Wie geht es weiter mit dem Mercosur?
26. März 2021Als vor genau 30 Jahren die Präsidenten von Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay in Asunción den Mercosur-Gründungsvertrag unterzeichneten - da war Südamerika noch eine völlig andere Welt. Die Staaten hatten Jahrzehnte brutaler Militärdiktaturen hinter sich. Trotz der geografischen Nähe hatten die vier Länder nicht viel miteinander zu tun.
Mit dem Abkommen zum "Gemeinsamen Markt des Südens" änderte sich das schnell: An Südamerikas Atlantikseite entstand in den 1990er Jahren eine florierende Wirtschaftsgemeinschaft. Der Handel zwischen den Ländern verfünffachte sich. Unternehmen investierten zunehmend in der Region. Allen voran die Autobauer, die regionale Wertschöpfungketten über die Landesgrenzen hinweg aufbauten.
Der Mercosur war auch überraschend erfolgreich bei der Krisenbewältigung. Die Partner halfen sich in den neunziger Jahren gleich mehrfach gegenseitig aus der Bredouille. Auch politisch war der Mercosur erfolgreich: Die Präsidenten der Gemeinschaft verhinderten 1997 gemeinsam einen Militärputsch in Paraguay.
"Ein Elefant, eine Maus und zwei Ameisen"
Dennoch war der Mercosur von Anfang an eine Fehlkonstruktion. Zwar sieht die Gemeinschaft mit einem nominalen Bruttoinlandsprodukt von 1,835 Billionen Dollar und einer Bevölkerung von 270 Millionen Menschen durchaus imposant aus. Der Mercosur zählt zu den sechs größten Wirtschaftsgemeinschaften der Welt.
Doch andererseits konzentrieren sich rund drei Viertel der Wirtschaftsleistung, Bevölkerung und Landfläche auf Brasilien. Guillermo Valles, einer der Unterhändler des Abkommens vor drei Jahrzehnten für Uruguay, sagt, dass der Mercosur ein Abkommen sei "zwischen einem Elefanten, einer Maus und zwei Ameisen."
Diese Unterschiede führten dazu, dass aus dem Mercosur nie eine Gemeinschaft nach dem europäischen Vorbild der EU wurde, wie ursprünglich gewollt. Brasilien, aber auch Argentinien, weigern sich, Souveränität an supranationale Institutionen abzugeben, um für alle gültige Regeln aufzustellen. Es gibt kein funktionierendes Mercosur-Schiedsgericht oder ein Parlament. Viel mehr als eine löchrige Zollunion ist der Staatenbund bis heute nicht, denn der gemeinsamen Außenzoll hat zahlreiche Ausnahmen. Es gibt kein Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung, geschweige denn eine koordinierte Wirtschaftspolitik.
Der fehlende Elan bei der Integration liegt auch daran, dass die EU als Vorbild an Glanz verloren hat. Die EU-Außenpolitik bekommen die Lateinamerikaner vor allem als Abschottungspolitik gegen ihre Agrarprodukte zu spüren. Das zeigt sich jetzt wieder: Nach über 20 Jahren Verhandlungen haben der Mercosur und die EU 2019 ein Freihandelsabkommen verabschiedet. Doch trotz großer Zugeständnisse der Südamerikaner scheint derzeit angesichts der Amazonas- und Umweltpolitik Brasiliens eine Ratifizierung in der EU unwahrscheinlich.
Mehr Politik als Wirtschaft
Der politische Linksruck auf dem Kontinent nach der Jahrtausendwende sorgte für eine zeitweilige Wiederbelebung: Der Sozialdemokrat Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien wollte sein wirtschaftlich boomendes Land zur führenden Regionalmacht Lateinamerikas machen. Der Mercosur sollte das Instrument dafür werden. Eine Garde linker Politiker hatte zu der Zeit neben Lula die politische Bühne betreten. Der Mercosur öffnete sich für neue Partner wie Venezuela und Bolivien, die wirtschaftlich nicht in der Lage waren, sich zu integrieren. Die fehlende Tiefe in der Integration wollte Lula mit Weite wettmachen.
Mit dem Beginn der wirtschaftlichen Krisen vor zehn Jahren, besannen sich die Partnerländer wieder auf ihre nationalen Interessen. Sie jagen sich gegenseitig mit Subventionen die Firmen ab, die sich im Mercosur ansiedeln wollen. Sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse oder Devisenbeschränkungen werden - vor allem von Argentinien - über Nacht erhoben.
Mit dem Antritt des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro in Brasilien und dem Links-Mitte Peronisten Alberto Fernández in Argentinien herrscht diplomatische Eiszeit im Mercosur. In zwei Jahren haben sich die Regierungschefs noch nie getroffen. Das lähmt die Gemeinschaft, die auf den politischen Willen ihrer Regierungen angewiesen ist, weil die Institutionen fehlen.
Vielleicht nur noch als Freihandelszone?
Wie es weiter geht ist unklar. Brasilien, Uruguay und Paraguay wollen Zölle senken. Uruguay und vielleicht auch bald Paraguay wollen ein Abkommen mit China abschließen, Brasilien würde sich gerne mit den USA zusammenschließen. Argentinien will dagegen seine Industrie schützen und sich an keinen weiteren Freihandelsabkommen mehr beteiligen.
Für die Interamerikanische Entwicklungsbank IDB gibt es zwei realistische Optionen für den Mercosur: Die erste besteht darin, das Scheitern des ursprünglichen Modells zu akzeptieren, aber eine Freihandelszone zu erhalten. Die zweite Lösung wäre eine Vertiefung der Integration, mit einem neuen Programm zur Stärkung der Zollunion - was aber derzeit nicht realistisch scheint.
Aber auch ein Ende des Mercosur ist nicht Sicht. Ex-Botschafter Rubens Barbosa, brasilianischer Ex-Botschafter in den USA sagt: "Trotz der Zweifel und Herausforderungen ist keine Regierung bereit, die Existenz des Mercosur infrage zu stellen und den politischen Preis dafür zu zahlen."