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Industrieanlagen in nostalgischem Licht

Jörg Stroisch14. März 2013

Einst erleuchteten die Feuer der Hochöfen den Nachthimmel über dem Ruhrgebiet. Heute erinnern Lichtinstallationen an die ehemaligen Kokereien und Zechen und setzen ihrer Geschichte ein Denkmal.

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Das "Krokodil" im Landschaftspark Duisburg-Nord, Foto: Jörg Stroisch
Bild: DW/J.Stroisch

Der Kran ähnelt einem Krokodilskopf. In grünes Licht getaucht thront er 20 Meter über dem Boden, inmitten des Landschaftsparks Duisburg-Nord. Das Maul umsäumt dunkel der Gittersteg. Die horizontalen Stahlträger werden immer wieder im Zickzack von den Querverstrebungen durchbrochen. Gleich hinter den vermeintlichen Augen des industriellen Ungetüms befinden sich die ehemaligen Hochöfen des Hüttenwerks Meiderich.

Bis zu 1000 Tonnen Eisen wurden hier einst täglich hergestellt. "Sehr hochwertiges Roheisen", betont Andreas Matthes, der eine Gruppe mit 15 Teilnehmern durch das inzwischen stillgelegte Areal führt. "Enorm!", sagt ein Mann aus Bayern und blickt auf das "Krokodil", das im kalt-diesigen Nachthimmel noch imposanter wirkt. "Hier wurde ständig gearbeitet?", fragt der Tourist. Matthes erklärt ihm, dass ein Hochofen niemals stillstand. Und immer, wenn der Ofen unten angestochen wurde, damit das flüssige Eisen und die Schlacke entweichen konnten, wurde es nicht nur besonders heiß am Fuße des Hochofens - auch der Nachthimmel erstrahlte dann in einem dunklen Rot.

An dieses Lichtspiel erinnert seit 1996 eine Installation des britischen Künstlers Jonathan Park, der bereits Bühnenshows der Rolling Stones inszenierte. Wenn die Dämmerung einsetzt, tauchen rote, blaue, weiße und grüne Lichter die alte Fabrikanlage allabendlich in eine mystisch-verwunschene Atmosphäre. Es ist eine Hommage an das Ruhrgebiet, das sich dank großer Steinkohlevorkommnisse ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem industriellen Ballungsraum entwickelte und zu seinen Hochzeiten bis zu 600.000 Bergarbeiter beschäftigte. Noch heute leben fünf Millionen Menschen in der Region.

Weltkulturerbe Zollverein
Die Zeche Zollverein in Essen ist mit dem Auto nur ein paar Minuten vom Duisburger Hüttenwerk entfernt. Sie war jahrzehntelang die größte Zeche der Welt und gehört seit 2001 zusammen mit der Kokerei Zollverein zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Das berühmte Doppelfördergerüst der Zeche Zollverein, Essen. Foto: Jörg Stroisch
Das berühmte Doppelfördergerüst rund um den Schacht XII der Zeche Zollverein in EssenBild: DW/J.Stroisch

Das Besondere sind neben ihrer geschichtlichen Bedeutung die Gebäude im Stil der Neuen Sachlichkeit. Die Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer ließen schlichte Formen und strenge Symmetrie dominieren. So wurden beispielsweise am Eingang zum Schacht XII zwei Wärterhäuschen gebaut, obwohl eigentlich nur eines notwendig war. 1986 schloss die Zeche. Inzwischen ist das Gelände - wie viele Industriedenkmäler im Ruhrgebiet - Tag und Nacht frei zugänglich, und nachts ebenfalls aufwendig beleuchtet.

Günter Stoppa, 81 Jahre alt, arbeitete erst als Bergarbeiter in der Zeche und führt heute Besuchergruppen durch die oberirdischen Gebäude. Die Innenräume mit ihren Loren, riesigen Sortierbändern, den verwinkelten Gängen und den dunklen Hallen wirken noch immer, als sei die letzte Schicht erst gestern gewesen. "Früher gab es hier noch nicht den Arbeitsschutz, den wir heute kennen", sagt Stoppa und deutet auf die Arbeitskleidung der 60er-Jahre: ein abgewetzter Anzug und eine Schlappmütze. "Glücklicherweise hatten wir auf Zollverein nie große Grubenunglücke." Stoppa tritt einen Schritt vor die Tür. In die dunkle Nacht weist ein ummauertes Förderband einige hundert Meter in die Dunkelheit: zur Kokerei Zollverein.

Stolze Industriedinosaurier
Kokereien sind das Bindeglied zwischen Kohle und Stahl. In ihren Öfen wird die abgebaute Steinkohle solange gegart, bis 98-prozentiger Kohlenstoff entsteht: die Kokskohle. Erst sie hat die notwendige Bestängigkeit, um bei extrem hohen Temperaturen Eisen einzuschmelzen.

Aus den ehemaligen Ofenkammern der Kokerei Zollverein glimmt heute rotes Licht - symbolisch für das Feuer. Die Seite der chemischen Produktion schimmert blau. Wie Watte legt sich, fast ein bisschen resignativ, die Nacht über diesen stolzen Industriedinosaurier, der 1993 seine ursprüngliche Bestimmung verloren hat.

Friedhelm Baumgarten, ehemaliger Kokerei-Maschinensteiger, erzählt davon auf nächtlichen Touren. Etwa, dass das Gelände im Winter bis an die Mittelstraße schneefrei blieb. Dank der Ofenkammern, die auf bis zu 30 Meter Entfernung Wärme abstrahlten. In ihren besten Zeiten produzierte die Kokerei 8000 Tonnen Kokskohle täglich - etwa 250 vollgeladene Lkw-Sattelschlepper.

Von den einst 146 Bergwerken sind noch zwei aktive geblieben. 2018 sollen auch sie stillgelegt sein, der Ruhrkohlebergbau ist dann endgültig Geschichte. Doch dank der Lichtinstallationen und verschiedenen Touren haben die Industrieanlagen eine neue Bestimmung gefunden: Bei Tag und Nacht werden sie verehrt, wie anderenorts nur Kirchen und Schlösser.

Die Kokerei Zollverein, Foto: Jörg Stroisch
Unter Denkmalschutz: die Kokerei ZollvereinBild: DW/J.Stroisch