Fake News-Irrlichter
31. Dezember 2016Sie beeinflussten die US-Präsidentschaftswahl im November und lösten zwischen Israel und Pakistan beinahe eine Nuklearkrise aus. Falschmeldungen sind nichts Neues. Seit Jahren werden sie von Staaten, aber oft auch von Einzelpersonen in die Welt gesetzt - und dann von Verschwörungstheoretikern aufgesaugt und weiter verbreitet.
Im Jahr 2016 setzte sich jedoch ein neuer Begriff durch: "Fake News" wurden auf einmal von einer Randerscheinung zum Massenphänomen. Inzwischen wird der Begriff extrem inflationär verwendet, etwa von Rechtsaußen-Gruppierungen in den USA, wo alles, was nicht ins rechte Weltbild passt, als "Fake News" etikettiert wird. Im neuen Informationskrieg geht es um nichts weniger als den Begriff der Wahrheit und den Missbrauch von Glaubwürdigkeit.
Im Zeitalter der sozialen Medien verbreiten sich frei erfundene Nachrichten schneller als zuvor, ohne die Möglichkeit der schnellen Überprüfbarkeit. Sie wirken auf den ersten Blick authentisch und wahr, das gefährdet nicht nur die Glaubwürdigkeit der Medien, sondern langfristig auch die Demokratie. Publizistische Werte wie Authentizität und Überprüfbarkeit werden von "Fake News" massiv infrage gestellt. Und sie bleiben lange im Netz erhalten. Hier einige der auffälligsten Beispiele aus dem Jahr 2016:
Zu Weihnachten tauchte im Dezember 2016 die Schreckensnachricht auf: "Britney Spears ist tot!". Die angebliche Quelle war das offizielle Twitter-Konto von Sony Music Entertainment. Auch das Konto von Bob Dylan wurde gehackt, um eine ähnliche Trauermeldung abzusetzen, eine "Fake News" wie sich später herausstellte. Sony löschte die Tweets schnell und entschuldigte sich für jedwedes Missverständnis.
Auch TV-Journalistin Megyn Kelly sollte vorzeitig das Zeitliche gesegnet haben. Die 45-Jährige ist die derzeit beliebteste Nachrichtenmoderatorin (Fox News) in den USA. Das Gerücht wurde durch einen Werbespot verbreitet, der sogar in der ehrwürdigen New York Times online auftauchte. Heute ist es technisch möglich, dass Inhalte, die ein Medienkonzern als nicht erwünscht kennzeichnet oder sogar verbietet, dennoch dort erscheinen können - illegal. Dadurch erhalten sie besondere Glaubwürdigkeit.
Gefährliche Sensationsmeldungen
Harmlos wirken beide Geschichten im Vergleich zu einer beinahe nuklearen Krise, die sich in der Woche vor Weihnachten zwischen Israel und Pakistan aufbaute. Israel würde einen nuklearen Erstschlag auslösen, so hieß es, falls Pakistan wie angekündigt Soldaten nach Syrien schicken würde. Pakistans Verteidigungsminister Khawaja Asif nahm die Meldung für wahr und drohte Israel mit Vergeltung:"Israel vergisst, dass Pakistan auch eine Nuklearmacht ist", twitterte Asif. Der Vorfall lässt kalt schaudern, die Krise wurde zum Glück rechtzeitig entschärft und blieb ohne Folgen.
Welche politischen Folgen "Fake News" haben könnten, ist häufig nicht im vornherein auszumachen. Im Sommer wurde in Kolumbien ein Friedensabkommen zwischen Regierung und Rebellen erreicht. Anschließend lehnte die Mehrheit der Bevölkerung das Abkommen jedoch in einer Volksabstimmung ab. Der Grund, so die Einschätzung internationaler Beobachter, waren Falschmeldungen über die weiter andauernden Aktivitäten der Rebellen und die möglichen Folgen dieses Friedenspaktes.
In Deutschland wurden in den Tagen nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt mehrere Falschnachrichten per WhatsApp verbreitet. Eine angebliche Terrorzelle solle weitere Anschläge auf Berliner Einkaufszentren planen, hieß es da. Besonders vor Heiligabend verbreiteten sich diese Meldungen nach Polizeiangaben "wie ein Lauffeuer". Durch Hinweise aus der Bevölkerung wurde der Urheber gefunden, gegen ihn wird jetzt wegen Störung des öffentlichen Friedens ermittelt. Eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren könnte ihm drohen.
Staatlich geförderte Desinformation?
Internationale Tragweite hatte die Geschichte von "Lisa F" im Sommer 2016. Ein 13-jähriges Mädchen russischer Abstammung sollte angeblich in Berlin von Flüchtlingen aus dem Mittleren Osten vergewaltigt worden sein, hieß es in der Nachricht, die starke Verbreitung in den sozialen Medien und vor allem auf russischen Nachrichtenkanälen erfuhr.
Auf den Straßen protestierten Hunderte von aufgebrachten Menschen in Russland und Deutschland, auch anti-islamische Gruppierungen waren dabei. Die Polizei konnte jedoch ermitteln, dass das Kind auf keine Weise zu Schaden gekommen war. Nachdem der russische Außenminister Sergei Lawrow der Bundesregierung sogar vorgeworfen hatte, den Fall "unter den Teppich zu kehren", wurde in deutschen Regierungskreisen die Vermutung laut, Russland habe die Fake-Nachricht gezielt gestreut, um die Autorität der Bundesregierung zu untergraben.
Im Fall einer ermordeten Studentin in Freiburg und der Festnahme eines verdächtigen jungen Flüchtlings im November 2016 soll sich die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Renate Künast, angeblich per Facebook entschuldigend dazu geäußert haben. Das Zitat war frei erfunden. Künast musste tagelang warten, bis der gefälschte Facebook-Eintrag gelöscht wurde.
Land der unendlichen Falschmeldungen
Am Auffälligsten waren im Jahr 2016 die Fake-News in den sozialen Medien wahrend des langen US-Präsidentschaftswahlkampfes. Am folgenreichsten war die Falschmeldung, dass Papst Franziskus Donald Trump seine Unterstützung zugesichert haben sollte. Nach der ungewöhnlich harten Kritik des Papstes an dem Kandidaten der Republikaner im Frühjahr war dies mehr als unwahrscheinlich. Die Nachricht wurde jedoch tausendfach geteilt und offenbar von vielen geglaubt.
Pro-Trump- oder Anti-Clinton-Meldungen waren in der deutlichen Mehrheit: zum Beispiel dass Hillary Clinton dem Rapper Jay Z und Beyonce angeblich $62 Millionen bezahlt haben soll, damit sie bei einer Wahlkampf-Kundgebung in Cleveland auftreten. In einer ähnlichen Meldung hieß es, das Clinton-Lager soll einem Demonstranten $3500 bezahlt haben, um bei einer Trump-Kundgebung zu stören. Diese Geschichte wurde sogar von Donald Trumps Sohn Eric, sowie von seinen Wahlkampf-Leitern Cory Landowski und Kelleyanne Conway retweetet - ob aus Unwissen, Leichtgläubigkeit oder Zynismus, ist unbekannt.
"FBI-Agent, der bei Hillary Clintons E-Mails ermittelt, wird in einem offensichtlichen Mord-Suizid-Fall tot aufgefunden": So hieß eine fiktive Nachricht, die wenige Tage vor der Wahl im November erschienen ist. "Rufmord" scheint dafür ein fast zu schwacher Begriff zu sein.
Fast harmlos wirken dagegen die Meldungen, dass Hillary Clinton illegale Schusswaffen im Wert von $137 Millionen gekauft habe, oder dass sie und ihr Mann, der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, ein Haus in den Malediven für $200 Millionen hätten bauen lassen.
Nach der Wahl des neuen US-Präsidenten glaubten viele Trump-Anhänger hartnäckig der Meldung, dass er die Mehrheit der Stimmen der Amerikaner (und nicht nur die der Wahlmänner) bekommen habe. Hillary Clinton konnte am Schluß nach endgültiger Zählung und amtlicher Überprüfung einen Vorsprung von fast drei Millionen Stimmen vorweisen.
Zu einem konkreten Vorfall führte die vielfach publizierte "Fake News", Hillary Clinton organisiere eine kriminelle Pädophilen-Bande, die Kinder in einem Pizza-Restaurant in Washington sexuell ausbeuten ließ. Nach der Wahl erschien dort ein bewaffneter Mann - nur fünf Meilen vom Weißen Haus entfernt - und schoss wahllos in das Lokal hinein, angeblich um selbst für Aufklärung zu sorgen.
Fake News mit Auswirkung auf die Politik
Gemeldet wurde auch, dass Kunden im Bundesstaat Colorado in Läden, in denen Marijuana legal verkauft wird, ab sofort mit Lebensmittelmarken für Drogen zahlen könnten. Dass dies rechtlich unmöglich ist, hielt einen republikanischen Parlamentarier in Colorado nicht davon ab, einen Gesetzesentwurf vorzubringen, der eben dies verbieten sollte.
Wie konnten sich solch gravierende, aber auch lächerliche Falschnachrichten so stark in den USA durchsetzen? Es gibt viele Gründe: Das Vertrauen der Amerikaner in die etablierten Medien liegt derzeit auf einem Tiefstand, meldet der Sender National Public Radio (NPR). Nur 32 Prozent der Befragten gaben an, "viel" oder "mittleres" Vertrauen in die Medien zu haben. Bei den Republikanern sind es sogar nur noch 14 Prozent (im vergangenen Jahr waren es noch 32 Prozent). Noch in den 90er-Jahren waren es etwa die Hälfte aller Amerikaner, die Quote liegt seit 2007 konsequent unter 50 Prozent.
Nach der US-Wahl wurde in Deutschland die Sorge laut, "Fake News" könnten 2017 auch die Bundestagswahl in Deutschland beeinflussen. Als potentielle Quelle solcher Nachrichten wird oft Russland direkt oder indirekt erwähnt. Nach dem falschen Zitat, dass man Renate Künast auf Facebook untergeschoben hat, schlug Innenminister Thomas de Maizière ein "Abwehrzentrum gegen Desinformation" vor. Dies sehen der Deutsche Journalistenverband (DJV) und der grüne Politiker Volker Beck eher kritisch. "Eine Demokratie verträgt kein Wahrheitsministerium", erklärte Beck.
Soll man darüber lachen oder weinen?
Die Bekämpfung von Fake News könne niemals treffsicher sein, sondern habe erst eine Chance in der gezielten Verbreitung von Gegendarstellungen, glaubt der Chaos Computer Club in Hamburg, der in dieser Woche ein "Hoaxmap" vorstellte, auf dem Falschmeldungen über angebliche kriminelle Aktivitäten von Flüchtlingen angezeigt werden.
Google hat angekündigt, in Zukunft stärker gegen solche "Fake News" vorzugehen: Durch Anpassung seiner Algorhithmen will der Suchmaschinengigant gesetzeswidrige Webseiten aus den Suchergebnissen verbannen. Das scheint zur Zeit nur teilweise zu funktionieren. Bei Eingabe der Frage "Did the Holocaust happen?" (Hat der Holocaust stattgefunden?) erscheinen noch auf Anhieb Ergebnisse wie "The Holocaust Hoax: IT NEVER HAPPENED" | E.T.P. (Der Holocaust-Betrug: ER HAT NIE STATTGEFUNDEN).
Auch Facebook will Fake News in Zukunft als solche kennzeichnen. Damit könnte die soziale Medien-Plattform allerdings sein eigenes Geschäftsmodell schädigen: Recherchen von Journalisten des amerikanischen Medienunternehmens BuzzFeed ergaben im US-Wahlkampf 20 erfolgreiche Falschmeldungen, mit 8.711.000 Reaktionen auf Facebook. Während die 20 erfolgreichsten Wahlkampfmeldungen der seriösen Nachrichtenseiten nur 7.637.000-mal geteilt, für gut befunden oder kommentiert wurden. Durch die damit verbundenen Werbeeinnahmen sind "Fake News" mittlerweise sogar ein Wirtschaftsfaktor - und ein Machtfaktor.