"Angriffe auf Journalisten schaffen ein Klima der Bedrohung"
21. September 2018DW: Die Medien in den Ländern des westlichen Balkans stehen unter vielfachem Druck, vieles ist in Bezug auf die Meinungs- und Pressefreiheit im Argen. Was sind nach Ihrer Einschätzung die Ursachen?
Harlem Desir: Das größte Problem der Medien im Westbalkan ist die (Gefährdung der) Sicherheit der Journalisten. Wir haben in der Vergangenheit viele Angriffe und Drohungen erlebt. Es gibt immer noch zu viel Straffreiheit für die Täter und eine zu geringe Strafverfolgung. Zum Beispiel wurde kürzlich in Montenegro die Journalistin Olivera Lakic angeschossen. Und die Angreifer sind immer noch nicht gefasst. So etwas erzeugt ein Klima der Bedrohung und sogar Selbstzensur.
Es ist auch eine Frage des Respekts von Seiten der Politik. Die Presse muss respektiert werden, auch wenn sie kritisch ist. Die Presse ist von ihrer Natur her kritisch. Sie ist ein wichtiger Akteur der Demokratie, denn sie ruft die, die an der Macht sind, zur Rechenschaft. Und sie verhilft der Öffentlichkeit zu unabhängiger Information und erlaubt so eine pluralistische Debatte. Es ist deshalb eine sehr wichtige Aufgabe, in den Medien Pluralismus und Vielfalt zu ermöglichen. In vielen Ländern stehen Medien unter sehr starken ökonomischem Druck sowie unter dem Druck der politischen Interessen, die die Medien nutzen, um die öffentliche Meinung zu prägen, sei es für oder sei es gegen die Regierung.
Es ist sehr wichtig, die Entwicklung von unabhängigen Medien zu erlauben, die von professionellem Journalismus angetrieben werden. Wir wollen Qualitäts-Journalismus und Meinungspluralität fördern. Und dafür brauchen wir faire Regeln, Rechtsstaatlichkeit und natürlich die Achtung der Meinungsfreiheit. Und natürlich sollte auch vermieden werden durch die politisch gesteuerte Werbung die Medien zu beeinflussen, Medien zu kaufen, Journalisten zu kaufen und Druck auf Zeitungen auszuüben, die eine andere Meinung vertreten.
Angesichts dieser Analyse - Was tun Sie als OSZE Medienbeauftragter dagegen?
Ich habe im vergangenen Jahr mehr als 40 mal bei Regierungen der Westbalkan-Länder interveniert. Alle diese Länder sind Mitglieder der OSZE, und sie haben sich verpflichtet, die Presse- und Meinungsfreiheit zu achten. Also: Sie gaben mir ein Mandat als dem Repräsentanten für die Medienfreiheit, sich öffentlich oder auf diplomatischem Wege bei ihnen immer dann zu beschweren, wenn es eine Drohung gegen einen Journalisten oder gegen die journalistischen Arbeitsbedingungen gibt oder gegen die Vielfalt und den Pluralismus der Medien. Wir arbeiten also mit ihnen.
Ich habe mehrere Rechtsempfehlungen an die Regierungen bezüglich neuer Reformen und bezüglich von Gesetzentwürfen gegeben. Wir setzen uns dafür ein, dass beispielsweise die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender nachhaltig wird und unabhängig von der Redaktionspolitik. Es ist ein sehr schwieriger Prozess, der, so fürchte ich, lange dauern wird. Aber ich denke, er hat eine große Dringlichkeit. Denn diese Länder sind jetzt in einem Prozess der EU-Annäherung. Und es ist klar, dass es keine Demokratisierung geben kann, wenn es keine freien, unabhängigen und pluralen Medien in den Ländern gibt.
Nach einem Jahr im Amt - Wie sehen Sie die Entwicklung der Medienfreiheit im Westlichen Balkan? Geht die Tendenz Richtung Verbesserung oder Verschlechterung?
Es ist von Land zu Land unterschiedlich. Ich kann sagen, dass wir etwa in Mazedonien im letzten Jahr viele Veränderungen gesehen haben. Das Klima für die Medien ist ganz anders geworden, und auch die Gesetzgebung für die Medien wird besser. Aber was wir in der ganzen Region auch sehen ist, dass es immer noch viele Bedrohungen von Journalisten gibt. Es gibt immer noch eine Lücke zwischen der Gesetzgebung, die in den meisten Fällen gut ist, und ihrer Umsetzung, die nicht einen wirklichen Respekt gegenüber dem Pluralismus und der Unabhängigkeit der Medien reflektiert.
Es lastet natürlich großer wirtschaftlicher Druck auf den Medien, wie überall in der Welt. Aber es ist noch schwieriger in dieser Region, denn die Märkte sind kleiner. Ich denke, es besteht die Notwendigkeit, die Digitalisierung und Anpassung zu unterstützen. So können wir garantieren, dass in der Zukunft eine vibrierende und plurale Medienlandschaft mit Qualitäts-Journalismus besteht. Und deshalb unterstützen wir auch die Medienregulierung, den Aufbau von Presseräten und die Achtung der Arbeitsrechte für Journalisten, um starke Journalisten in den Medien zu haben, die in die Lage sind, sich frei von politischem Druck zu machen.
Harlem Desir ist ein französischer Politiker der Parti socialiste und Staatssekretär für Europafragen im französischen Außenministerium sowie seit 2017 OSZE-Beauftragter für die Freiheit der Medien.
Das Gespräch führte Adelheid Feilcke