Suche nach Normalität zwischen den Trümmern
17. August 2006Barry Silverberg ist Englisch-Lehrer in Kirjat Shmona. Obwohl er sich freut, dass nach fünf Wochen Dauerbeschuss - mindestens 800 Geschosse schlugen in der 20.000 Einwohner zählenden Stadt ein - endlich wieder Ruhe eingekehrt ist, kann er doch seine Verärgerung über die israelische Regierung nicht verhehlen. "Die Leute in Kirjat Shmona sehen es so: Die Regierung hat uns an den Feind verkauft. Sie sind sehr verärgert. Diejenigen, die hier geblieben sind, haben einen Monat lang die Hölle durchlebt. Und wofür? Was hat die Regierung getan? Sie hat die Aufgabe nicht beendet, aber sie hat die Leute ins Unglück gestürzt. Die Leute beweinen ihre Toten."
Der Krieg sei doch geführt worden, um die verschleppten Soldaten zurückzuholen und um dafür zu sorgen, dass die Hisbollah Israel nicht länger angreifen könne, sagt er. Den Krieg zu stoppen, bevor diese Ziele erreicht seien, sei ein Zeichen an die islamische Welt, dass Israel geschlagen werden könne. "Israel ist ein winziges Land mit ein paar Millionen Einwohnern, umgeben von riesigen Supermächten, die es vernichten wollen. Wer sich weigert, das zu sehen, lebt in einer Traumwelt."
Trügerische Ruhe
Auch der Reservesoldat Ro'i Menachem traut dem Frieden nicht. Er glaubt, dass Israel im Libanon einen Krieg gegen den islamistischen Terror geführt hat, und dass die Waffenruhe noch längst nicht das Ende der Auseinandersetzungen bedeutet. "Das Problem ist nicht eindeutig gelöst worden, das sieht doch jeder. Man spricht schon über den nächsten Krieg. Offenbar kann das Problem nicht so schnell gelöst werden, man muss es an der Wurzel anpacken."
Dennoch plädiert der 27-Jährige, der mit einem Gewehr über der Schulter die Kriegsschäden in Kirjat Shmona begutachtet, für eine diplomatische Lösung. Israel sollte es mit Verhandlungen versuchen, sagt er - aber der Krieg habe im Libanon so viel neuen Hass gesät, dass nun eine friedliche Lösung weiter entfernt sei als je zuvor. "Es ist sehr traurig, die Bilder der Zerstörung zu sehen. Das sind ja unschuldige Menschen, die gar nichts getan haben. Es ist wirklich schwer, da gleichgültig zu bleiben und zu sagen, wir wollen uns nur selbst verteidigen und das interessiert uns überhaupt nicht", sagt er. "Meiner Meinung nach ist das sehr schmerzhaft. Ich kenne keine Lösung. Ich weiß nicht, wie wir das hätten besser machen können, aber es tut sehr weh, dass wir so viel Schaden angerichtet haben."
Freude und Trauer
Ro'i Menachem ist direkt an der Grenze stationiert. Zu Beginn der Woche hätte er mit seiner Einheit in den Libanon gehen sollen, um dort andere Reservisten abzulösen. Die Waffenruhe seit dem 14. August hat ihm den Einsatz im Feindesland erspart. Nun wartet er auf seine Entlassung aus dem Reservedienst und die Rückkehr an seine Hochschule, wo er eine Ausbildung zum Physiotherapeuten macht. "Wir sind wirklich mit viel Motivation gekommen. Wir wollten alles tun, was man von uns verlangt. Irgendwie spüren wir jetzt Freude, in die sich Trauer mischt. Wir sind zwar froh, dass der Krieg zu Ende ist, aber irgendwie bleibt so eine Leere zurück. Die Lage ist sehr zerbrechlich, es ist völlig unklar, was passieren wird. Es ist eine Freude, aber eine Freude mit Einschränkungen."
Auch Moshe Maman freut sich nicht uneingeschränkt über das Ende des Krieges. Ausgerechnet am letzten Tag, am Tag vor der Waffenruhe, wurde sein Haus von einer Katjusha-Rakete getroffen. "Am Sonntag um elf Uhr morgens schlug die Rakete ein. Sie richtete erheblichen Schaden an. Aber Gott sei Dank betrifft es nur mein Eigentum und nicht mein Leben."
Zertrümmerte Teenager-Träume
Der 54-Jährige war mit seiner Familie nicht da, als die Rakete einschlug und sein Haus zerstörte. Gott sei Dank, sagt er immer wieder. Das Wohnzimmer ist noch fast intakt. Bad und Schlafzimmer sind jedoch nicht mehr bewohnbar. "Ich habe viel in das Haus investiert. Meine Tochter, deren Zimmer zerstört ist, trifft das schwer - wegen ihrer Fotos, ihrer Kleider, ihrer Sachen. Ich habe ihr gesagt: 'Das ist nicht wichtig, das machen wir alles neu.' Ja, so sieht es aus."
In der Wand über dem Bett seiner 14-jährigen Tochter klafft ein großes Loch, das ganze Zimmer ist ein einziges Trümmerfeld, nur die rosa Turnschuhe auf dem Boden erinnern daran, dass hier mal ein Teenager gewohnt hat. "Ich hoffe, dass dieser Waffenstillstand hält, und dass wir zu einem normalen Leben zurückkommen können. Das wünsche ich beiden Seiten, denn ich glaube, auch auf der anderen Seite wollen sie in Ruhe leben und das Leben genießen und nicht dauernd Kriege erleiden."