Theresa May will "keinen Blankoscheck"
19. April 2017Wie immer war es jene schwarze Tür, vor der britische Regierungschefs ihre wichtigsten Erklärungen abgeben. Diesmal aber hatte Theresa May vor Downing Street 10 tatsächlich einen Coup gelandet. Selbst die Hauptstadtpresse wusste bis kurz vor dem Termin am Dienstagmittag nicht, dass die Premierministerin Neuwahlen für den 8. Juni ankündigen würde.
Doch schon bald nach dem Statement wuchs bei ihren politischen Gegnern der Unmut. Sie wolle eine Generalvollmacht für die Brexit-Verhandlungen mit der EU, hieß es - und sie plane, die Schwäche der Labour-Partei auszunutzen. Jetzt kontert May in einem Interview der BBC, an diesen Vorwürfen sei nichts dran. "Es ist kein Blankoscheck, wenn ich den Leuten sage, schaut, was wir schon getan haben."
"Kritischster Zeitpunkt" im Ringen mit der EU
Die Premierministerin verwies auf den Fahrplan der Ausstiegsgespräche. Just vor deren Abschluss hätte regulär der Wahlkampf für 2020 begonnen - mithin zum "kritischsten Zeitpunkt" im Ringen mit der Europäischen Union. Nach bisheriger Planung muss London die Verhandlungen bis März 2019 abschließen. Wenn nun bereits Anfang Juni gewählt wird, müssen die Briten regulär erst wieder 2022 zu den Urnen gehen. Richtig sei indes, so May, dass die Regierung ihre Position für die EU-Gespräche stärken wolle.
Allerdings gibt es auch gewichtige Gründe im Innern, die Kräfte zu bündeln. Darauf verwies die Konservative in ihrer Ankündigung am Dienstag: „Es sollte Einigkeit in Westminster herrschen, stattdessen herrscht Zwietracht - das Land ist zusammengekommen, Westminster nicht", sagte sie. Was wie eine rhetorisch polierte Floskel klingen könnte, ist in Wahrheit ein Verweis auf die Mühen der Ebene, die im Unterhaus auf die Torys zukommen.
Denn der anstehende Brexit-Marathon ist ein Parcours für Titanen. Damit aus europäischem Recht britisches Recht werden kann, muss die Regierungsfraktion in London mehr als zwölf Einzelgesetze durchs Parlament bringen, vermuten Experten. Da käme eine satte Mehrheit gerade recht. Und Prognosen lassen zum jetzigen Zeitpunkt eine deutliche Stärkung der Konservativen erwarten. Nach gegenwärtigen Umfragen kann May mit einem komfortablen Stimmenzuwachs in sieben Wochen rechnen.
Die oppositionelle Labour-Partei hat signalisiert, dass ihre Fraktion an diesem Mittwoch im House of Commons für Neuwahlen stimmen wird. Auch die Briten stehen tendenziell hinter dem Entschluss: 68 Prozent der Befragten begrüßten in einer Umfrage von Sky Data die Richtungsentscheidung Mays. Nur etwa ein Viertel der 1000 Teilnehmer sprach sich gegen den vorgezogenen Wahltermin aus.
Die größte Gefahr ist damit freilich nicht abgewendet: Der EU-Austritt könnte zu einer Zersplitterung des Königreichs führen. Die Erste Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon, hatte im Streit über den Brexit bereits ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum angekündigt. Und während Nordirland in einer tiefen Regierungskrise steckt, fordert die katholische pro-republikanische Sinn-Fein-Partei ebenfalls ein Referendum - über eine Vereinigung mit der Republik Irland.
jj/se (dpa, afp)