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Die Hundert-Tage-Bilanz der Regierung Tsipras

Jannis Papadimitriou / Athen6. Mai 2015

Seit 100 Tagen ist Alexis Tsipras Ministerpräsident in Griechenland. Wichtige Gesetze kommen seitdem über die Ankündigung nicht hinaus, die Verhandlungen mit den Geldgebern stocken. Von Jannis Papadimitriou, Athen.

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Griechenland Tsipras Porträt (Foto: LOUISA GOULIAMAKI/AFP/Getty Images)
Bild: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images

Schon die erste Amtshandlung des Linkspolitikers sorgte für Aufsehen: Wenige Stunden nach seinem Wahlsieg am 25. Januar kürte Tsipras die rechtspopulistische Partei "Unabhängige Griechen" zum Koalitionspartner. Zusammengeschweißt werden Athener Links- und Rechtspopulisten durch gemeinsame Feindbilder- allen voran die aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) bestehende "Troika". Nichts weniger als ein Ende der Sparpolitik stellte die Links-Rechts-Koalition in Aussicht: Der Mindestlohn werde "unverzüglich" auf 751 Euro steigen, der Steuerfreibetrag auf 12.000 Euro angehoben, die von der Vorgängerregierung eingeführte "einheitliche Immobiliensteuer" (ENFIA) abgeschafft, hieß es direkt nach der Wahl. Zudem käme es zur Neuverhandlung des Rettungsprogramms für Griechenland. Widerborstigen EU-Partnern würde man "ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen können" mahnte der frisch gekürte Finanzminister Yanis Varoufakis.

Hundert Tage später fällt die Bilanz nüchtern aus: Hellas ist dem Bankrott näher als je zuvor. Die Anhebung des Mindestlohns wird auf 2016 verschoben, die ENFIA-Steuer bleibt weiterhin in Kraft. Kostas Chryssogonos, EU-Abgeordneter der Linkspartei Syriza, sieht das Glas lieber halb voll als halb leer und spricht von einer Bilanz "mit positiven und negativen Aspekten": Zum Positiven gehörten Sofortmaßnahmen zur Armutsbekämpfung sowie ein Gesetz über längere Rückzahlungsfristen bei Steuerrückständen. Natürlich ließen sich nicht alle Sparmaßnahmen innerhalb von drei Monaten rückgängig machen, sagt Chryssogonos im Gespräch mit der DW - die Menschen müssten einsehen, dass die Linkspartei Syriza für ganze vier Jahre gewählt wurde. Für eine Errungenschaft der neuen Regierung hält der Linkspolitiker nicht zuletzt, dass Verhandlungen mit den Geldgebern nun anders verlaufen und das "Strafritual der Inspektionen" in Athener Ministerien vorbei sei. Dass ein Kompromiss ausbleibt, sei negativ, aber das liege eben an der unnachgiebigen Haltung der Geldgeber, meint Chryssogonos.

Alexis Tsipras im Parlament in Athen (Foto: yhan Mehmet / Anadolu Agency /eingest. sc )
Am Anfang standen viele Versprechungen an die WählerBild: picture alliance

Kaum alternative Finanzquellen in Sicht

Eine andere Auffassung vertritt Politikwissenschaftler Giorgos Tzogopoulos vom Athener Think Tank Eliamep. "In den vergangenen 100 Tagen hat Premier Tsipras immer wieder nach alternativen Geldgebern gesucht - ob in Russland, in China oder sogar im Iran. Er hatte letzten Endes keinen Erfolg damit und nun bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Vereinbarungen mit den bisherigen Geldgebern umzusetzen." Mit seinem Besuch auf Zypern Anfang Februar hatte Tsipras eine hektische Reisediplomatie zur Bildung einer EU-Front gegen die Sparpolitik begonnen. Es folgten weitere Termine in Rom, Paris und Brüssel, die keinen durchschlagenden Erfolg brachten.

Einen vielbeachteten ersten Handschlag mit der Bundeskanzlerin gab es erst beim EU-Gipfel am 12. Februar. Zu diesem Zeitpunkt schlug Finanzminister Yanis Varoufakis einen aggressiven Verhandlungston an und teilte kräftig gegen seine EU-Amtskollegen aus. Das war leider die falsche Strategie, glaubt der Wirtschaftsanalyst und Publizist Makis Andronopoulos. "Die vergangenen 100 Tage waren das Waterloo der Syriza-Leute. Bei den Verhandlungen mit den Geldgebern haben sie alle Fehler gemacht, die man nur machen kann. Ihre Ausgangsanalyse war falsch; dass sie auf Konfrontation oder gar Provokation setzten, war auch verkehrt", empört sich der Analyst im Gespräch mit der DW. Dabei, sagt Andronopoulos, sympathisiere er mit der Linkspartei und glaube an Tsipras. Aber der Regierungschef müsse endlich liefern und sich von linksextremem Ballast befreien, mahnt der Ökonom. Seine große Hoffnung: "Tsipras bringt ein neues Abkommen durch das Parlament, profitiert vom laufenden EZB-Anleihekaufprogramm und setzt dann Neuwahlen an, bei denen Kandidaten des linken Pateiflügels nicht mehr auf den Wahllisten erscheinen."

Als Anführer der innerparteilichen Opposition gilt der "Minister für produktiven Wiederaufbau" Panagiotis Lafazanis, der auch für Energie und Umwelt zuständig ist. In seinen ersten Amtsmonaten fiel er durch seine ablehnende Haltung gegenüber Privatisierungen in Griechenland auf. Eine Ausnahme macht er allerdings für Investoren aus Russland: Bei einem Besuch in Moskau im April verkündete Lafazanis eine "bahnbrechende Kooperation" zwischen beiden Ländern in der Energiepolitik. Wenig später reiste auch Premier Tsipras nach Moskau zu Gesprächen mit Kreml-Chef Wladimir Putin. Lafazanis macht unterdessen weiter von sich reden: Der Zeitung Kathimerini sagte er am Sonntag (3.5.), falls die Linkspartei ihr radikales Programm nicht umsetzen könne, sollte sie die Regierungsverantwortung lieber aufgeben.

Die Drohung mit der Volksabstimmung

Mit dieser Einstellung kann der linke EU-Abgeordnete Kostas Chryssogonos wenig anfangen. "Wir haben doch Regierungsverantwortung bekommen, um sie auszuüben; nicht um sie aufzugeben", sagt der Linkspolitiker der DW. Für öffentlich ausgetragenen Meinungsstreit in den eigenen Reihen hat er trotzdem Verständnis: Syriza sei eben keine Partei wie jede andere, sondern eine Koalition diverser Stimmen und Strömungen. Letzten Endes würden in den zuständigen Parteiorganen Entscheidungen getroffen und "rote Linien" festgesetzt, die für die ganze Partei verbindlich seien, mahnt Chryssogonos. Wegen eben dieser "roten Linien" droht ein Teil der Linkspartei mit einem Referendum, sollten die Verhandlungen mit den Geldgebern scheitern.

Merkel und Tsipras beim EU-Gipfel (Foto: EPA/OLIVIER HOSLET )
Die deutsche Kanzlerin Merkel konnte Tsipras von seiner Politik nicht überzeugenBild: picture-alliance/dpa/O. Hoslet

Kurz nach Amtsantritt der neuen Regierung hatte Verfassungsrechtler Chryssogonos als Erster eine Volksabstimmung ins Gespräch gebracht. Mittlerweile scheint auch Premier Tsipras von der Idee angetan. Dabei würde eine Volksabstimmung nicht viel bringen, glaubt Politikanalyst Giorgos Tzogopoulos: "Alle Umfragen deuten darauf hin, dass die Mehrheit der Griechen eine ausgewogene Kompromisslösung mit den Geldgebern will - auch wenn sie nicht mit den Wahlversprechen der Linkspartei übereinstimmt."