Vom Haifisch lernen
25. März 2013Ein Haifisch löst bei den meisten Menschen in der Regel Furcht aus. Ingenieure sehen dagegen mit Neid auf die eleganten Fische. Besonders die Haut der Haie hat es den Schiffsentwicklern angetan - denn schnell schwimmende Haifische besitzen eine besondere Schuppenstruktur, die Reibungswiderstände deutlich vermindert. "Der Strömungswiderstand des Hais wird dadurch reduziert, dass er diese Rillenstruktur auf seiner Haut hat. Dass führt dazu, dass er mit gleicher Körperkraft schneller schwimmen kann" erklärt Christian Johannsen von der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA), "oder umgekehrt dazu, dass der Hai mit der Energie, die er zur Verfügung hat, die gleiche Geschwindigkeit länger aufrechterhalten kann."
Reibungswiderstände minimieren
Für alle am Bau und Betrieb eines Schiffes Beteiligten sind diese Eigenschaftender ein guter Grund, dem Meeresräuber nachzueifern. Die Formel ist einfach: Je geringer der Widerstand, desto weniger Treibstoff und Antriebsleistung benötigt ein Schiff auf seiner Fahrt. Und damit sinken zugleich die Emissionsraten - Reeder und Umwelt profitieren also gleichermaßen.
Das Geheimnis der Haut des Haifisches liegt in seiner Struktur. Denn: Diese ist keineswegs glatt: "Es ist ein Trugschluss, dass eine möglichst glatte Oberfläche auch den kleinsten Widerstand hat", stellt Christian Johannsen klar. Viel geeigneter sei eine Rillenstruktur - die sogenannten "Riblets" - wie eben beim Hai. Diese Rillenstruktur besteht aus beweglichen Schuppen und verläuft vom Kopf beginnend bis hin zum Schwanz des Tieres - also parallel zur Schwimmrichtung. Die "Riblets" verhindern das Anwachsen von unerwünschten, energiezehrenden Querströmungen in der Grenzschicht, wie man die Übergangszone zwischen (Schiffs-)Haut und ungestörter Strömung bezeichnet.
Dass auch dies den Hai zu einem Hochgeschwindigkeitsjäger macht, ist seit längerer Zeit bekannt. Aber ob dieser Haihaut-Effekt auch bei den Giganten der Weltmeere wie den großen Containerschiffen funktioniert, wurde bislang nicht ausreichend getestet.
In einem gemeinsamen Projekt unterschiedlicher Forschungseinrichtungen unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) wurde die Anwendbarkeit von "Riblet-Beschichtungen" nun auch für große Schiffe getestet. Der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiert, kam in diesem "HAI-TECH" genannten Projekt ein wichtiger Part zu. In den Hamburger Versuchsanlagen sollte geklärt werden, ob der energiesparende "Riblet-Effekt" der Haifischhaut auch bei großen und größten Schiffstypen eintritt.
Versuch in Hamburg
Die Hamburger Versuchsanstalt bietet hierfür optimale Bedingungen. Seit 1913 werden hier an maßstabsgetreuen Modellen Schiffe getestet und verbessert. In mehreren Versuchsstationen, darunter ein großes Schlepp- sowie ein Eisbecken, finden Tests statt, die den Schiffskonstrukteuren helfen, beispielsweise Treibstoffersparnisse zu erzielen. Als Versuchsort für die haifischhautartige "Riblet-Beschichtung" kam der "Hydrodynamik und Kavitationstunnel" (HYKAT) zum Einsatz: Ein acht Meter langer Versuchskörper, dessen Form an einen Torpedo erinnert, beschichteten Mitarbeiter des Fraunhofer-Institutes mit "Riblet-Folie".
"Man braucht einen großen Körper und man braucht eine hohe Geschwindigkeit", erklärt Christian Johannsen die Erfordernisse des Versuchsaufbaus. Schließlich strömte man den feststehenden Versuchskörper mit Geschwindigkeiten bis zu 36 Kilometer pro Stunde an. Das Ergebnis: Je höher die Geschwindigkeit, desto mehr tragen die "Riblets" zu einer Reduzierung des Widerstandes bei. Was bedeutet, dass in der Tat "Riblet-Beschichtungen" den Schiffen höhere Geschwindigkeiten bei niedrigerem Verbrauch ermöglichen. Ein voller Erfolg: Bis zu fünf Prozent lässt sich der Reibungswiderstand reduzieren. Bei einem Containerschiff kann dies bedeuten, dass Treibstoff im Wert von bis zu 300.000 Dollar pro Jahr gespart werden kann.
Die Versuchsreihe in der Versuchsanstalt war indessen noch nicht zu Ende: Nun rückten Techniker der "Haihaut-Folie" mit Schleifpapier zu Leibe. Da sich natürlich auch ein Spezialanstrich im Wasser allmählich verschleißen wird, stellte sich die Frage, bis zu welchem Abnutzungsgrad der strömungsreduzierende "Riblet-Effekt" anhält. "Wir haben festgestellt, dass in dem Moment, wo die Struktur um etwa 50 Prozent abgenutzt ist, der Effekt nahezu vorbei ist", so Johannsen. Die ursprünglich 25 Mikrometer hohen "Riblets" wurden deshalb in mehreren Schritten entsprechend "geschliffen". Bei etwa 13 Mikrometer war schließlich Schluss: Ab dieser Höhe der "Riblets" war kein besonderer Vorteil der "Haihaut" mehr zu bemerken.
Am Ende zogen die Beteiligten eine positive Bilanz: "Mit diesem Versuch", so der Leiter des Projekts am Fraunhofer-Institut, Jörg Rembielewski, "konnten wir unter Beweis stellen, dass durch die Verwendung einer speziell an die Fahrgeschwindigkeit moderner Schiffe angepassten Riblet-Geometrie erhebliche Treibstoffeinsparpotenziale vorhanden sind."
Aufgaben der Zukunft
Containerschiffe sind die Lastesel der Meere: Entsprechend groß sind die Belastungen, denen die Schiffskörper ausgesetzt sind. Vor allem der Bewuchs des Schiffrumpfes mit Muscheln oder Seepocken wird schnell zum Problem. Derartige Anlagerungen sorgen dafür, dass der Strömungswiderstand des Schiffes wächst.
"Antifouling" nennt sich das Verfahren, mit dem Schiffsrümpfe vor Bewuchs geschützt werden. Es ist eine simple Prozedur: Der Schiffslack enthält Giftstoffe, die im Laufe der Zeit abgegeben werden. Wie sich allerdings Haihaut-Beschichtungen, die besonders auf ihre intakte rillenartige Struktur angewiesen sind, gegen Bewuchs schützen lassen, muss erst noch in Folgeprojekten erforscht werden. Vielleicht schwimmen in wenigen Jahren alle großen Schiffe in der Haut des Haifisches – ohne diese blinden Passagiere.