Hoffnung und Skepsis in Nordisrael über die UNIFIL-Mission
1. September 2006Itzik Ohana ist froh, dass der Krieg vorbei ist. Trotzdem hat der 34 Jahre alte Restaurantbesitzer aus Tiberias nur wenig Vertrauen in die Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft, die derzeitige Waffenruhe dauerhaft abzusichern. "Sicherlich", sagt er, "fürs erste werden uns die UNIFIL-Truppen schon mehr Sicherheit bringen, vielleicht haben wir jetzt sogar wieder einmal mehrere Jahre lang Ruhe".
"Hisbollah hat keine Ruhe gegeben"
Aber die internationalen Truppen könnten sich auch schnell an ihrer Aufgabe überheben. Der Nahost-Konflikt sei viel komplizierter, als vielen Politikern außerhalb der Region bewusst sei, meint Ohana. Außerdem strebe die Hisbollah immer noch hartnäckig Israels Vernichtung an und verbessere ständig die Reichweite ihres Waffenarsenals. Und sie habe auch nach Israels letztem Truppenrückzug aus dem Libanon vor sechs Jahren keine Ruhe gegeben. "Wir haben unsere Truppen doch schon einmal von dort zurückgezogen. Damit hätte das doch alles zu Ende sein können. Aber sie haben wieder angefangen. Sie haben unsere Soldaten entführt und unsere Panzer bombardiert. Dadurch ist diese ganze Situation jetzt doch erst entstanden."
Viele Menschen in Nordisrael denken so wie er. Sie hoffen auf mehr Sicherheit in nächster Zeit, bezweifeln aber, dass es UNIFIL gelingen wird, dauerhaft den Waffenschmuggel zu unterbinden - oder gar die Hisbollah zu entwaffnen. Auch die regulären libanesischen Truppen seien dafür zu schwach und hätten vielleicht auch nicht den Mut oder Willen dazu, sagen viele.
Wurde der Krieg gegen die Hisbollah zu früh beendet?
Viele Menschen glauben zudem, dass nicht nur die Hisbollah, sondern auch ihre Unterstützer Syrien und den Iran längerfristig Angriffspläne hegen, im Falle Teherans womöglich sogar mit Atomwaffen. Viele fragen aber auch kritisch, was der jetzige Krieg für ihre Sicherheit gebracht habe und ob er nicht zu früh beendet worden sei - wie dieser junge Mann hier aus der nordisraelischen Küstenstadt Nahariya: "In so einem Krieg gibt es keine Gewinner und keine Verlierer. Wir wollten bestimmte Ziele erreichen. Aber wir haben nichts erreicht. Die Hisbollah wurde nicht entwaffnet. Und unsere gefangenen Soldaten wurden dabei ebenfalls nicht befreit. Also, was haben wir überhaupt erreicht? Nur Tote auf beiden Seiten."
In Nordisrael schlugen während des Krieges täglich bis zu 150 Raketen ein. 43 Zivilisten wurden getötet, Hunderttausende flüchteten nach Südisrael, die übrigen mussten mehrfach täglich Schutz in unterirdischen Bunkern suchen. Besonders dramatisch war die Situation in Städten wie Kiriyat Schmona, die nur wenige Kilometer entfernt von der libanesischen Grenze liegen.
Kiriyat Schmona als ständiges Ziel von Raketen
Wie durch ein Wunder kamen in Kiriyat Schmona keine Zivilisten ums Leben. Aber mehr als 100 Menschen wurden verletzt, 17.000 von insgesamt 24.000 Einwohnern flohen Richtung Süden, 2000 Häuser wurden beschädigt oder zerstört - darunter auch das von Rathaus-Sprecher Doron Schnapper. Auch er glaubt kaum, dass es der UNIFIL gelingen wird, dauerhaft Angriffe auf seine Stadt zu unterbinden: "In Kiriyat Schmona sind seit 1968 insgesamt rund 5000 Raketen eingeschlagen. Es gibt kein einziges Haus in dieser Stadt, dass in dieser Zeit nicht von einer Rakete beschädigt worden wäre. 6500 Häuser seit damals plus 2000 Häuser jetzt in diesem Krieg - das sind insgesamt 8500 Häuser, die hier von Raketen getroffen wurden! Die Welt weiß überhaupt nicht, was hier passiert! Aber anders als die Menschen im Libanon beklagen wir uns auch nicht darüber."
Der Vorwurf, dass die internationale Gemeinschaft und insbesondere die internationalen Medien allzu einseitig auf das Leiden im Libanon fokussiert seien, ist in Nordisrael immer wieder zu hören - auch von Julya Glicklich aus Haifa. Sie weiß, dass im Libanon weit mehr Menschen gestorben sind als in Israel. Aber sie fühlt sich trotzdem ungerecht behandelt, weil sie persönlich betroffen ist.
"Ich möchte den Menschen unsere Seite zeigen"
Die 23-jährige Studentin hat im Krieg mit der Hisbollah ihren Vater verloren. Die Rakete traf sein Auto abends auf dem Heimweg von der Arbeit. Er war sofort tot, sein Körper bis zur Unkenntlichkeit entstellt. "In den internationalen Fernsehsendern werden immer nur die Bilder von den Opfern im Libanon gezeigt und Israel wird dafür beschuldigt. Ich möchte den Menschen unsere Seite zeigen. Hier werden unschuldige Menschen getötet, die niemandem etwas getan haben! Und niemand interessiert sich dafür", sagt Julya Glicklich und weint.
Julya Glicklich trauert nicht nur um ihren Vater. Seit seinem Tod hat sie auch selber große Angst. Die Aussicht auf mehr internationale Truppen im Grenzgebiet kann ihr diese Angst bisher nicht nehmen. Sie habe nur wenig Ahnung von Politik, sagt sie, auch ihr Vater habe sich nie besonders dafür interessiert. Sie wisse daher nicht, ob ihr die UNIFIL mehr Sicherheit bringen werde. Sie könne es nur hoffen.