Harte Wortwechsel zu Asylpolitik im Bundestag
4. Juli 2018In der sogenannten Generaldebatte des Bundestages hat Kanzlerin Angela Merkel den Asyl-Kompromiss mit der CSU verteidigt, zugleich aber europäische Antworten in der Flüchtlingspolitik gefordert. Der Umgang mit dem Thema Migration werde darüber entscheiden, ob die Europäische Union Bestand habe, sagte sie vor den Abgeordneten.
Es brauche rechtlich tragbare, realistische, solidarische Antworten, die die Menschen nicht überforderten, betonte Merkel. "Es muss mehr Ordnung in alle Arten der Migration kommen, damit Menschen den Eindruck haben, Recht und Ordnung werden durchgesetzt."
Beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche habe man sich in langen Diskussionen und trotz unterschiedlicher Interessen darauf verständigt, dass der Umgang mit Migranten keine Frage für einzelne Länder in Europa sei, sondern "dass es eine Aufgabe ist, die alle angeht", sagte Merkel. In der Asylpolitik müssten deshalb interne Maßnahmen und europäische Zusammenarbeit Hand in Hand gehen. Flüchtlinge könnten sich nicht einfach aussuchen, in welchem Land sie ein Asylverfahren durchlaufen.
Vorbild Griechenland?
Mit Griechenland sei bereits vereinbart, dass dort registrierte Flüchtlinge aus dem "grenznahen Bereich" direkt zurückgeschickt werden könnten, sagte Merkel. Im Gegenzug sollen im Rahmen des Familiennachzugs Menschen aus Griechenland nach Deutschland kommen können. Ähnliche Abmachungen sollten auch mit anderen Ländern geschlossen werden. Innenminister Horst Seehofer (CSU) werde entsprechende Gespräche führen.
Die Kanzlerin hob in der Debatte über den Haushalt 2018 hervor, dass darin keine neuen Schulden gemacht würden. Ziel sei ein "besserer Zusammenhalt der Gesellschaft". Deutschland könne sein Schicksal nur gemeinsam mit anderen Ländern gestalten. "Es geht um Richtungsentscheidungen in diesen Jahren", sagte sie. Als Beispiel nannte Merkel die Bereiche Klima, Wirtschaft, Umwelt. "Deutschlands Zukunft ist auf das Engste verbunden mit der Zukunft der globalen Ordnung."
Nahles mahnt Sacharbeit an
Die SPD-Vorsitzende Andre Nahles stellte sich hinter die bisherige Arbeit der Bundesregierung und rief die Unionsparteien auf, nach dem heftigen Konflikt um die Asylpolitik wieder in die Sacharbeit einzusteigen. In der Generaldebatte nannte Nahles etwa die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung, das beschlossene Recht zur Rückkehr in Vollzeit und beschlossene Entlastungen für Familien als Erfolge der großen Koalition.
"Leider ist der Regierungsmotor in den letzten drei Wochen ins Stottern gekommen", fügte sie mit Blick auf den erbitterten Streit der Unionsparteien um die Asylpolitik hinzu. Es gebe keinen Grund, in der Asylpolitik etwas anderes als umzusetzen als das im Koalitionsvertrag vereinbarte, unterstrich Nahles. Schließlich gebe es seit der Unterzeichnung des Vertrags keine neue Sachlage. In Bezug auf die neuen Vereinbarungen der Unionsparteien hob Nahles die Grundsätze der SPD hervor: "Keine nationalen Alleingänge, rechtsstaatliche Verfahren müssen eingehalten werden, geschlossene Lager lehnen wir ab."
AfD fordert Merkels Rücktritt
Scharfe Töne kamen in der Generaldebatte aus dem Oppositionslager. Als größte Oppositionspartei hat die AfD das erste Rederecht. Im Plenum kritisierte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel die aktuelle Unionskrise als "unwürdiges Schauspiel" und machte der Kanzlerin heftige Vorwürfe. "Deutschland ist unter Ihrer Regierung vom Motor und Stabilitätsanker zum Chaosfaktor geworden", sagte Weidel. Sie hielt Merkel vor, Deutschland und Europa gespalten zu haben. Der Haushalt sei ein Haushalt des "Weiter so". Weidel warf Innenminister Seehofer und seiner Partei vor, in der Frage der Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze eingeknickt zu sein. Deutschland werde von seinen Nachbarn als "Narrenhaus" wahrgenommen, dessen Zentrale das Kanzleramt sei, so die AfD-Fraktionsvorsitzende. Weidel erneuerte im Bundestag die Forderung an Merkel, als Kanzlerin zurückzutreten.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter nannte den Unionsstreit zur Asylpolitik "beispiellos in seiner Verantwortungslosigkeit". Die Regierung habe damit "massive Verunsicherung" ausgelöst. "Die Menschen sehen, dass diese Regierung keine Probleme mehr löst, sondern dass diese Regierung selbst das Problem ist." Der CSU warf der Grünen-Politiker vor, sie habe sich in einen "populistischen Rausch" hineingesteigert. Was sie plane, habe "mit der Lebenswirklichkeit der Leute nur noch verdammt wenig zu tun". Die geplanten "Transitzentren" seien "ein Dammbruch der Unmenschlichkeit". Hofreiter fügte hinzu: "Der Rückzug ins nationale Schneckenhaus löst keines der Probleme".
Linke warnt vor Vertrauensverlust
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch warnte vor einem weiteren Vertrauensverlust in den Staat als Folge des Asylstreits. Die Kanzlerin habe die soziale Spaltung in Deutschland und Europa "gnadenlos vorangetrieben", sagte er. Unter Merkels Kanzlerschaft habe sich die Zahl der Vermögensmillionäre verdoppelt, in derselben Zeit habe es auch eine Verdopplung der Kinderarmut gegeben. Die "rüde Sparpolitik" der Kanzlerin zerstöre das Gemeinwesen, so der Linken-Politiker.
FDP-Chef Christian Lindner bezeichnete Seehofer als klaren Verlierer im Asylstreit. "Ich glaube, im Bundeskanzleramt biegen die sich vor Lachen, Herr Seehofer", so Lindner im Bundestag. Der Kompromiss der Unionsparteien sei zudem kein wirksames Mittel, um unerwünschte Migration zu verhindern, betonte er. "Außerdem haben wir, anders als man das als CSU-Politiker glaubt, nicht nur eine bayerisch-österreichische Grenze, sondern wir haben auch noch andere Grenzen."
Anders als der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß, der 1976 für einige Wochen die Trennung von der CDU veranlasste, spalte Seehofer nicht nur das Unionslager, das damals in der Opposition gewesen sei. "Horst Seehofer ist nicht nur in der Lage, die Unionsfamilie zu spalten, sondern eine ganze Regierung in eine Instabilität zu bringen", erklärte Lindner. Der Koalitionspartner SPD habe nun angesichts des Kompromisses die Wahl, die Regierungskrise zu verlängern oder für die Union die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
kle/pg (dpa, epd, afp, rtr)