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Im Seehandel purzeln die Preise

Dirk Kaufmann
24. November 2022

Die Frachtraten hatten in den Krisenjahren Rekordhöhen erklommen - dieser Trend ist gebrochen. Gleichzeitig lösen sich die Staus vor den großen Häfen auf. Doch ein Grund für grenzenlosen Jubel ist das nicht.

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Ein Arbeiter in Kletterausrüstung sichert Container eines havarierten Schiffes
Container eines havarierten Schiffes werden geborgenBild: picture alliance/dpa

Die Weltwirtschaft leidet noch immer unter den Folgen der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine. So sehr der Welthandel dadurch aus dem Takt gekommen ist, viele Lieferketten gesprengt wurden und das wirtschaftliche Zusammenspiel auf dem Globus herausgefordert ist: Es mehren sich die Zeichen, dass die Lage sich teilweise wieder entspannt.

Der Welthandel wird zu 90 Prozent über die Meere abgewickelt. Und wer an der Küste oder in einer Stadt mit großem Hafen wohnt, hat es selbst gesehen: Die Staus von Containerschiffen, die auf Reede lagen und auf ihre Abfertigung in den Häfen warteten. Diese Staus lösen sich inzwischen spürbar auf.

Zwei hoch beladene Containerschiffe treffen sich an der Elbmündung vor Cuxhaven
Die Schiffsstaus - hier vor dem Hamburger Hafen - lösen sich endlich aufBild: Rust/IMAGO

Billiger als 2019

Das beobachtet auch der Verband der deutschen Reeder (VDR). Dessen Hauptgeschäftsführer Martin Kröger sieht dafür mehrere Gründe, wie etwa die Beendigung von Hafenarbeiterstreiks in Deutschland. Die Situation habe sich insgesamt entspannt und sogar normalisiert: "Die Staus vor der europäischen Küste sehen wir daher als nachhaltig überwunden", sagte er der DW.

Auch der Schiffsraum, also die zur Verfügung stehende Frachtkapazität, ist nicht mehr so knapp wie vor Jahresfrist. Das zeige sich an den Frachtraten, also den Kosten, die für den Transport der Container anfallen - sie sinken wieder deutlich. Martin Kröger: "Die Schifffahrt fährt heute wieder zu Konditionen auf dem Niveau vor der Pandemie."

Das Handelsblatt hat vorgerechnet, dass die Frachtraten teilweise "kaum noch teurer" seien, als vor der Pandemie. So würde der Transport eines 20-Fuß-Containers von China nach Nordeuropa mit duchschnittlich 1479 Dollar zu Buche schlagen, am Anfang dieses Jahres lag der Preis noch bei etwa 8000 Dollar. Weiter heißt es, Lieferungen von Shanghai an die US-Westküste seien sogar billiger als 2019.

Logistisches Auf und Ab

Vincent Stamer vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (Ifw) erklärt den Grund dafür. "Während der Pandemie hatten gerade Europäer und Nordamerikaner verstärkt Güter wie Unterhaltungselektronik, Möbel und Sportgeräte nachgefragt. Unternehmen hatten gleichzeitig versucht, Lieferengpässe zu lösen, indem sie ihre Lager füllten", so Stamer zur DW. Maßgeblich für die aktuelle Entwicklung der Frachtraten sei jetzt "die gesunkene Nachfrage nach physischen Gütern".

Die derzeitigen ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa und den USA lassen die Nachfrage sinken. "Inflation, Rezessionsängste und eine Rotation zu Dienstleistungen drücken die Nachfrage nach Gütern", so Stamer. Weniger Nachfrage führe dann dazu, dass das Angebot an Schiffsraum wieder ausreicht, was sich in sinkenden Frachtraten niederschlägt.

Auf dem Containerhafen in Nanjing stapeln sich die verschieden farbigen Frachtcontainer
Der Containerhafen in Nanjing - von hier aus geht ein großer Teil der Waren auf den Weg nach EuropaBild: CFOTO/picture alliance

Gut für die Verbraucher?

Müsste das nicht auch auf den Konsumentenmärkte zu spüren sein? Ja, sagt Ifw-Ökonom Stamer; "Sinkende Frachtraten sind eine positive Nachricht. Etwa jeden zehnten Euro müssen Unternehmen für Logistik und Transport ausgeben. Daher dürfte die Erholung der Frachtraten die Kosten für die Unternehmen senken und sich letztendlich auch auf die Verbraucherpreise auswirken."

Nein, sagen dagegen die Reeder. Für Deutschland sei die Entwicklung zwar tatsächlich zunächst positiv. Doch die Verbraucher würden die sinkenden Transportkosten kaum merken. Die hätten nämlich nur "einen sehr geringen Anteil am Endkonsumentenpreis der transportierten Güter", so der VDR.

Mit weiter sinkenden Frachtkosten, sagt Martin Kröger, sei auch nicht zu rechnen. Neue Umweltauflagen kosteten "eine Menge Geld." Eine mögliche Ausweitung des europäischen Emissionshandels würde die Reedereien belasten: "Ein striktes Reduktionsregime der EU für CO2 macht sukzessive den Einsatz emissionsfreier Kraftstoffe zur Pflicht, die in Anschaffung und Gebrauch viel teurer sind als herkömmliche fossile Treibstoffe."

Hohe Kosten in Sicht

Bereits im nächsten Jahr, so der VDR, würden neue Vorgaben der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO zur Reduzierung der Emissionen in Kraft treten. Beobachter rechneten daher "mit einem erhöhten Tonnagebedarf, da viele Reedereien die Geschwindigkeit der Schiffe reduzieren werden, um Emissionen einzusparen."

Mittelfristig werden neue Schiffe in Dienst gestellt, die oft bereits bestellt sind. Der Hauptgrund für die Investitionen ist nicht, mehr Tonnage zur Verfügung zu haben, sondern strengere Umweltauflagen erfüllen zu können. "Das alles", so Kröger, "kostet sehr viel Geld." Und das werde sich auch auf die Höhe der Frachtraten auswirken.

Luftaufnahme des Containerterminals im Hamburger Hafen
Auch der Betrieb in den Häfen - hier das Containerterminal Eurogate im Hamburger Hafen - läuft wieder rundBild: Daniel Reinhardt/dpa/picture-alliance

Maritimer Schweinezyklus

Seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spricht man in der Ökonomie von sogenannten Schweinezyklen. Dieser Begriff beschreibt wiederkehrende Schwankungen im Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Am Beispiel der Schweinezucht wurde aufgezeigt, wie das eine Phänomen dem anderen zyklisch hinterherläuft. "Die Reeder erleben nun den Beginn eines neuen Schweinezyklus", ist sich Vincent Stamer sicher. Die Frage sei, wie sich das Angebot an Schiffstonnage einerseits und der Nachfrage nach Schiffsraum andererseits entwickeln. Im Moment scheint es auf ein Überangebot an Frachtraum hinauszulaufen. 

Die deutschen Reeder sehen sich jedenfalls auf dem richtigen Weg, wenn sie ihren Schiffsbestand neuen Umweltstandards anpassen. Vincent Stamer sieht darin eine ökonomische Gefahr für die Branche: Die neuen Frachtschiffe werden "das Angebot an Transportmöglichkeiten erhöhen und weiter Druck auf die Frachtraten ausüben. Man sollte sich in der Branche nicht darauf verlassen, dass die Profite der vergangenen Jahre auch in Zukunft weiter sprudeln."

Das erwartet Martin Kröger vom VDR auch nicht: "Die hohen Gewinnmargen der vergangenen eineinhalb Jahre sind nicht mehr zu erwarten. Dennoch gehen wir weiterhin von einem profitablen Geschäft aus." Und das sei auch nötig, um sich "Investitionen in klimafreundliche Technologien zum Einhalten der Vorgaben zur CO2-Reduktion" auch leisten zu können.