"Ich bin ein Berliner": Warum Kennedys Rede so wichtig war
25. Juni 2023Mit großer Spannung wird der Besuch von John F. Kennedy in Deutschland im Juni 1963 erwartet. Die diplomatischen Beziehungen zu den USA gelten seit dessen Amtsantritt 1961 als belastet, besonders wegen der Entscheidung, gegenüber der Sowjetunion auf Zurückhaltung zu setzen. Ein politischer Entschluss, dessen Folgen besonders die Stadt Berlin sehr unmittelbar zu spüren bekommt.
Trotzdem ist der Andrang riesig, als Kennedy nach Besuchen in der damaligen Hauptstadt Bonn, in Köln - wo er die Einwohner der Karnevalshochburg mit dem närrischen Schlachtruf "Alaaf" begeistert -, Frankfurt am Main und Wiesbaden am vierten Tag nach Berlin kommt. Mehr als eine Million Menschen jubeln dem damaligen US-Präsidenten am 26. Juni 1963 auf den Straßen West-Berlins zu. Kennedy ist Hoffnungsträger, zudem fällt der Staatsbesuch auf den 15. Jahrestag des Beginns der Luftbrücke - eine Rettungsmission, für die die West-Berliner Bevölkerung sich an diesem Tag noch einmal dankbar zeigt.
Mit der sogenannten Berlin-Blockade hatte die Sowjetunion ab dem 24. Juni 1948 die Versorgungswege nach West-Berlin über Land und Wasser abgeschnitten. Damit wollte die Sowjetunion die Macht über den nach dem Zweiten Weltkrieg von den westlichen Alliierten besetzten Teil der Stadt erlangen.
Noch am gleichen Tag reagierten die Westalliierten unter Führung der USA mit der Luftbrücke: Die Westmächte versorgten die abgeriegelte Stadt mit mehr als zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern über den Luftweg - mit Militärmaschinen, die von der Bevölkerung "Rosinenbomber" getauft wurden.
Hoffnung und Dankbarkeit
Die Bezeichnung entstand, weil die Besatzungen der Flugzeuge vor der Landung kleine Pakete mit Süßigkeiten, Kaugummis und Rosinen für die wartenden Kinder abwarfen. Die Blockade endete erst am 12. Mai 1949.
Als Kennedy nach Berlin kommt, hat die politische Situation eine damals ungeahnte Entwicklung genommen. West-Berlin ist von einer Mauer umgeben. Die Bevölkerung verbindet mit dem Besuch des US-Präsidenten die Hoffnung auf Freiheit und ein Ende der Teilung, die Familien und Freunde voneinander trennt. Der Besuch ist ein Signal dafür, dass die USA die Stadt nicht aufgeben werden.
Daran hatte es zwischenzeitlich Zweifel gegeben: Der zu diesem Zeitpunkt frisch gewählte Präsident Kennedy hatte im August 1961 nicht interveniert, als die DDR mit dem Mauerbau begann. Historiker gehen davon aus, dass Kennedy die Gefahr eines Atomkriegs sah und den sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow für unberechenbar hielt.
Vor seiner Rede am Rathaus Schöneberg, damals Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt, erlebt Kennedy eine Triumphfahrt durch die Stadt. Im offenen Wagen fährt er mit Brandt und Bundeskanzler Konrad Adenauer durch West-Berlin, vorbei an jubelnden Menschenmassen.
Vorbild in der Antike
Nach Stationen am Brandenburger Tor und am Checkpoint Charlie, wo sich im Herbst 1961 US-amerikanische und sowjetische Panzer gegenüber gestanden hatten, trifft die Kolonne gegen 13 Uhr am Rathaus Schöneberg ein.
Dort ist vor dem Eingang ein Podest aufgebaut, auf dem Kennedy kurz darauf erst Adenauer und Brandt dankt und schließlich seinen General Lucius D. Clay würdigt, der als Militärgouverneur der US-amerikanischen Besatzungszone die Luftbrücke verantwortet hatte - wofür ihm die Menge lautstark applaudiert.
Dann spricht der Präsident den Satz, der in die Geschichtsbücher eingehen soll: "Today, in the world of freedom, the proudest boast is: 'Ich bin ein Berliner.'" ("Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: 'Ich bin ein Berliner.'") Die Masse jubelt und antwortet mit "Kennedy, Kennedy"-Rufen. Aus der Menge ragt ein Transparent in die Höhe: "Wann fällt die Mauer?"
Mit seinem legendären Satz greift Kennedy ein Zitat des römischen Philosophen und Politikers Marcus Cicero auf: "Ich bin ein römischer Bürger." Was in der Antike zum Ausdruck brachte, dass die Bewohner Roms besondere Rechte genossen, soll nun in der abgewandelten Überlieferung uneingeschränkte Solidarität mit der West-Berliner Bevölkerung zum Ausdruck bringen.
Die Idee zu diesem Satz soll Kennedy einige Tage zuvor im Weißen Haus gekommen sein, zu diesem Zeitpunkt noch auf Englisch. Ins Manuskript seines Redenschreibers hatte es der Satz nicht geschafft, auf dem Weg nach Berlin notierte Kennedy ihn schließlich auf Deutsch in Lautschrift: "Ish bin ein Bearleener."
In seiner Rede stärkt Kennedy West-Berlin als willensstarke Insel der Freiheit. Wer behaupte, dass Kommunismus keine Gefahr sei oder sogar das politische System der Zukunft sein werde, solle nach Berlin kommen: "Die Freiheit hat viele Schwierigkeiten, und die Demokratie ist nicht perfekt, aber wir mussten noch nie eine Mauer errichten, um unsere Bürgerinnen und Bürger zu halten, um sie daran zu hindern, uns zu verlassen."
Tatsächlich hatte die Sowjetunion mit dem Mauerbau auf die massenhafte Flucht von DDR-Bürgern reagiert. 2,8 Millionen Menschen sollen zwischen 1949 und 1961 aus der DDR in die Bundesrepublik abgewandert sein, wegen politischer Verfolgung oder wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit.
Kennedy erinnert an die persönlichen Schicksale, an die vom Mauerbau getrennten Familien, um am Ende seiner Rede die entscheidenden Worte zu wiederholen: "All free men, wherever they may live, are citizens of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words 'Ich bin ein Berliner.'" ("Alle freien Menschen, wo immer sie auch leben mögen, sind Bürger von Berlin, und deshalb bin ich als freier Mensch stolz auf die Worte 'Ich bin ein Berliner.'")
Bis zum Fall der Berliner Mauer sollten noch 26 Jahre vergehen. Noch im Jahr seines Berlin-Besuchs, am 22. November 1963, wurde Kennedy in Dallas, Texas durch ein Attentat getötet. Die Hintergründe sind bis heute ungeklärt, unzählige Akten stehen unter Verschluss.