Hohe Hürden für Ausweis-Entziehung
16. März 2015Kerim B. ist mutmaßlich ein Dschihadist - jedenfalls aus Sicht deutscher Sicherheitsbehörden. Der junge Mann soll am 8. März 2014 aus Deutschland ausgereist sein, um im Nahen Osten am Heiligen Krieg teilzunehmen. Gut zwei Wochen später, am 25. März, kehrte er über die Türkei zurück und landete unbehelligt auf dem Düsseldorfer Flughafen. Anfang Juli hat er das Land erneut verlassen, dieses Mal via Amsterdam. Von dort ging die Reise weiter nach Syrien, "um an Kampfhandlungen teilzunehmen". So beschreibt Dieter Romann, Präsident der Bundespolizei, den Fall Kerim B. Als er das nächste Mal deutschen Boden betrat, wurde er nach Romanns Darstellung mit Hilfe eines europäischen Haftbefehls festgenommen.
Kerim B. sei "bei weitem nicht der einzige Fall", sagt der ranghöchste Bundespolizist, der nach eigenem Bekunden rund 100 ähnlich gelagerte Fälle kennt. Doch nur fünfmal habe man solche im Jargon der Sicherheitsbehörden "Gefährder" genannte Personen an der Ausreise hindern können. Deshalb befürworten Männer wie Romann oder der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, schärfere Ausweis-Gesetze. Konkret soll ihnen anstelle des Personalausweises ein Ersatzdokument ausgestellt werden, mit dem sie am Verlassen des Schengen-Raums gehindert werden können.
Vor- und Nachteile des Schengen-Raums
Diesem riesigen Gebiet gehören 26 europäische Länder an. Grenzkontrollen zwischen diesen Staaten sind weitgehend abgeschafft. Von der Bewegungsfreiheit profitieren neben den rund 500 Millionen Bewohnern des Schengen-Raums natürlich auch Schleuserbanden oder potenzielle Terroristen. Mit Hilfe neuer Gesetze für Personalausweise und Reisepässe versprechen sich Sicherheitsexperten in deutschen Amtsstuben, die vom vermeintlichen Terror-Tourismus ausgehende Gefahr verringern zu können. Für ihr Anliegen warben sie am Montagabend in einer öffentlichen Experten-Anhörung des parlamentarischen Innenausschusses.
BKA-Chef Münch steuerte aktuelle Zahlen bei. So seien 650 Islamisten aus Deutschland Richtung Syrien und Irak ausgereist, um sich dort an den Bürgerkriegen zu beteiligen. Gegen 400 Beschuldigte liefen zurzeit Verfahren, im September 2013 seien es gerade einmal 70 gewesen. Und die Zahl der Gefährder liege bei 289. Allen könne man eine Nähe zum "Islamischen Staat" nachsagen. Bei 40 Rückkehrern wisse man, "dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen haben".
Wer unbedingt will, reist illegal über die grüne Grenze aus
Das Gefährdungspotenzial all dieser Personen ist im Gesetzentwurf von Sozialdemokraten und Konservativen mehr oder weniger konkret beschrieben. Demnach zielt das geplante Gesetz auf Personen, "die die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange" Deutschlands gefährden könnten. Weiter ist die Rede davon, "dass aufgrund bestimmter Tatsachen zu besorgen ist", die Betreffenden gehörten einer terroristischen Vereinigung an oder würden sie unterstützen. Derlei Formulierungen sind dem Rechtsprofessor Clemens Arzt von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht viel zu "diffus". Ihm sei aus der Begründung für den Gesetzentwurf "nicht ganz klar geworden", welche Zielrichtung dahinter stecke.
Arzt und sein Kollege Gerrit Hornung von der Universität Passau haben außerdem Bedenken, weil Ersatzausweise für des Terrorismus verdächtige Personen eine ihres Erachtens unzulässige Stigmatisierung bedeuten würden. "Achtung, diese Person ist ein Dschihadist" - das wäre die Botschaft schon bei einer "harmlosen Polizei-Kontrolle" oder wenn ein Kind in der Kita angemeldet werden solle. Abgesehen davon wäre es angesichts der schieren Länge der Schengen-Außengrenzen "problemlos" möglich, über die grüne Grenze ins Zielgebiet zu gelangen, meint Experte Arzt vom Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement.
Dieter Kugelmann von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster hingegen hält das Problem einer möglichen Stigmatisierung bei "entsprechender Gestaltung des Ersatzdokuments" für lösbar. Er weist aber auch auf die hohen Hürden hin, um den Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung zu begründen. Dafür seien "konkrete Anhaltspunkte" nötig, der bloße Verdacht sei unzureichend.