Nahost wird radikaler
15. Juni 2007Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ist bekannt für seine zaudernde Art. Das hat sich in der aktuellen Krise wieder einmal bestätigt. Zwei Tage brauchte er, um sich zu einer Entscheidung durchzuringen. Die war dann aber zumindest folgerichtig: Per Dekret löste er am Donnerstag (15.6.) die Regierung der "Nationalen Einheit" auf und rief den Notstand im Westjordanland und im Gazastreifen aus. Nun soll ein Notstandskabinett die Geschäfte übernehmen, bis Neuwahlen stattfinden können.
Allerdings hat der Ministerpräsident Hanija es abgelehnt, die Regierung aufzulösen. Zugleich kündigte er an, er werde keinen eigenen Staat im schmalen Küstenstreifen ausrufen. Die Ankündigung kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die machttrunkenen Milizen seiner Organisation längst damit begonnen haben, Taliban-artige Strukturen mit Gewalt zu errichten.
Böses Erwachen in "Hamastan"
Über ihre Sprecher ließ die Hamas den "Beginn der Epoche der Gerechtigkeit und der Herrschaft des Islams" verkünden. In Anspielung auf den israelischen Abzug 2005 sprachen sie gar von der "zweiten Befreiung" des Gazastreifens.
Die Kämpfe zwischen den rivalisierenden Palästinensergruppen sind brutal und überschreiten selbst jene rote Linien, die bislang im Bruderkampf galten. So wurden beispielsweise Krankenhäuser und Moscheen hemmungslos angegriffen, auf offener Straße richteten Hamas-Kämpfer Fatah-Kommandeure hin.
Inzwischen zeichnet sich die Zementierung der räumlichen und ideologischen Trennung zwischen den beiden rivalisierenden Gruppen ab: auf der einen Seite die Hamas im Gazastreifen, auf der anderen die Fatah im Westjordanland. Ein territorial-einheitlicher Palästinenserstaat ist in weite Ferne gerückt.
Angst vor islamischem Ministaat
Den Beteuerungen Hanijas, keinen eigenen Staat im Gazastreifen ausrufen zu wollen, schenken viele Palästinenser und die Nachbarstaaten keinen Glauben. Vielmehr werden Erinnerungen wach an die islamische Revolution in Iran von 1979, als schiitische Islamisten das Schah-Regime stürzten.
Hamas hat im Gaza-Streifen militärisch erreicht, was sie politisch nicht erreichen konnte. Zwar gewann die Hamas die ersten demokratischen Wahlen. Der Wahlverlierer Fatah weigerte sich aber, das Wahlergebnis anzuerkennen und bestand darauf, die Kontrolle über die Sicherheitsdienste zu behalten.
Macht, Wahlen und Gewalt
Auf der anderen Seite weigerte sich Hamas aus ideologischen Gründen hartnäckig, internationale Verträge zu akzeptieren und Israel in eindeutiger Form anzuerkennen. Außerdem trug der Boykott der von der Hamas geführte Regierung durch die internationale Gemeinschaft zur Erosion der bestehenden Institutionen und zum Verfall der vorstaatlichen Strukturen in den besetzen Gebieten, insbesondere im Gazastreifen, bei.
Es ist damit zu rechnen, dass der Hamas-"Sieg" vielen radikalen Islamisten psychologische Vorteile verschafft. Sowohl in den moderaten arabischen Staaten Jordanien und Ägypten - Hamas ist der palästinensische Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft - als auch im Nachkriegsirak dürfen sich viele radikale Islamisten darin bestärkt fühlen, dass sich die Teilnahme an demokratischen Wahlen nicht lohnt: Der Weg der Gewalt ist für sie der kürzere Weg an die Macht.
Insbesondere Iran hat mit der Hamas einen neuen Trumpf gegen die amerikanischen Drohungen in der Hand: Der Iran möchte Hamas, wie schon die Hisbollah, als Brückenkopf in unmittelbarer Nähe Israels instrumentalisieren. Außerdem unterstützt die radikale Führung um Irans Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad Hamas, damit die moderaten, US-freundlichen arabischen Länder wie Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien vor den arabischen Massen bloßgestellt werden.