Diplomatischer Doppelschlag mit Gewicht
17. Januar 2016Als "historischer Tag" für die USA und die iranisch-amerikanischen Beziehungen bezeichnen viele US-Kommentatoren den diplomatischen Doppelschlag: Die offizielle Implementierung des Nuklearabkommens und die gleichzeitige Freilassung von vier amerikanischen Bürgern, darunter den Iran-Korrespondenten der "Washington Post", Jazon Resaian.
Bahnbrechende Veränderungen
US-Außenminister John Kerry feierte die Implementierung umgehend als "glanzvollen Meilenstein", der erneut die "Macht der Diplomatie" unter Beweis stelle. Die Welt sei dadurch sicherer geworden, sagte er, und hielt den vielen skeptischen Stimmen entgegen, man müsse anerkennen, dass der Iran Wort gehalten und geliefert habe. Außerdem verwies er drauf, dass die Freilassung der vier Amerikaner ohne die Nuklearverhandlungen so nicht möglich gewesen wäre.
Die endgültige Implementierung des Nuklearabkommens mit dem Iran ist ein wichtiger Schritt, dessen Auswirkungen kaum überschätzt werden können. Auch die eher technisch klingende Bezeichnung "Implementierungstag" gibt seine Bedeutung kaum angemessen wieder: Allein schon die Aufhebung der Sanktionen ist nach so vielen Jahren der politischen und wirtschaftlichen Blockade eine bahnbrechende Veränderung. Die jetzt schrittweise freigesetzten Milliarden von Dollar aus iranischen Vermögen werden der Führung in Teheran dringend benötigte finanzielle Spielräume geben. Die USA werden genau beobachten, ob die iranische Führung das Geld für die Ankurbelung der heimischen Wirtschaft oder für die Finanzierung von Terror und Krieg in der Region nutzt.
Politische Dimension
Die Festlegung eines Implementierungstages im Nuklear-Abkommen war Ausdruck tiefsten Misstrauens zwischen den USA und dem Iran. Erst nachdem der Iran den im Vertrag zugesicherten Rückbau seiner Atomanlagen nachprüfbar umsetzt hat, sollten am Implementierungstag alle Wirtschaftssanktionen im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm aufgehoben werden. Dies ist jetzt in Wien von den Außenministern Kerry und Mohammed Dschawad Sarif feierlich angekündigt worden.
Doch wohl noch wichtiger als die wirtschaftlichen Konsequenzen ist die politische Dimension dieses Schrittes. Damit ist - wenn auch nur zaghaft - weiteres Vertrauen zwischen den USA und Iran aufgebaut worden. Das dürfte von höchster Bedeutung sein; denn die Amerikaner sehen zu Recht, dass der Iran den Schlüssel für die Lösung vieler regionaler Konflikte in den Händen hält: In Syrien, im Irak, im Jemen, beim Kampf gegen den „Islamischen Staat“, im Libanon und nicht zuletzt beim "traditionellen" Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Kerry ließ in seiner Stellungnahme vorsichtigen Optimismus anklingen, dass sich der Iran nun konstruktiver verhalten könnte.
Weiterhin großes Misstrauen
Dennoch ist das Land aus Sicht aller außenpolitischen Experten noch weit davon entfernt, ein berechenbarer Partner der USA zu sein. Das Misstrauen ist weiterhin groß - und berechtigt. Die kürzlich aufgedeckten Tests des Iran mit ballistischen Raketen sind der jüngste Beleg dafür. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton verlangte deswegen auch, neue Sanktionen gegen den Iran zu verhängen.
Außenminister Kerry hat in seiner Pressekonferenz daran erinnert, dass nach der Implementierung des Abkommens umgehend zusätzliche Kontrollmechanismen greifen würden, die es dem Iran schlichtweg unmöglich machten, zu "betrügen". Ab sofort werden Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA unangekündigt Inspektionsreisen durchführen. Der Iran hat dem im Abkommen zugestimmt.
Ätzende Kritik der Republikaner
Wie kaum anders zu erwarten war, stellt das die meisten Kritiker in den USA nicht zufrieden. Paul Ryan, Mehrheitsführer der Republikaner und Sprecher des US-Repräsentantenhauses, verurteilte das Abkommen als nicht wirkungsvoll. Die amerikanischen Abgeordneten würden deshalb "alles tun", um zu verhindern, dass der Iran Atommacht werde. Ryan griff erneut die oft wiederholte Befürchtung auf, der Iran werde nach der Aufhebung der Sanktionen die freigesetzten Milliardenbeträge dazu nutzen, den Terrorismus zu sponsern. Donald Trump, Ted Cruz, Marco Rubio und andere Präsidentschaftskandidaten der Republikaner argumentierten ähnlich.
Im DW-Interview kritisierte Lawrence Haas vom American Foreign Policy Council das Abkommen als "töricht und unentschuldbar". Es mache die Region und die Welt zu einem "weit gefährlicheren Platz" als bisher, kritisierte der außenpolitische Berater des ehemaligen demokratischen Vizepräsidenten Al Gore. "Obama schleudert das Problem seinem Nachfolger und den USA als Ganzem" vor die Füße, so Haas mit Blick auf die Argumentation der Befürworter, dass mit dem Abkommen zumindest Zeit gewonnen und der Iran abgehalten werde, in den nächsten zehn bis 15 Jahren Nuklearwaffen zu bauen.
Bestätigung für Obama
Doch aus Sicht von Präsident Barack Obama ist der Schritt der Implementierung des Abkommens die Bestätigung seiner Beharrlichkeit, entgegen allen republikanischen Scharfmachern, aber auch gegen Bedenken aus Teilen seiner eigenen Partei Kurs gehalten zu haben. Was nicht allen bekannt ist und in den polemischen Wahlkampfdebatten übersehen wird: Schon seine Vorgänger Bill Clinton und George W. Bush hatten in ihren Amtszeiten versucht, mit dem Iran auf dem Verhandlungsweg in Geschäft zu kommen. Beide sind gescheitert. Obama hat es erneut gewagt - und er hat gewonnen. Es ist der Beleg, dass Obamas außenpolitisches Credo, sein Glauben an Vernunft und Diplomatie, erneut Früchte trägt.
Andere Sanktionen bleiben bestehen
Mit dem Tag der Implementierung sind allerdings noch lange nicht alle Sanktionen aufgehoben. Jene Sanktionen, die gegen den Iran wegen Menschenrechtsverletzungen und der Unterstützung des Terrors verhängt wurden, bleiben bestehen.
Darunter leiden vor allem die amerikanischen Unternehmen. Während Airbus gerade einen großen Deal mit den Iranern bekanntgab, erlauben die gegenwärtigen Bestimmungen US-Firmen weiterhin nicht den Handel mit dem Iran. Ausnahmen sind allenfalls Ersatzteile für Flugzeuge, Lebensmittel und Teppiche.