Haiti: Préval führt bei Stimmenauszählung nach Präsidentenwahl
10. Februar 2006Wie die Wahlbehörde in der Nacht zum Freitag in Port-au-Prince mitteilte, erhielt Préval in den bisher ausgezählten Bezirken mehr als 60 Prozent der Stimmen. Auf Platz zwei unter den insgesamt 33 Kandidaten lag Leslie Manigat, ebenfalls ehemaliger Präsident des Karibikstaates, gefolgt von Charles Baker.
Die Wahlen am vergangenen Dienstag (7.2.) sind von verschiedenen internationalen Beobachtern als erfolgreich gewürdigt worden. Nach Einschätzung der Vereinten Nationen eröffnen sie "eine neue Ära für Haiti".
Chaotische, aber friedliche Wahlen
Trotz des Todes von mindestens vier Menschen und Rangeleien vor einigen Wahllokalen berichteten haitianische Medien von einem guten und ruhigen Verlauf des Urnengangs. Chaos entstand vor einigen Wahllokalen, die mit erheblicher Verspätung geöffnet wurden.
Nach Angaben der UN-Mission in Haiti (MINUSTAH) gaben mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. "Die Wahl war sehr legitim", sagte der Generalsekretär der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), Jose Miguel Insulza.
Die Wahlen wurden von 7500 Soldaten, 1700 Polizisten und mehreren hundert Zivilangestellten der UN-Stabilisierungstruppe gesichert. Außerdem verfolgten 1500 Wahlbeobachter aus aller Welt und 600 internationale Journalisten den Urnengang.
"Wir haben getan, was möglich ist", sagte Übergangspräsident Gerald Latortue nach der Wahl angesichts der teilweise chaotischen Zustände. Seine Regierung war erst Anfang Januar von den Vereinten Nationen gezwungen worden, die mehrmals verschobenen Wahlen am 7. Februar abzuhalten.
Favorit und Hoffnungsbringer
René Préval galt schon vor der Wahl als aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat. "Préval ist ein Mann mit großer politischer Erfahrung, der in der Bevölkerung Vertrauen genießt", betont Jens Pössel, Haiti-Experte von amnesty international (ai).
Zwar lehnte Préval es ab, unter dem Banner der Familie Lavalas, der Partei des Ex-Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, zu kandidieren. Dennoch gilt der 63-Jährige in Haiti als Strohmann Aristides. Préval hat die Sympathie der zahlreichen, zum Teil äußerst gewaltbereiten Aristide-Anhänger in den Slums. Im Gegensatz zu seinem früheren Parteifreund Aristide hat sich Préval allerdings bisher vom millionenschweren Korruptionssumpf Haitis ferngehalten.
Aristide trat 1990 unter Begeisterungsstürmen sein Amt als erster demokratischer Präsident Haitis an. Im Februar 2004 wurde er von bewaffneten Rebellengruppen und unter dem starken diplomatischen Druck der USA aus dem Land ins südafrikanische Exil getrieben. Für viele Bewohner ist er noch heute der rechtmäßige Präsident Haitis.
USA agierten "zynisch" und "kurzsichtig"
"Préval ist der kleinere Bruder von Aristide. Sollte er gewählt werden, wird er Aristides Rückkehr nach Haiti definitiv befürworten", ist sich der Politologe Bert Hoffmann vom Hamburger Institut für Iberoamerika-Kunde sicher. So könnte Ex-Präsident Aristide auf Umwegen wieder zu Macht und politischem Einfluss gelangen.
Doch das wäre ein Schuss vor den Bug der USA: "Die Einmischung der USA zur Absetzung Aristides war im Prinzip eine relativ zynische Aktion: Die USA haben in Haiti in Feuerwehrmanier interveniert und das Land anschließend gleich wieder vergessen", sagt der Haiti-Experte Hoffmann. "Es gab und gibt keinen Masterplan für Haiti. Diese Kurzsichtigkeit rächt sich jetzt."
Vertrauen als Voraussetzung für Neubeginn
Bleibt zu hoffen, dass der neue Präsident Haitis weitsichtiger agiert. Denn: "Die Wahlen sind nur ein erster Schritt. Die eigentliche Arbeit beginnt erst danach", sagt ai-Mann Pössel. Baustellen gibt es dabei viele: von der Senkung der Analphabetenquote über eine Verbesserung der Infrastruktur bis hin zur Bekämpfung des Waffen- und Drogenhandels.
Dabei gilt: Vertrauen ist alles. Ohne das Vertrauen der Bevölkerung ist auch der zukünftige Präsident Haitis von vornherein zum Scheitern verurteilt. "Und Vertrauen schafft man nur durch Taten: Der neue Präsident muss vor allem Menschenrechtsverletzungen ahnden, die grassierende Korruption bekämpfen und ein klares Entwaffnungsprogramm durchsetzen", erklärt Pössel. Haiti gehört immer noch zu den Ländern mit den meisten Kleinwaffen auf der Welt.
Haiti-Experte Hoffmann sieht hingegen in der Entpolarisierung der zwischen Aristide-Anhängern und -Gegnern gespaltenen haitianischen Bevölkerung die oberste Aufgabe eines zukünftigen Präsidenten.
Auch UN-Truppen müssen sich ihrer Verantwortung stellen
Doch damit ein friedlicher Neubeginn gelingen kann, muss sich auch die internationale Gemeinschaft engagieren: "Es wäre fatal, wenn die UN-Stabilisierungstruppe MINUSTAH nach der Wahl überstürzt aus dem Land flieht. Sie muss die Geduld aufbringen, einen geordneten Rückzug hinzubekommen", fordert Hoffmann. Dabei war die Präsenz der Blauhelme schon in der Vergangenheit kein Allheilmittel gegen Gewalt. Immer noch herrschen in einigen Vierteln der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince, wie der berüchtigten Cité Soleil, kriegsähnliche Zustände.
So bleibt den Haitianern, den ärmsten Menschen auf dem amerikanischen Kontinent, letzten Endes tatsächlich nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass Préval mit seinen markigen Worten Recht behält: "Ich werde der Präsident sein, der dem Land den Frieden bringt."