Heftige Proteste in Barcelona
15. Oktober 2019Vor zwei Jahren stimmten die Katalanen trotz eines Justizverbots über eine Abspaltung ihrer Region von Spanien ab. Nun ist klar: Der Großteil der separatistischen Führungsriege muss wegen "Aufruhrs" viele Jahre ins Gefängnis. Nach der Urteilsverkündung gab es deshalb rund um Barcelona heftige Proteste. Auf der Plaça de Catalunya versammelten sich am Montag Tausende Unterstützer der Separatisten. Andere aufgebrachte Unabhängigkeitsbefürworter blockierten Straßen und Gleise in der Hauptstadt Kataloniens. Bei Demonstrationen am Flughafen El Prat kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auf Bildern ist zu sehen, wie Sicherheitskräfte Schlagstöcke gegen Kundgebungsteilnehmer einsetzen und Demonstranten am Boden festhalten. Hunderte Protestierende hatten die Sicherheitskräfte zuvor mit Steinen und Mülleimern beworfen, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Nach Angaben des Flughafenbetreibers Aena wurden 110 Flüge gestrichen. 75 Menschen sollen verletzt worden sein. Das gaben die Rettungsdienste des Flughafens bekannt, ohne Angaben zur Schwere der Verletzungen zu machen.
Aktivisten hatten bereits im Vorfeld für den Fall einer Verurteilung eine Kampagne des "zivilen Ungehorsams" angekündigt. Die Zentralregierung verstärkte daraufhin die Polizeipräsenz in der Region. Auch in den nächsten Tagen werden zahlreiche weitere Kundgebungen und Proteste erwartet.
Freiheitsentzug wegen Aufruhrs
In einem ebenso historischen wie umstrittenen Prozess vor dem Obersten Gericht in Madrid waren am Montag neun katalanische Separatistenführer zu Haftstrafen zwischen 9 und 13 Jahren verurteilt worden. Gegen drei weitere Angeklagte wurden Geldstrafen in Höhe von 60.000 Euro verhängt.
In dem Verfahren ging es um die Rolle der Angeklagten bei dem von der Justiz verbotenen Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 und einem daraus resultierenden Unabhängigkeitsbeschluss der Regionalregierung. Die Separatisten wurden des "Aufruhrs" für schuldig befunden, von einer Verurteilung wegen des von der Staatsanwaltschaft eingebrachten Vorwurfs der Rebellion, der mit Gefängnisstrafen von bis zu 25 Jahren geahndet wird, sahen die sieben zuständigen Richter ab. Allerdings wurden einige der Politiker auch wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder schuldig gesprochen.
Der frühere stellvertretende Regionalpräsident Oriol Junqueras erhielt als Hauptangeklagter die Höchststrafe von 13 Jahren. Genau wie acht seiner Mitstreiter sitzt er bereits seit zwei Jahren in Untersuchungshaft. Ex-Parlamentspräsidentin Carme Forcadell muss elfeinhalb Jahre ins Gefängnis.
Puigdemont erneut international gesucht
Der damalige Regionalpräsident Carles Puigdemont stand nicht vor Gericht: Er war im Herbst 2017 zusammen mit anderen Politikern vor einer Festnahme ins Exil nach Belgien geflohen. Bei einem öffentlichen Auftritt bezeichnete Puigdemont nun die Urteile als "unmenschlich". Jegliche Reaktion darauf müsse aber "demokratisch und gewaltlos sein". Die spanischen Justizbehörden haben derweil am Montag einen zeitweise zurückgezogenen internationalen Haftbefehl gegen ihn wieder aktiviert, um ihm doch noch in Spanien den Prozess zu machen.
Puigdemonts Nachfolger im Amt des Regionalpräsidenten, Quim Torra, kritisierte den Freiheitsentzug der Separatisten ebenfalls: "Die Regionalregierung und ich lehnen diese Urteile als ungerecht und undemokratisch ab." Man werde weiter auf eine katalanische Republik hinarbeiten. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez forderte dagegen, die unabhängige Arbeit der Justiz anzuerkennen und die Urteile zu respektieren: "Niemand steht über dem Gesetz." Das Ende des Verfahrens öffne eine "neue Phase" für das Zusammenleben und den Dialog in der Krisenregion. Wie die Spitzen anderer großer Parteien sprach er von einem "vorbildlichen Gerichtsverfahren".
Das Urteil kommt im Vorfeld vorgezogener Neuwahlen in Spanien. Weil nach der Wahl im April auch in monatelangen Verhandlungen keine Regierungsbildung möglich war, hatte der amtierende sozialistische Regierungschef Sánchez diese für den 10. November ausgerufen. Es ist die vierte derartige Abstimmung in vier Jahren. Inwieweit die Gerichtsentscheidung die Parlamentsneuwahl beeinflussen wird, ist noch unklar.
ie/qu (afp, dpa, ap)