Minister gegen Rechts und für Ordnung
22. September 2018Das Saarland ist ein sehr kleines Bundesland an der Grenze zu Frankreich. Weniger als eine Million Einwohner, eine Fläche von der Größe Moskaus, früher eine Bergbauregion. Hier hat die politische Karriere von Heiko Maas fast aufgehört, bevor sie richtig anfangen konnte. Lange hat er die Sozialdemokraten hier angeführt, eine Wahl gewinnen konnte er aber nicht. Bei seinem letzten Anlauf 2012 scheiterte er ganz knapp.
Dass Heiko Maas sechs Jahre später der beliebteste Politiker Deutschlands sein würde, war in etwa so wahrscheinlich wie ein Gewinn der Deutschen Fußballmeisterschaft für den 1. FC Saarbrücken. Seit einem halben Jahr ist er nun Berlins Top-Diplomat und die Deutschen mögen keinen Politiker mehr als Heiko Maas. Er selbst findet es "aufregend", jetzt Außenminister zu sein, sagt er im Gespräch mit der DW, weil er so viel lerne - über das Ausland, aber auch über Deutschland.
Er lässt sich beraten und hört zu
Viel lernen musste er in der Tat. Im Saarland hieß Außenpolitik für ihn vor allem, die Beziehungen zu Frankreich zu pflegen und auch danach hatte er nicht viel mit Diplomatie zu tun. 2013 wurde der Jurist Maas überraschend Justizminister im Kabinett Merkel. Den viel angeseheneren Posten des Außenministers bekam er vier Jahre später auch, weil zwei andere Sozialdemokraten sich nicht einigen konnten. Maas war der lachende Dritte - und hatte auf einmal Trump, Syrien und den Brexit auf dem Schreibtisch liegen.
Heiko Maas hat das geballte Wissen des Auswärtigen Amtes seitdem regelrecht eingesogen, sagen sie im Ministerium. Er sucht die Expertise der Botschafter und Beamten, lässt sich beraten und hört zu. Er setzt aber auch da an, wo er sich auskennt. Beim Recht. Für die "regelbasierte Ordnung" kämpft er als Außenminister auf der ganzen Welt. "Das treibt mich sicherlich am meisten um", sagt er im DW-Gespräch. Der Jurist Maas versteht unter Ordnung gerade auch, "dass internationale Verträge nicht gebrochen werden, oder man sich einseitig daraus zurückzieht."
Europe United statt America first
Wie sehr die geordnete Welt, die "regelbasierte internationale Ordnung", unter Druck ist, erlebte Maas gleich zu Beginn seiner Amtszeit. US-Präsident Trump kündigte erst das Pariser Klima-Abkommen, zog dann eine G7-Vereinbarung zurück und ließ schließlich das Iran-Abkommen platzen. Maas‘ Reaktion: eine realistischere Neuausrichtung der transatlantischen Beziehungen. Der deutsche Außenminister formuliert "rote Linien": wenn etwa US-Sanktionen Deutschland träfen, werde man sich das von den USA nicht gefallen lassen.
Weil Maas weiß, dass Deutschland allein einem Donald Trump wenig entgegensetzen kann, setzt er auf Verbündete. Zu allererst auf die europäischen. Maas beschwört bei jeder Gelegenheit die Macht einer geschlossenen Europäischen Union. Sein Profilbild bei Twitter ändert er vorübergehend in eine Europafahne, sein Slogan wird "Europe United". Es ist zwar nur ein Appell und an den Differenzen innerhalb der EU kann auch Maas so schnell nichts ändern, aber wenn er vom "Kontinent der 500 Millionen" spricht, klingt er mehr nach Frankreichs Präsident Macron als nach Kanzlerin Merkel.
Ein Treffen mit jungen Leuten in der mazedonischen Hauptstadt Skopje letzte Woche. Maas ist beflügelt von der Europa-Begeisterung hier auf dem Balkan. Seine Zuhörer wollen unbedingt in die EU - das beeindruckt Heiko Maas. Dann taut der oft nüchtern wirkende Saarländer auf. Dann erzählt er, dass er 1966 geboren wurde und seine Generation für nichts kämpfen musste. Er bemängelt dann die Bequemlichkeit vieler Landsleute, die zwar Freiheit und Demokratie schätzten, aber zu wenig dafür einstünden.
Maas kann das sagen, denn er selbst engagiert sich seit Jahren gegen Feinde der Demokratie. Als Justizminister hat er sich durch eine klare Haltung gegen Hetze und Rechtsradikalismus hervorgetan. Als Außenminister macht er weiter: "Das ist eine Bürgerpflicht - gerade auch bei unserer Geschichte", sagt er. Bei seiner Antrittsrede im März hat Maas erklärt, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen. Im August hat Maas als erster Außenminister seit einem Vierteljahrhundert das Vernichtungslager besucht. "Das ist der schrecklichste Ort der Welt", hat er da gesagt. Eine Verpflichtung ist es für Maas auch.
Saarland-Southgate
Zwei Auszeichnungen hat ihm sein Engagement in den letzten Jahren eingebracht. Einen vom internationalen Auschwitz-Komitee und einen von der Union progressiver Juden. Aber noch eine Ehrung von Heiko Maas ist überliefert: 2016 hat ihn ein Magazin zum "bestangezogenen Mann in Deutschland" gewählt. Seine Stilsicherheit war zuletzt in Skopje zu sehen. Einen ganzen Nachmittag trug er nur die Weste seines Dreiteilers - ohne Jackett. Das sah sehr nach Englands Nationaltrainer Garreth Southgate aus und gar nicht nach deutschen Politikern vom Schlage Helmut Kohl, oder Gerhard Schröder.
Von den Alpha-Tieren der deutschen Politik unterscheidet sich Maas aber nicht nur optisch. Er ist kein unbedingter Machtmensch, kein Impulspolitiker, erst recht kein Spieler. Spricht man mit erfahrenen Diplomaten, so finden viele die sachliche Art des Ministers, sein geordnetes, strukturiertes Vorgehen als wohltuend. Irgendwie wirkt er auch demütiger. Vielleicht, weil er nicht ein Leben lang Chef war, vielleicht weil er auch sein Leben neben der Politik schätzt. Maas hat Kinder, eine erfolgreiche Frau, treibt viel Sport. Zur UN-Woche nimmt er nächste Woche sein Rennrad mit nach New York - aber eben auch eigene politische Ideen.
Eines seiner wichtigsten Projekte wird Maas in New York vorantreiben: Die Idee einer "Allianz der Multilateralisten". Maas versteht darunter eine engere Kooperation mit gleichgesinnten Ländern wie Japan, Kanada oder Südafrika. Maas sammelt immer weitere Verbündete gegen Autokraten wie Trump und Putin, gegen erratische Ad-hoc-Politik im Twitter-Format. In der Initiative bündeln sich Maas‘ tiefe Überzeugung und seine politische Erfahrung: Er will nicht tatenlos zusehen, wenn Regeln verletzt werden. Dafür kämpft er - die Ausdauer hat er allemal.