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Im Auge des Zyklon

Ina Rottscheidt13. Januar 2010

Haiti kommt nicht zur Ruhe: Regelmäßig wird das Land von verheerenden Wirbelstürmen heimgesucht, die alles verwüsten und Hunderte mit sich in den Tod reißen. Doch die Katastrophe ist menschengemacht.

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Die Kathedrale in Port-au-Prince, Haiti, nach dem Erdbeben (ddp images/AP Photo/Eduardo Verdugo)
Nach dem Erdbeben in HaitiBild: AP

Beschwerlich quält sich der Geländewagen von Père Toussaint durch das Geröll, er schaukelt durch knietiefe Schlaglöcher und durchpflügt Gestrüpp und Unrat. Asphaltierte Straßen gibt es hier im Norden Haitis kaum noch, spätestens seit im Herbst 2008 vier Hurrikans über das Land hinweg fegten. "Brücken wurden zerstört, Häuser wurden weg gerissen, hunderte von Menschen wurden getötet oder sind verschwunden!", erinnert er sich: "Haiti hat wirklich einen der dunkelsten Momente seiner Geschichte erlebt!" Auch in seinem kleinen Pfarrhaus stand das Wasser Meter hoch; er musste zum Bischof in die nahe gelegenen Stadt Gonaïves ziehen.

Gonaives nach den Überschwemmungen, Foto: ap
Hannah setzte am 3. September 2008 die Stadt Gonaives unter WasserBild: AP

Früher war die Region rund um Gonaïves dicht besiedelt, heute gleicht sie einer Mondlandschaft: Rechts und links der Schotterpiste haben sich getrocknete Lehmmassen wie ein dicker Mantel über die Felder gelegt: Verdorrte Äste und die Dächer von Autos und zerstörten Häusern ragen oben heraus. Mit Geschwindigkeiten von bis zu 200 Kilometern in der Stunde fegten allein im Jahr 2008 die vier Tropenstürme "Fay", "Gustav", "Hanna" und "Ike" unerbittlich über das kleine Land hinweg: Sie rissen hunderte Menschen mit sich in den Tod, zerschmetterten Häuser, entwurzelten Bäume und machten Zehntausende obdachlos. Mindestens 60 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen des Karibikstaates wurden zerstört, Vieh ertrank, Ernten wurden vernichtet. Auch ein Jahr nach dem letzten Wirbelsturm hat sich das Land davon nicht erholt.

Nach dem Wasser die Krankheiten

Auch bei Madame Robert zuhause erinnern die schwarzen Ränder an der Wand noch an die Überschwemmungen. Mit ihren beiden Kindern lebt sie in einer kleinen Hütte mit Lehmboden, das Dach ist aus Wellblech und in den Fenstern flattern Plastiktüten. Doch sie wurde – im Gegensatz zu vielen in der Nachbarschaft – nicht fortgerissen. "Aber nach dem Sturm kamen die Epidemien: Geldfieber, Malaria", erinnert sie sich. "Unsere Ernten wurden zerstört. Die Menschen sind unterernährt und es gibt zu wenig Trinkwasser!" Heute hat Madame Robert Angst: Vor der nächsten Hurrikansaison und vor neuen Überschwemmungen.

Pére Toussaint in Gonaives zeigt ein Stück Kohle, Foto: Rottscheidt
Der Grund für die Abholzung: KohleBild: DW

Immer häufiger und mit immer größerer Zerstörungskraft fegen seit einigen Jahren die Wirbelstürme über Hispaniola hinweg. Bei den Nachbarn in der Dominikanischen Republik - mit der sich Haiti die Insel Hispaniola teilt - waren die Schäden nicht annähernd so verheerend.

Kahlschlag in Haiti

Grund ist der Kahlschlag: Heute sind gerade noch 3 Prozent der Fläche Haitis bewaldet. In der Kolonialzeit wurde sie für den Anbau von Zuckerrohr radikal abgeholzt. Heute werden die Bäume geschlagen, weil Kohle und Holz die mit Abstand wichtigsten Energielieferanten für die rasant wachsende Bevölkerung sind. Und weil sich damit immerhin noch ein paar Gourdes verdienen lassen. Der Staat ist zu schwach, um ein Verbot von Holzschlag und Brandrodung – wie so viele andere seiner Gesetze – durchzusetzen.

Mit katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt: Ein UN-Bericht bezeichnet Haiti als eines der am stärksten ökologisch geschädigten Länder der Erde. Gleichzeitig zählt der Inselstaat zu den ärmsten Entwicklungsländern; in der westlichen Hemisphäre ist Haiti das ärmste Land überhaupt.

Was ist Umweltschutz?

Bei den verheerenden Überschwemmungen im vergangenen Jahr trugen auch die seit 2004 in Haiti stationierten UN-Blauhelm-Truppen zur Katastrophenhilfe bei. "Es hat eine Nacht geregnet – und noch nicht einmal stark – und das Wasser stand fünf Meter hoch", erinnert Irene Höglinger von der UN, die damals in Gonaïves war. Die Stadt liegt unter dem Meeresspiegel und läuft bei Regen wie eine Badewanne voll. Danach brauchte das Wasser Wochen, um abzufließen, denn auch das Kanalsystem funktioniert nicht richtig. Aber weder Stadt und Gemeinde seien in der Lage, eine funktionierende Müllabfuhr zu gewährleisten, kritisiert sie, noch käme einer der Haitianer von selbst auf die Idee, vor der eigenen Haustüre Ordnung zu schaffen. "Es gibt hier fast gar keine Zivilgesellschaft und kaum bürgerschaftliches Engagement", sagt sie.

Haiti nach den Überschwemmungen, Foto: Rottscheidt
Riesige Schneisen haben die Schlammmassen im Jahr 2008 in Haitis Landschaft gerissen - die nächste Hurrikan-Saison steht bereits an.Bild: DW

Darum hat die UN landesweit Bildungszentren eingerichtet, in denen die Haitianer lernen, warum man Müll entsorgen sollte, wie man Wasser aufbereitet und warum die Rodung der Wälder den Überschwemmungen Vorschub leistet. "Jwet pou ou" ist der Titel, was soviel wie "Es liegt an Euch!" bedeutet. Denn dass es in Haiti so wenig zivilgesellschaftliches Engagement gebe, sei eines der zentralen Probleme, erklärt Höglinger, "diese Veranstaltungen tragen dazu bei, dass Haitianer für ihre Probleme selber Lösungen finden und aktiv werden."

Doch auch sie weiß: Die Verantwortung allein den Haitianern in die Schuhe zu schieben, wäre zu einfach. Fakt ist, dass die Wirbelstürme auch eine Folge der globalen Klimaerwärmung sind. Doch so lange Haitis Regierung zu schwach ist, Vorsorgemaßnahmen durchzusetzen und auch das zivilgesellschaftliche Engagement in Haiti gering ist, so lange werden Katastrophen wie Wirbelstürme oder Erdbeben immer wieder verheerende Folgen haben. Und mit ihnen, so fürchten Père Toussaint und Madame Robert, auch Tod und Zerstörung.