungsträger Jean Bertrand Aristide.
So kam es am Donnerstag (1.1.) während der Feiern zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit in der Hauptstadt Port-au-Prince zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern der Regierung. Mehrere tausend Demonstranten forderten den Rücktritt Aristides.
Die etwa 5.000 Regierungsgegner standen mehr als 15.000 Anhänger Aristides gegenüber. Einige waren mit Plastikrohren und Brandsätzen bewaffnet. Demonstranten bauten Straßenbarrikaden aus Reifen und zündeten sie an, es waren Schüsse zu hören. Nach Krankenhausangaben wurden mindestens acht Menschen verletzt, zwei von ihnen erlitten Schusswunden. Bei einem Kurzbesuch Aristides in der nordöstlichen Stadt Gonaives wurde beim Vorbeifahren von dessen Konvoi mehrere Schüsse abgegeben.
Vom Hoffnungsträger zum Demagogen?
Der ehemalige Armenpriester Aristide war 1990 zum ersten frei gewählten Präsidenten nach dem Ende der Duvalier-Diktatur gewählt worden. Er sollte das ärmste Land Lateinamerikas aus der Krise führen, in die es durch die knapp 30jährige Schreckensherrschaft von François und Jean-Claude Duvalier geraten war.
Aber schon 1991 wurde Aristide durch einen Militär-Putsch gestürzt und konnte erst mit fremder Hilfe an die Macht zurückkehren. Auf Druck der Exil-Haitianer schickten die USA 1994 Truppen ins Land und ermöglichten Aristide so eine Amtszeit bis 1996. Selbst nachdem Aristide durch seinen bevorzugten Nachfolger, René Préval, abgelöst wurde, blieb er de facto der mächtigste Mann im Staat.
Im Jahr 2000 gelang Aristides Partei bei den Parlamentswahlen einen Erdrutsch-Sieg. Die Opposition und die internationale Gemeinschaft bezweifelten jedoch einen fairen Verlauf der Wahlen. Viele Aristide-Gegner waren unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Die Opposition verweigerte deshalb den Einzug ins Parlament und boykottierte die anschließenden Präsidentschaftswahlen, die Aristide klar für sich entscheiden konnte. Seit dem versinkt der Inselstaat im Chaos.
Kein Geld, keine Arbeit, keine MeinungsfreiheitDie Vereinten Nationen zogen ihr Personal ab, die internationale Gemeinschaft hat ihre Finanzhilfen größtenteils eingefroren. Vom Chaos profitiert dagegen die kolumbianische Drogenmafia, die sich - von Aristide geduldet - auf Haiti einen neuen Umschlagplatz aufbauen konnte. Der Bevölkerung kommt weder das Drogen-Geld noch die Staatsausgaben zugute: Ein Viertel des Jahresbudgets soll 2004 für die 200-Jahr-Feierlichkeiten ausgegeben werden, während 75 Prozent der vier Millionen erwerbsfähigen Einwohner weiter ohne Job sind und die AIDS-Infektionsrate auf 5 Prozent der Gesamtbevölkerung gestiegen ist.
Diese Situation treibt die Menschen auf die Straße. Angeführt von Studenten und Nichtregierungsorganisationen demonstrieren sie gegen Menschenrechtsverletzungen, Korruption sowie die hohe Arbeitslosigkeit und fordern den Rücktritt von Präsident Aristide. Der weiß sich offenbar nur mit Gewalt zu helfen: Neben der Polizei gehen wiederholt auch bewaffnete Aristide-Anhänger gegen die Demonstranten vor. Seit Mitte September sind bei Protesten über 40 Menschen ums Leben gekommen.
Aristide will bleibenDoch Aristide ist zunehmend isoliert. Die USA haben das Vorgehen der Regierung verurteilt und ihre Botschaft geschlossen. Im Dezember sind innerhalb von acht Tagen drei Mitglieder der haitianischen Regierung zurückgetreten. Der einzige prominente Staatschef, der zum 200. Geburtstag vorbeischaute, war Südafrikas Präsident Thabo Mbeki.
Ob der Konflikt auf Haiti gelöst werden kann, ist offen. Mitte Januar läuft für die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten die Amtszeit aus, Neuwahlen sind ob der Sicherheitslage und der kompromisslosen Haltung der Opposition nicht in Sicht. Um ein institutionelles Vakuum zu vermeiden, könnte Aristide künftig per Dekret regieren. In all der Unsicherheit ist eins sicher: Aristide will seine bis 2006 dauernde Amtszeit erfüllen.