Ilkay Gündogan: "Retter" des verunsicherten DFB-Teams?
18. Juni 2023"Klar ist, dass Ilkay Gündogan spielt", sagte Bundestrainer Hansi Flick vor dem letzten Auftritt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in dieser Saison. Die Partie am Dienstagabend in Gelsenkirchen (Anstoß 20:45 Uhr MESZ) gegen Kolumbien bildet den Abschluss einer Reihe von Testspielen, die bisher nicht erfolgreich lief - und das daher die große Chance bietet, mit einem versöhnlichen Ergebnis in die Sommerpause zu gehen. Dabei kommt Gündogan eine tragende Rolle zu.
Beim Unentschieden gegen die Ukraine und der Niederlage in Polen stand der Mittelfeldspieler noch nicht zur Verfügung. Nachdem die Ukrainer die deutsche Abwehrreihe gleich mehrfach alt aussehen ließen und nach vorne wenig lief, war das Spiel in Warschau zwar eine Steigerung, doch trotz einer Überlegenheit von 26:2 Torschüssen gegenüber der polnischen Mannschaft, stand es am Ende 0:1. Gut, dass gegen die Kolumbianer mit Gündogan ein Spieler wieder dabei sein wird, der nicht nur in der Lage ist, seine Mitspieler in aussichtsreiche Positionen zu bringen, sondern der auch selbst regelmäßig Tore erzielt. "Ich kann viel positive Energie und eine gewisse Ruhe reinbringen", sagte der 32-Jährige vor dem Kolumbien-Spiel. In der Rolle des "Heilsbringers" sehe er sich aber nicht.
Mit dem Rückenwind des Triples zur Nationalelf
"Er kommt hier mit einer großen Selbstsicherheit nach einer tollen Saison hin. Das hilft uns viel, er ist ein Leader und ein sehr erfahrener Spieler", hatte Robin Gosens Gündogan bei der DFB-Pressekonferenz am Sonntag gelobt. "Das Gesamtpaket macht ihn zu einem Spieler, der jeder Mannschaft weiterhilft." Der linke Außenbahnspieler war nach seiner Einwechslung gegen Polen selbst ein Lichtblick und brachte enorm viel offensiven Schwung ins Spiel der deutschen Elf.
Zudem weiß er - aus bitterer Erfahrung - wie wichtig Ilkay Gündogan für den Erfolg einer Mannschaft sein kann. Gosens hat mit Inter Mailand vor gut einer Woche das Finale der Champions League gegen Gündogan und Manchester City verloren. Das entscheidende Tor leitete Gündogan ein, indem er den Ball an der gegnerischen Grundlinie unter Kontrolle brachte und zurück ins Spiel brachte. Zwei Kontakte später zappelte das Leder im Netz.
Es war nicht der erste "goldene Moment" Gündogans in den vergangenen Wochen, in denen er mit ManCity das Triple aus englischer Meisterschaft, FA-Cup und Champions League gewann. Das Pokalfinale gegen den Lokalrivalen Manchester United eröffnete er beispielsweise mit einem kompromisslosen Volley-Traumtor aus 17 Metern in den Winkel nach nur 13 Sekunden. Nach dem Ausgleich Uniteds sorgte er mit einem weiteren Volleytor für die Entscheidung. Aber nicht nur, weil immer wieder mal entscheidende Tore schießt, haben seine Mitspieler Gündogan im Sommer 2022 zu ihrem Mannschaftskapitän gewählt.
Der 32-Jährige ist ein Führungspieler der besonderen Art: Keiner, der wie früher Michael Ballack auch mal eine wüste Grätsche gegen Gegner auspackt, um damit ein Zeichen an die eigene Mannschaft zu setzen und die Mitspieler wachzurütteln. Auch keiner, der verbissen und lautstark auf seine Teamkollegen einwirkt, auf dem Platz auch mal brüllt oder einen Mitspieler am Kragen packt und kurz durchschüttelt, wie es früher Matthias Sammer gemacht hätte oder heute Joshua Kimmich vielleicht machen würde.
Er überzeugt durch Leistungen, steht meistens richtig, hat offenbar eine Art "siebten Sinn" wohin der Ball als nächstes kommen wird, läuft auch immer wieder einige Extrameter, um den Fehler eines Teamkollegen auszubügeln, oder den Ball in der Gefahrenzone zu halten. Stets verbreitet er dabei positive Schwingungen und hat offenbar die Gabe, seinen Mitspielern zu vermitteln, dass schon alles gut gehen wird, solange er auf dem Feld steht.
Raus aus der Ergebniskrise
Solch positive Impulse erhofft sich nun auch Hansi Flick von Gündogan, den er als "intelligenten Spieler und feinen Menschen" sowie einen "ruhigen Vertreter, der trotzdem gehört wird" bezeichnet. Die Kritik am Bundestrainer war zuletzt immer lauter geworden. "Vom Ergebnis her ist es absolut enttäuschend", hatte Flick nach dem Spiel in Warschau im ARD-Interview zugegeben. "Die Mannschaft hat es in der zweiten Halbzeit versucht, muss vor dem Tor aber die Chancen kompromissloser machen. Wir brauchen Ergebnisse. Die Überzeugung ist einfach noch nicht da, das müssen wir hinkommen."
Flick, der lange Zeit mehr oder weniger als unantastbar galt, ist durch die zuletzt schwachen Ergebnisse und Leistungen in den Fokus der Kritik geraten. Von den vergangenen 15 Länderspielen unter Flick konnte das DFB-Team lediglich vier gewinnen - gegen eine italienische B-Elf, den Oman, Costa Rica und Peru. Die nach dem frühen WM-Aus in Katar unzufriedenen Fans konnten noch nicht zurückgewonnen werden - eher im Gegenteil. Am Morgen nach der Niederlage in Polen waren im Internet die ersten Umfragen zu finden, ob Flick überhaupt noch der Richtige sei. Er könne die Zweifel und die Kritik "durchaus verstehen", sagte der Bundestrainer. "Aber es gibt natürlich auch Phasen, die dann so verlaufen. Und ich bin absolut überzeugt von dem Weg, den wir gehen."
Plädoyer von Rudi Völler
Überzeugt von Flick gab sich auch DFB-Direktor Rudi Völler, der seinen Auftritt bei der Pressekonferenz am Sonntag für ein minutenlanges Plädoyer für den Bundestrainer nutzte. Alle kritischen Fragen wehrte er mit dem Hinweis ab, Flick sei ein "absoluter Top-Trainer" und sprach ihm zum wiederholten Male eine Jobgarantie aus: "Natürlich wird Hansi Flick Trainer bleiben. Das steht nicht zur Debatte."
Flick widmete sich derweil auf dem Trainingsplatz der Vorbereitung auf das Kolumbien-Spiel. Immer wieder sprach er auch mit Ilkay Gündogan - dem Mann, von dem auch der Bundestrainer weiß, dass er einer seiner absoluten Schlüsselspieler sein wird. Zunächst am Dienstag gegen Kolumbien, dann im noch verbleibenden Jahr bis zum Start der Europameisterschaft und selbstverständlich auch bei der Heim-EM selbst.