Humoriger Umgang mit dem Holocaust: "Die Blumen von Gestern"
12. Januar 2017Deutsche Welle: Der Film wurde vor kurzem bei den Festivals im deutschen Hof und in Tokio uraufgeführt und kommt jetzt in die Kinos. Japan und Deutschland haben ja Berührungspunkte, was die Vergangenheit betrifft. In Japan geht man nicht so offen mit der eigenen Geschichte um. Wie fielen die Reaktionen auf Ihren Film beim Festival in Tokio aus?
Chris Kraus: Wir waren natürlich froh, dass der Film da überhaupt laufen konnte, Tokio gehört ja zu den A-Festivals. Aber man denkt natürlich tatsächlich: Was hat ein Film über den Holocaust mit Japan zu tun? Natürlich sehr viel. Aber wie viel, das habe ich auch erst dort gelernt. Mich haben die Journalisten und die Zuschauer gefragt, warum ich den Film gemacht habe. Und warum ich den Film auf diese Art und Weise gemacht habe. Die Geschichte von Deutschland und Japan hat ja gerade in der Zeit des Faschismus viel mit einander zu tun. Wir haben ja seinerzeit eine Achse gebildet.
Fast jedes Gespräch mit den Japanern begann mit dem Satz: "Ihr Deutschen macht das ja großartig mit der Aufarbeitung." Es war ein großer Hype in Japan, wir haben den Publikumspreis gewonnen, den ersten Preis des Festivals und auch sofort einen Verleih gefunden. Das hängt schon damit zusammen, dass die sich danach sehnen, überhaupt irgendeine Form von Aufarbeitung dessen, was da geschehen ist, nun auch zu vollziehen. Man hat schon gespürt, wie die Eiterblase in der Kultur wächst und die Nadel irgendwo da sein muss, um diese zum Platzen zu bringen.
Sie haben einen Film gemacht über den Umgang mit dem Holocaust, der auch komödiantische Aspekte aufweist. Das ist ungewöhnlich. Was hat Sie dazu bewogen? In Deutschland wird ja viel getan zur Aufarbeitung des Holocausts. Dennoch: Was fehlt, wenn es darum geht, sich mit dem Thema zu befassen?
Ein Vorbild für dieses Projekt war immer das Buch des Historikers und Soziologen Harald Welzer "Opa war kein Nazi". Ich finde, er ist ein wirklich sehr kluger und origineller Kopf. Welzer hat die These aufgestellt - und auch untermauert -, dass es eine Schere gibt in Deutschland: zwischen der offiziellen Gedenkkultur, die sehr schematisch abläuft, und mit der sich eigentlich jeder identifizieren kann durch persönliche Entlastung. Und, auf der anderen Seite, dem persönlichen Umgang jedes Einzelnen mit den Taten der Vorfahren, der Ahnen. Das hat mich "geflasht".
Inwiefern?
Als ich das Buch las, habe ich mich gleichzeitig mit meiner persönlichen Familiengeschichte auseinandergesetzt. Als ich über meinen Großvater und seine Brüder forschte, habe ich herausgefunden - zu der Familie Kraus gehören ungefähr 100 Menschen - was es in dieser Familie für Auseinandersetzungen, Kämpfe, Streits, aber auch fruchtbare Diskussionen gab. Das war schon enorm. In der Familie hatte man sich vorher auf einen Umgang geeinigt, der dann als vorgefertigte Meinung und Haltung galt. Ich habe mir natürlich gewünscht die Kommunikation, die es in meiner Familie gab, etwas zu erweitern mit dem Film.
Ich habe dann dieses Mittel einer fast komödiantischen Form gewählt, weil mir das eben auch begegnet ist in der Auseinandersetzung in meiner Familie. Ich habe über Jahre hinweg in den Archiven in Deutschland, Lettland und in Polen geforscht. Da herrschte zwischen den Nachfahren, egal welcher Couleur, ein sehr ungezwungener Umgang. Die Deutschen waren irgendwie verkrampft, ich auch! Die Juden überhaupt nicht. Das fand ich interessant und faszinierend. Dann habe ich eine Story gehört über eine real existierende Liebesgeschichte zwischen einem Juden und einer Deutschen, und das war dann der Auslöser für diese Geschichte.
Es gibt ja durchaus Filme in der Kino-Geschichte, die das Thema Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust auch mit komödiantischen Mitteln angehen. Filme von Charlie Chaplin "Der große Diktator", Ernst Lubitschs "Sein oder nicht Sein" und natürlich Roberto Benignis "Das Leben ist schön" wären da zu nennen. Hatten Sie Anknüpfungspunkte?
Man hat ja ganz viele Ansätze und Strömungen, die zusammenkommen und dann knallen die Synapsen durch und dann macht man irgendwas. Ich habe tatsächlich Roberto Benigni sehr bewundert und ich empfand diesen Film nie als reine Komödie. Dafür war zu viel Schmerz drin, obwohl er durchgängig komödiantisch erzählt war. Das, was ihn so interessant gemacht hat, war, dass er den Schmerz nie verloren hat, durch das kleine Kind, das er gezeigt hat, durch die Liebe der Frau zu der Figur...
Ich habe mich immer gefragt: Warum erzählt das ein Italiener? Klar, die haben auch einen Beitrag zum Faschismus geleistet. Aber warum erzählen wir das nicht? Warum ist das nicht möglich? Warum kann man nicht einfach sagen: Ich versuche jetzt was Neues? Es werden ja sehr viele Filme über den Holocaust gedreht, die folgen aber eigentlich immer ausgetretenen Pfaden.
Was meinen Sie damit?
Eine Sache zum Beispiel: Ich wollte die sehr ambivalente Figur der Holocaust-Überlebenden (im Film von Sigrid Marquardt dargestellt) zeigen, die nicht sehr sympathisch ist. Ich habe mich immer geärgert: Warum soll das nicht möglich sein? In einer Filmerzählung Menschen zu zeigen als Opfer, die nicht sympathisch sind. Es ist ja kein Charakteristikum für ein Verbrechen, dass nur sympathische Menschen umgebracht werden. Darum geht es ja überhaupt nicht. Das zielt ja an allem vorbei.
Warum beschäftigt man sich in Deutschland denn immer auf eine ähnliche Art und Weise mit dem Thema Holocaust? Liegt es an einer allzu großen Nähe, an einem Schuldbewusstsein?
Ich habe darauf gar keine Antwort. Als dieser Film entstand, er entstand ja schon vor einigen Jahren als Buch, da gab es beispielsweise die breite rechte Volksbewegung, die es jetzt gibt, noch gar nicht. Aber angelegt war es schon, dass sowas passieren kann. Auf der einen Seite, weil das Thema zu Tode geritten wird - und auf der anderen Seite aber gar nicht begriffen wird, geschweige denn bewältigt. Ich glaube, das ist schon sehr sichtbar, denn sonst könnten diese breiten rechtspopulistischen Bewegungen überhaupt nicht funktionieren, wenn sich die Leute darüber Gedanken machen würden, aus welchem Urgrund sie geschlüpft sind. Die Gefahr, dass sich so etwas wiederholt, ist eben immer noch da.
Wie ist das bei Ihnen persönlich?
Ich bin anders sozialisiert. Als ich jung war, da war völlig ausgeschlossen, dass so etwas nochmal passieren könnte. Da stehe ich jetzt schon erschüttert davor. Merke aber eben, es hat etwas damit zu tun, dass das, was geschehen ist, nicht durchdrungen wurde. Das kann man auch nur, wenn man ganz stark zurückgeht auf sich selbst. Und nicht immer nur sagt: "Die Nazis waren schlechte Menschen. Das waren ganz andere Leute als wir. Die kamen aus dem Universum. Die haben mit uns nichts zu tun!" Das stimmt nicht! Die haben mit uns zu tun. Und uns kann genauso etwas passieren.
Das ist ja immer der Schock, wenn man das in der eigenen Familie erlebt. Ich frage mich natürlich ständig, wie hätte ich gehandelt in der Situation? Weil ich ja mit ähnlichen Voraussetzungen ausgestattet bin, schon erblich durch meinen Großvater. Dann ist man natürlich ganz anders konfrontiert mit dieser Tatsache und man fragt sich natürlich nochmal ganz anders: Wie hätte ich gehandelt? Und dann kommt automatisch eine große Demut, wenn man sich damit beschäftigt. Keine Ahnung, was passiert wäre!
Das Gespräch führte Jochen Kürten
Mehr zum Film und zu Chris Kraus auch in der neuen Ausgabe von Kino. Außerdem dort ein Blick auf den neuen Film des iranischen Oscarpreisträgers Asghar Farhadi "Die Mieterin" ("The Salesman") und Robert Thalheims aktuelles Werk "Kundschafter des Friedens".