Brutale Haftanstalt
6. Juni 2013"Wie dieser Knast von innen aussieht? - Keine Ahnung!" Nargess Eskandari-Grünberg lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. Die zierliche Politikerin empfängt ihre Besucher im Frankfurter Römer, dem Rathaus der Stadt. Hier sitzt sie für Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat und setzt sich für eine gelungene Migration und Integration ein - ehrenamtlich. Ihr Geld verdient die 48-Jährige als Psychotherapeutin. In ihrer Praxis behandelt sie viele Landsleute, darunter auch einige, die im iranischen Evin-Gefängnis am Stadtrand der Hauptstadt Teheran inhaftiert waren. "Die Häftlinge müssen bis heute eine lange Zeit Augenbinden tragen", berichtet sie. "Ich selbst könnte Ihnen auf einem Grundriss nicht zeigen, wo ich genau war."
Zu viele Menschen in zu kleinen Zellen
Als junge Frau wurde Nargess Eskandari-Grünberg vom iranischen Mullah-Regime festgenommen und ins Evin-Gefängnis gesperrt. Sie hatte für Frauenrechte und Reformen demonstriert. Mehrere Jahre saß die Iranerin ein - ohne jemals einem Richter vorgeführt worden zu sein. Als sie schließlich freikam, flüchtete sie nach Deutschland.
Ähnliche Geschichten bringen Patienten mit in die Therapiesitzung bei Nargess Eskandari-Grünberg. Auch sie wurden meist aus politischen Gründen inhaftiert. "Nach allem, was ich höre, hat sich im Evin-Gefängnis nicht viel verändert. Das heißt: Es bleibt eine brutale Haftanstalt", erzählt die Stadträtin. "Vor allem gibt es Platzprobleme mit schwierigen hygienischen Umständen. Zu viele Menschen leben hier in zu kleinen Zellen." Nach ihren Informationen kommen etwa sechs Toilettenräume auf 300 bis 400 Menschen. Die genaue Zahl der Häftlinge im Evin-Gefängnis ist unbekannt. Nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) war die Haftanstalt ursprünglich für 320 Personen ausgelegt. Im Januar 2012 sollen dort mehr als 8000 Häftlinge zusammengepfercht gewesen sein.
"Die Füße sind das zweite Gedächtnis"
Wie vor Jahrzehnten auch, so erzählt Nargess Eskandari-Grünberg weiter, beherrschten Folter und Terror die Verhörmethoden in der Haftanstalt. "Das Ziel ist es, an Informationen zu kommen und die Gefangenen dazu zu bringen, andere zu verraten. Ziel ist es, die Menschen zu brechen und ihre Identität zu vernichten."
In iranischen Gefängnissen gebe es ein geflügeltes Wort: "Die Füße sind das zweite Gedächtnis". Damit beschreibt die Politikerin Nargess Eskandari-Grünberg die ihr bekannten Foltermethoden, mit denen Gefängnisinsassen in der Islamischen Republik verhört würden. Die Wärter würden oft mit einer Peitsche auf die Füße schlagen, um ein Geständnis zu bekommen, erzählt sie.
Berichte ihrer Patienten zeigten, so die Therapeutin weiter, dass das Regime seine Methoden über die Jahre noch verfeinert habe: "Die Folter wurde systematisiert und modernisiert." Doch die körperlichen Wunden nach den Misshandlungen seien nach einiger Zeit verheilt. Langwieriger seien die seelischen Verletzungen. Ehemalige Häftlinge kämpften vor allem mit Schuldgefühlen, sagt Nargess Eskandari-Grünberg. "Während der Verhöre wird ein enorm hoher Druck aufgebaut. So lange, bis der Häftling keinen anderen Weg sieht, als Namen zu nennen. Diese Schuld, einen anderen verraten zu haben, verfolgt die Betroffenen ihr Leben lang."
Enttäuscht von der Bundesregierung
Enttäuscht ist die grüne Stadträtin über die Politik der Bundesregierung angesichts dieser andauernden Menschenrechtsverletzungen. Deutschland habe seine wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran immer weiter ausgebaut. "Egal wer an der Regierung ist, stehen oft die wirtschaftlichen Interessen vor dem Schutz der Menschenrechte. Das finde ich nicht nur traurig, sondern skandalös."
Die Grünen-Politikerin hat es sich zum Ziel gesetzt, daran etwas zu ändern und auf die Verletzungen der Menschenrechte insbesondere im Iran aufmerksam zu machen. Sie erklärt ihr Engagement so: "Eigene Erfahrungen prädestinieren vielleicht dazu, anderen zu helfen. Ich glaube nach wie vor an die Menschlichkeit und es lohnt sich zu zeigen, dass es Hoffnung gibt."