Harald Leibrecht: "Das Russland von heute wäre kaum ein G8-Mitglied"
14. Juli 2006DW-WORLD: Die G7 wurden als Club der führenden Industriestaaten und Demokratien gegründet. Passt Russland Ihrer Meinung nach in diesen Kreis?
Harald Leibrecht: Die derzeitige politische Entwicklung in Russland ist besorgniserregend. Immer wieder hören wir von Menschenrechtsverletzungen, Einschränkungen der Medienfreiheit und vom Rückfall in den politischen Zentralismus. Als Russland Mitglied der G7 wurde, war die Hoffnung groß, dass sich dieses Land politisch positiv entwickeln würde. Diese Hoffnung hat sich unter Putin leider zerschlagen. Ich glaube kaum, dass das Russland von heute G8 Mitglied werden könnte. Nur ein politisch und wirtschaftlich stabiles Russland ist sowohl im Sinne des Westens als auch für die G8 definitiv ein Gewinn.
Außenminister Steinmeier lobte kürzlich die innere Entwicklung in Russland. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Beauftragte der Bundesregierung für den zivilgesellschaftlichen Dialog mit Russland, Andreas Schockenhoff, nahm dagegen an der G8-Gegenkonferenz der Putin-Opposition teil. Wie sehen Sie die deutsche Russlandpolitik?
Mir scheint, dass die Bundesregierung nicht so richtig weiß, wie sie mit Russland weiter verfahren soll. Es wird leider immer noch der gleiche Fehler gemacht wie unter der Regierung Schröder, deren Russland-Politik von der CDU immer kritisiert wurde. Denn diese Politik ist reaktiv und nicht proaktiv. Es gibt einfach keine erkennbare politische Strategie. Das hat sich auch auf den letzten deutsch-russischen Regierungskonsultationen gezeigt. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind prima - und der Rest? Stillschweigen.
Welche Erwartungen haben Sie dann an den G8-Gipfel in St. Petersburg?
Ich hoffe natürlich sehr, dass auf dem G8-Gipfel in Fragen wie Iran, Nordkorea und Energiesicherheit konkrete Ergebnisse erzielt werden. Ein Iran, der Atomwaffen besitzen würde, wäre eine nicht zu kontrollierende Bedrohung für uns alle. Darum müssen die Staatschefs beim G8-Gipfel unmissverständlich darauf hinwirken, dass der Iran auf einen geschlossenen nuklearen Brennstoffkreislauf, der ja erst die Herstellung waffenfähigen Plutoniums ermöglicht, ein für allemal verzichtet. Führende G8-Länder sind auch mächtige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat. Darum muss ein eindeutiges Signal in Richtung Iran von diesem Gipfeltreffen ausgehen. Aber auch die anderen Themen, die von Präsident Putin als Schwerpunktthemen des diesjährigen G8-Gipfels deklariert wurden - Bildung und Kampf gegen die Verbreitung ansteckender Krankheiten - bedürfen unbedingt eines verstärkten und geeinten Engagements der großen Industrienationen.