Münchner Sicherheitskonferenz
2. Februar 2012Die Münchner Sicherheitskonferenz vor einem Jahr wurde von der Revolution in der arabischen Welt überrascht. Während in München das Nahost-Quartett tagte und ohne neue Ideen über den jahrzehntealten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern beriet, gingen in Kairo die Massen auf die Straße und lieferten sich blutige Straßenschlachten mit Mubaraks Sicherheitsapparat.
Analyse der Arabischen Rebellion
Für eine strukturierte Diskussion der Ereignisse mit Beteiligung aus den betroffenen Ländern war es damals zu früh. Dies soll auf dieser Konferenz "intensiv nachgeholt werden", hat Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, angekündigt. Zu diesem Zweck werden hochrangige Delegationen aus Ägypten und Libyen erwartet. Auch die Ministerpräsidenten aus Tunesien und Katar werden an der Konferenz teilnehmen. Letzterer wird in München ein heiß begehrter Gesprächspartner sein, hatte Katar doch als erstes Land den Einsatz von arabischen Soldaten in Syrien gefordert. Die Eskalation der Gewalt dort wird ebenso ein Thema sein wie der ungelöste Konflikt über das iranische Atomprogramm.
Sicherheitspartnerschaft mit Russland tritt auf der Stelle
Vergangenes Jahr gab es auf der Münchner Sicherheitskonferenz einen historischen Moment. Mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden setzten Russland und die USA den neuen Start-Vertrag zur beidseitigen Begrenzung der Atomwaffenarsenale in Kraft. Es war das wichtigste Abrüstungsabkommen seit dem Ende des Kalten Kriegs. Doch wer sich erhofft hatte, damit werde ein neues Abrüstungszeitalter eingeleitet, sah sich getäuscht. Russland hat gegenwärtig nicht die Absicht, sein Arsenal von 3800 taktischen Nuklearsprengköpfen zu reduzieren und auch die USA wollen an ihrem taktischen Atomwaffenarsenal weiter festhalten. Auch die Verhandlungen zu einer weiteren Begrenzung der konventionellen Streitkräfte in Europa liegen seit Jahren auf Eis. Moskau hatte sich schon 2007 aus den Gesprächen über Zusatzvereinbarungen zum KSE-Vertrag zurückgezogen.
Im Streit um das geplante US-Raketenabwehrsystem in Europa besteht Moskau weiter auf schriftlichen Sicherheitsgarantien Washingtons. Wolfgang Ischinger beklagt den Stillstand bei den Bemühungen um eine Sicherheitspartnerschaft mit Russland: "Noch immer schauen sich der Westen und Russland mit Misstrauen gegenseitig an und beurteilen sich im Wesentlichen nach militärischen Kriterien". Abhilfe schaffen soll eine Studie mit neuen Vorschlägen für ein gemeinsames Raketenabwehrsystem, an der amerikanische, europäische und russische Fachleute gemeinsam gearbeitet haben und die während der Münchner Sicherheitskonferenz vorgestellt werden soll.
Sparzwänge und neues Denken in Europa?
Spätestens auf dem NATO-Gipfel in Chicago im Mai werden die USA gegenüber den Europäern ihre alte Forderung nach einer gerechteren Verteilung der Lasten innerhalb des Verteidigungsbündnisses wiederholen. Die Europäer haben dem bisher nicht nachgegeben. Seit Jahren stagnieren die Verteidigungsetats in allen EU-Staaten. Und mit der Finanzkrise in Europa ist eine Umkehr dieses Trends erst recht nicht in Sicht. In München will man sich abseits offizieller Gipfeldiplomatie nun ernsthaft überlegen, wie man aus der finanziellen Not eine Tugend machen kann. Europa müsse nach "Synergieeffekten", nach Möglichkeiten der "Poolbildung im Bereich von militärischen Kapazitäten" Ausschau halten, formuliert Ischinger den Anspruch weit über die von ihm geleitete Konferenz hinaus. Denn die Wirklichkeit sieht anders aus: Die militärische Führung in Europa wird noch immer an 27 verschiedenen Generalstabsakademien ausgebildet. Allein sieben verschiedene Flugzeugtypen existieren in den Luftwaffen der einzelnen Länder nebeneinander. Europa falle es schwer, bei der Gestaltung der militärischen Zusammenarbeit eine gemeinsame Formel zu finden, sagt Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Frieden und Sicherheit. "Nicht jedes Land braucht eine große Anzahl von Streitkräften", so Neuneck. "Aber man muss sich natürlich einigen im Rahmen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und einer gemeinsamen Rüstungskontrollpolitik." Der Zwang zum Sparen könnte die Europäer nun zu einer schnelleren Aufgabe ihrer nationalen Egoismen im militärischen Bereich zwingen.
Amerikas pazifische Neuorientierung
Denn auch die USA müssen sparen. Nachdem der Verteidigungshaushalt in den letzten Jahren auf gigantische 700 Milliarden Dollar angewachsen war, will das Pentagon in den nächsten Jahren mit deutlich weniger Geld auskommen. Die Streitkräfte sollen kleiner und effektiver werden. Kürzungen wird es vor allem bei der Marine-Infanterie und beim Heer geben. Schon in den nächsten fünf Jahren soll das aktive Heer um rund 70.000 Mann auf 490.000 Mann verringert werden. Stattdessen soll in Spezialeinheiten, Drohnen und Cyber-Sicherheit investiert werden. Aus Europa sollen zwei Kampfbrigaden abgezogen werden. Die Zahl der heute noch 80.000 in Europa stationierten US-Soldaten wird sich auf 70.000 verringern. Europa muss folglich mehr Verantwortung für seine eigene Sicherheit aufbringen. "Die Sorge ist, dass die USA ihre enge organische Verbindung zu Europa aufgeben", formuliert Wolfgang Ischinger ein Thema, das sich leitmotivisch durch viele Redebeiträge in München ziehen dürfte.
An die Stelle Europas tritt für die USA der pazifische Raum. Spätestens seit der Ankündigung von US-Präsident Barack Obama im vergangenen November, schon in diesem Jahr 2500 Marinesoldaten im Norden Australiens zu stationieren, ist die geostrategische Neuorientierung der Amerikaner zur Gewissheit geworden. In China ließ diese Ankündigung die Alarmglocken ertönen. Eine Kerngruppe der Münchner Sicherheitskonferenz war im letzten November in Peking und führte dort Gespräche mit Regierungsvertretern. Dieser Dialog soll in München fortgesetzt werden. Konferenzleiter Ischinger erhofft sich davon auch, dass Europa eine eigene "aktive Asienpolitik" entwickelt, gewissermaßen als Korrektiv für eine "amerikanische Asienpolitik, bei der es Befürchtungen gibt, dass man sich zu sehr auf militärische Bedrohungsszenarien konzentriert".
Deutschlands Verantwortung in Europa
Dass man in München auch vor schwierigen Themen nicht haltmacht, zeigt eine hochkarätig besetzte Gesprächsrunde zur europäischen Schuldenkrise. Im Mittelpunkt wird die Frage stehen, wie sich Deutschland bei der Lösung dieser Krise bislang verhalten hat. Im Dezember letzten Jahres hatte sich der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski in einer Rede in Berlin dahin gehend geäußert, dass ihn deutsches Nicht-Handeln mehr beunruhigen müsse als deutsche Führungskraft. Die darin zum Ausdruck gebrachte Erwartungshaltung wird Sikorski in München unter anderem mit SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Weltbankchef Robert Zoellick diskutieren. Der Amerikaner war in einem Interview mit der "Financial Times" sogar noch weiter gegangen. Er hatte Bundeskanzlerin Merkels Bemühungen, in Europa mehr Finanzdisziplin durchzusetzen, zwar gelobt, aber kritisch angemerkt: "Diese Schritte reichen nicht aus." Die Deutschen müssten ihre Karten "klar auf den Tisch legen".
Wie viel politische Führung von den Deutschen künftig in Europa erwartet wird - auch dafür könnte München an diesem Wochenende ein interessantes Stimmungsbarometer sein.
Autor: Daniel Scheschkewitz
Redaktion: Dеnnis Stutе