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Politik

G20-Prozesse politisch motiviert?

Robert Mudge jdw
28. August 2017

Mit dem G20-Gipfel wollte die Kanzlerin Hamburg weltoffen zeigen. Stattdessen dominierten umstrittene Polizeieinsätze und gewaltsame Proteste die Schlagzeilen. Nun stehen die ersten Demonstranten vor Gericht.

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G20, Hamburg, Krawalle im Schanzenviertel
Bild: picture-alliance/N.Liponne

Sechs Silvesterkracher, eine Dose Pfefferspray, eine Taucherbrille und zwei Glasmurmeln soll Stanislaw B. aus Polen in seinem Rucksack gehabt haben, als ihn die Polizei am 8. Juli vor dem Hamburger Bahnhof Dammtor anhielt und durchsuchte. Die Beamten stellten die Objekte sicher und nahmen ihren Besitzer fest.

Bis zur Demonstration "G20 not welcome: Grenzenlose Solidarität statt G20" schaffte Stanislaw B. es also gar nicht. Ihm werden keine Plünderungen, kein Angriff auf Polizisten oder keine sonstigen Gewalttaten vorgeworfen. Dennoch sitzt der 24-jährige Student aus Warschau seither in Untersuchungshaft.

Am Dienstag steht er vor Gericht - wegen eines Verstoßes gegen das Bewaffnungsverbot: "Es gibt bestimmte Gegenstände, die man ohne behördliche Erlaubnis gar nicht bei sich tragen darf. Dinge, die unter das Waffengesetz und unter das Sprengstoffgesetz fallen", erklärt der Hamburger Oberstaatsanwalt Carsten Rinio. "Und dann gibt es Gegenstände - das ist eine Besonderheit der Strafvorschriften nach dem Versammlungsgesetz -, die man schon auf dem Weg zu einer Demonstration nicht bei sich tragen darf."

Umstrittene Untersuchungshaft

Ein klarer Fall? Ganz und gar nicht, meint Jonathan Burmeister, der Stanislaw B. als Rechtsanwalt vertritt. Er ist einer von mehreren Verteidigern, die der Hamburger Justiz vorwerfen, aus politischen Gründen heraus juristisch zweifelhafte Entscheidungen getroffen zu haben.

Böller und Pfefferspray, so Burmeister, hätte sein Mandant durchaus mitführen dürfen: "Das Problem war, dass sie in Polen gekauft wurden und deshalb nicht das in Deutschland erforderliche Zertifizierungssiegel trugen."

Vor diesem Hintergrund wirke der nahezu sieben Wochen dauernde Freiheitsentzug, den die Hamburger Behörden anordneten, besonders fragwürdig: "Der einzige legale Grund für eine Untersuchungshaft ist, sicherzustellen, dass das Verfahren stattfindet. Und ich bin hundertprozentig sicher, dass das hier nicht der Grund war."

Ein unauffälliger Student

Die Befürchtung der Behörden, sein Mandant könnte sich seinem Gerichtsverfahren in Hamburg entziehen, hält Burmeister für einen Vorwand: "Wir haben den EU-Haftbefehl, damit kann man eine Festnahme in Polen beantragen und dann dauert es ein paar Stunden, bis der- oder diejenige verhaftet ist."

Doch dergleichen sei bei Stanislaw B. überhaupt nicht zu befürchten gewesen, behauptet sein Anwalt und zeichnet ein sehr behütetes Bild seines Mandanten: "Er hat dieses Jahr in England studiert, sein Vater ist Professor, seine Mutter arbeitet in einer Anwaltskanzlei." Zudem habe sein Mandant einen festen Wohnsitz in Warschau und sei bisher nicht polizeilich aufgefallen. "Es gibt definitiv keinen Grund anzunehmen, er wäre nicht zu seinem Gerichtstermin erschienen. Die Untersuchungshaft hat also eindeutig einen politischen Grund", schlussfolgert Burmeister.

Kai Wantzen, Sprecher des Oberlandesgerichts Hamburg, weist die Vorwürfe zurück: "Die Gerichte sind kein Spielball der Politik und entscheiden allein nach Recht und Gesetz", sagte er der Tageszeitung "taz". In dem Blatt wirft auch Burmeisters Anwaltskollege Lino Peters der Hamburger Justiz vor, sich im Zusammenhang mit den G20-Ausschreitungen politisch beeinflussen zu lassen.

Hartes Urteil

Stanislaw B. ist einer von 32 Beschuldigten, die im Zusammenhang mit den Protesten gegen den G20-Gipfel festgenommen und in Untersuchungshaft festgehalten wurden. Zwei Drittel von ihnen sind ausländische Staatsbürger - zum Beispiel aus Frankreich, Spanien und Italien. "Die Hamburger Regierung hat entschieden, eine Botschaft an Ausländer zu senden, die zu Demonstrationen nach Deutschland kommen", sagt Burmeister.

Dies zeige auch die Untersuchungshaft des Niederländers Peike S., die Anwalt Burmeister für einen klaren Fall von Diskriminierung hält: "Juristisch gibt es keinen Grund, jemanden nach Hause gehen zu lassen oder nicht, weil er auf der einen oder anderen Seite der Grenze wohnt."

Deutschland Hamburg - G20 Ausschreitungen: 21 jähriger Niederländer angeklagt
Der 21-jährige Niederländer Peike S. wurde zu zwei Jahren und zehn sieben Monaten Gefängnis verurteiltBild: picture-alliance/dpa/A. Heimken

Im ersten Prozess zu den G20-Ausschreitungen verurteilte das Oberlandesgericht am Montag den 21-jährigen Peike S. zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft, weil er nach Überzeugung des Richters zwei Flaschen auf einen Polizisten geworfen hatte. Er soll sich auch seiner Festnahme widersetzt haben, indem er sich wie ein Embryo zusammenrollte und seine Muskeln anspannte. Die rund 40 Zuschauer - zumeist Unterstützer des Angeklagten - reagierten laut Prozessbeobachtern schockiert auf das Strafmaß, das zehn Monate über der Forderung der Staatsanwältin lag und nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Drastische Vergleiche

Im Gegensatz zu dem verurteilten Niederländer sollte sein Mandant einen Freispruch bekommen, hofft Burmeister. Umso deutlicher sei, sagt der Verteidiger, dass er missbraucht wurde, um eine abschreckende Botschaft zu senden: Vier Wochen lang habe er zum Beispiel auf eine Kontaktlinsenflüssigkeit warten müssen, die er benötige, und seinen Verwandten und seinem Anwalt hätten die Behörden zeitweise Besuche verweigert. "Ich musste damit drohen, an die Presse zugehen oder einen Protest zu organisieren, damit sie seine Mutter zu ihm ließen", erzählt Burmeister.

Doch Oberstaatsanwalt Rinio will keine politischen Tendenzen oder Diskriminierung ausländischer Beschuldigten erkennen und verweist auf ähnliche Anklagen gegen deutsche Staatsangehörige.

Rechtsanwalt Burmeister reagiert alarmiert und zieht Parallelen zu unrühmlichen Praktiken in anderen Ländern: "Das sind Dinge, die Erdogan in der Türkei macht. Er lässt Mitarbeiter von Amnesty International oder Journalisten festnehmen. Darüber sind wir zu Recht erbost, aber gleichzeitig tun wir es in Hamburg. Und ich muss sagen, es ist eine Schande, dass so etwas in Deutschland passiert."