In Polizeigewahrsam verbrannt – der Fall des Asylbewerbers Oury Jalloh
7. Januar 2010Oury Jalloh wird an jenem verhängnisvollen Tag im Januar 2005 früh morgens von der Polizei aufgegriffen. Er soll nach einem Disco-Besuch im Drogen- und Alkohol-Rausch zwei Frauen belästigt haben. Die Streifenbeamten können seine Identität nicht feststellen und nehmen ihn mit aufs Revier. Jalloh soll sich heftig gewehrt haben. Die diensthabenden Polizisten stecken ihn in eine Zelle auf dem Polizeirevier in Dessau-Roßlau und fixieren ihn an Händen und Füßen. Sie kontrollieren die Zelle laut eigenem Protokoll mehrmals, das letzte Mal um Viertel vor Zwölf. Rund 15 Minuten später schlägt der Rauchmelder in Jallohs Zelle Alarm.
Das Geschehen unmittelbar vor und nach diesem Zeitpunkt muss rekonstruiert werden über die Aussagen der beteiligten Polizisten und gerichtlich bestellte Gutachter. Die Polizisten behaupten, dass der gefesselte Jalloh die Matratze, auf der er in der gefliesten Zelle liegt, selber mit einem Feuerzeug anzündet. Gutachter bestätigten, dass ein an die Pritsche fixierter Mensch ein Feuerzeug bedienen kann. Und, dass eine schwer entflammbare Matratze sehr wohl brennt, wenn man die Schutzschicht abkratzt oder durchschmort. Das besagte Feuerzeug könnte möglicherweise einer der Polizisten bei der Durchsuchung in der Hosentasche Oury Jallohs übersehen haben.
Die Hilfe kommt zu spät
Die beiden Feuermelder, die nacheinander Alarm schlagen, kann die Polizei jedoch nicht überhört haben. Allerdings verstreichen - laut Gutachter - zweieinhalb Minuten, bis der Dienstgruppenleiter, ohne einen Feuerlöscher mitzunehmen, zu der Zelle geht. Zu spät für Oury Jalloh.
Weiter kommt ein Gutachter zu dem Schluss, dass es drei bis vier Minuten dauert, bis die Flammen den Körper des 23-Jährigen erreichen. Genauso lange dauert es auch, bis der Raum dicht mit Rauch gefüllt ist. Als der Polizist die Zellentür öffnet, schlagen ihm dicke, schwarze Rauchwolken ins Gesicht. Er wagt es nicht mehr, die Zelle zu betreten. Jalloh stirbt um kurz nach zwölf Uhr mittags am 7. Januar 2005.
Im März 2007, zwei Jahre nach dem Tod des Asylbewerbers aus Sierra Leone, beginnt vor dem Landgericht in Dessau-Rosslau der Prozess gegen zwei der beteiligten Polizeibeamten. Die Wahrheitsfindung ist schwierig. Aus den ursprünglich angesetzten vier Verhandlungstagen werden 60.
Juristische Aufarbeitung und Eklat
Mouctar Bah, ein enger Freund des Verstorbenen, gründet eine Initiative zur Aufklärung der Todesumstände Jallohs, und lässt eine zweite Obduktion der Leiche durchführen. Die zweite Obduktion ergibt noch einen Bruch des Nasenbeines. Woher der stammt, ist unklar. Außerdem erwirkt Bah, dass die in Sierra Leone lebende Familie seines Freundes als Nebenkläger zugelassen wird, darunter auch Diallo Jalloh, der Bruder des Opfers. „Ich werde das nicht zulassen, ich werde diese Sache weiterverfolgen, bis ich die Wahrheit herausfinde", erklärt Diallo Jalloh.
Im Dezember 2008 werden die beiden angeklagten Polizisten freigesprochen. Ihnen könne kein Fehlverhalten und keine Mitschuld am Tod Oury Jallohs nachgewiesen werden, so der zuständige Richter am Dessauer Landgericht. Im Gerichtssaal bricht Tumult aus. Menschenrechtsgruppen und Opferverbände sprechen offen von Lügen und Vertuschungen. Es steht der Vorwurf des institutionellen Rassismus im Raum.
"Die Schuldfrage muss eindeutig geklärt werden in dem Fall Ouri Jalloh. Das ist bis jetzt nicht erfolgt", sagt Opferberater Marco Steckel aus Dessau. "Und zweitens muss der Polizei deutlich gezeigt werden: Der Rechtsstaat darf nicht an der Nase herumgeführt werden." Die Polizei habe den Freispruch durch schlampige Ermittlungen und Falschaussagen vor Gericht erzielt.
Im Fall des diensthabenden Vorgesetzten des Reviers in Dessau-Rosslau legen die Staatsanwaltschaft und die Familie des Opfers Berufung gegen den Freispruch vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe ein. Die Bundesrichter heben den Freispruch am 7. Januar 2010, also genau fünf Jahre nach dem Tod Ouri Jallohs, auf. Der Fall muss jetzt vor dem Landgericht Magdeburg komplett neu aufgerollt werden.
Autor: Petra Nicklis
Redaktion: Dеnnis Stutе