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IKRK: Humanitäre Lage "noch schlimmer"

Dirk Kaufmann16. August 2014

Nada Doumani vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschreibt die prekäre humanitäre Situation im Gazastreifen und Angriffe auf Mitarbeiter. Sie lobt die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Behörden.

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Zertsörte al Qassam Moschee in Nuseirat, Gazastreifen, 09.08.2014 (Foto: imago/Eibner Europa)
Bild: imago/Eibner Europa

DW: Frau Doumani, wie ist die humanitäre Situation in Gaza?

Nada Doumani: Der Waffenstillstand hält. Aber man sollte nicht glauben, nur weil die Kampfhandlungen ausgesetzt sind, wäre alles in Ordnung. Man darf nicht vergessen, dass Gaza auch vorher in einer sehr schwierigen Lage war. Die Infrastruktur ist unterentwickelt, und wenn wir von Infrastruktur sprechen, meinen wir grundsätzliche Dinge: Wasser, Elektrizität, normale ärztliche Versorgung und so weiter. Das war bereits sehr fragil auch vor dem aktuellen Konflikt. Nun sind ungefähr 400.000 Menschen auf der Flucht. Mehr als 16.000 Häuser sind entweder ganz zerstört oder unbewohnbar, mehr als 80 Prozent der Haushalte sind ohne Strom, die Mediziner sind übermüdet. Die Kampfhandlungen haben aufgehört, aber es gibt noch viel zu tun. Es war schon vorher viel zu tun, aber ist es noch schlimmer.

Nada Doumani, Internationales Komitee vom Roten Kreuz (Foto: ICRC)
Nada Doumani, Sprecherin für Israel und die besetzten Gebiete beim IKRK in GenfBild: ICRC

Was wird aktuell am dringendsten gebraucht?

Vor allem Zugang zu Wasser, die Versorgung mit Elektrizität. Für die Krankenhäuser werden Generatoren gebraucht, und für diese Generatoren braucht man Treibstoff. Die Vertriebenen benötigen Unterkunft und Verpflegung sowie andere Dinge des täglichen Lebens. Und wir haben das Problem von Blindgängern - nicht explodierte Munition, die bereits einige Menschen getötet hat, darunter auch einen Journalisten.

Es fehlt an medizinischem Gerät, anderes muss ersetzt werden. Die medizinische Infrastruktur muss wieder instandgesetzt werden. Die Einwohner von Gaza sind traumatisiert, sie brauchen psychosoziale Begleitung. Und man darf auch jene nicht übersehen, die unter chronischen Krankheiten leiden, die nierenkrank sind oder Herzprobleme haben und die auf medizinische Betreuung angewiesen sind. Diese Menschen werden während eines Konflikts oft vergessen.

Wie weit können NGOs in Gaza denn helfen?

Ich kann nur für das Internationale Rote Kreuz sprechen und wir waren seit Beginn des Konflikts an Ort und Stelle. Wir haben das große Problem gehabt, wegen mangelnder Sicherheit oft keinen Zugang zu bekommen. Aber während des ganzen Konflikts haben wir sehr eng mit den Palästinensern zusammengearbeitet. Ihre Mühe ist sehr lobenswert, beim Einsatz von Ambulanzen beispielsweise.

Wir haben permanent Teams im Einsatz, Ärzte, die mit ihren palästinensischen Kollegen zusammenarbeiten. Wir haben medizinische Ausrüstung geliefert und bemühen uns um Versorgung mit Elektrizität. Wir haben Wasser verteilt und haben gleichzeitig Wasserleitungen repariert - in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden und Stadtverwaltungen.

Dabei muss ich eine sehr wichtige Aktivität erwähnen: Den Versuch, die Identität von Patienten zu klären, gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium. Wir versuchen, Patienten ausfindig zu machen, die aus Gaza fortgebracht worden waren - beispielsweise in die Westbank, um dort behandelt zu werden. Und es gibt das Problem der Vermissten: Menschen suchen nach ihren Angehörigen. Und da ist immer noch viel zu tun.

Sie haben den Sicherheitsaspekt erwähnt: Ist Hilfspersonal angegriffen worden, sind Krankenhäuser und Ambulanzen unter Feuer geraten?

Ja, das sind sie. Das haben wir auch offiziell beklagt. Leider sind einige Krankenhäuser und -wagen angegriffen worden. Ob direkt oder indirekt: Sie sind beschädigt worden. Und das ist nach geltendem internationalem Recht und nach humanitären Standards natürlich verboten. Es gibt auch Amtsträger, die getötet worden sind. Zurzeit können wir nicht nachvollziehen, wer da was getan hat. Aber es ist völlig inakzeptabel, Krankenhäuser, Ambulanzfahrzeuge oder medizinisches Personal anzugreifen.

Was erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft, von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen, um die humanitäre Lage verbessern zu können?

Wir sagen, und auch der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Peter Maurer, hat dies getan: Wären die internationalen Gesetze zu den Regeln der Kriegsführung eingehalten worden, hätten wir jetzt nicht dieses Ausmaß an Zerstörungen und dieses menschliche Leid.

Nun müssen die Regierungen klarmachen, dass die Kombattanten sich an die Gesetze halten müssen, und sie müssen dafür sorgen, dass solche Angriffe nicht noch einmal passieren. Und aktuell müssen Regierungen die Hilfsorganisationen materiell unterstützen. Aber die Lösung dieses Problems ist nicht einfach eine Frage humanitärer Hilfe.

Nada Doumani ist Pressesprecherin für Israel und die besetzten Gebiete beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das seinen Sitz im schweizerischen Genf hat. Das IKRK war bereits vor dem Ausbruch des aktuellen Konflikts im Gazastreifen tätig.

Die Fragen stellte Dirk Kaufmann.