Internationaler Gerichtshof begutachtet Unabhängigkeit Kosovos
16. April 2009Steht die Unabhängigkeitserklärung Kosovos im Einklang mit dem Völkerrecht? Das ist die Frage, über die jetzt der Internationale Gerichtshof zu befinden hat. Christian Tomuschat, Professor für Völkerrecht an der Berliner Humboldt-Universität, findet jedoch, die Frage müsse eigentlich ganz anders lauten. Da jede Gruppe innerhalb eines Staates die Unabhängigkeit erklären könne, müsse man fragen: Haben die Staaten, die die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt haben, im Einklang mit dem Völkerrecht gehandelt? Tomuschats Antwort: "Ich bin schon der Auffassung, dass sie im Einklang mit dem Völkerrecht gehandelt haben, aber darüber wird es eine sehr erbitterte Debatte geben. Es wird viele Länder geben, die eine Stellungnahme dazu äußern, in der es dann heißen wird, dies sei ein Eingriff in die souveränen Rechte der Republik Serbien gewesen, weil Serbien ein unabhängiger und souveräner Staat ist", so Tomuschat.
Nach dem Scheitern der Versuche des UN-Sicherheitsrats, eine gemeinsame Lösung für die Statusfrage zu finden, und des ergebnislosen Dialogs zwischen Kosovo und Belgrad hatte die Regierung in Pristina im Februar 2008 die einseitige Unabhängigkeit Kosovos erklärt. Der neue Staat wurde bis jetzt von 57 Ländern anerkannt, darunter von den USA, Japan, Australien sowie von der Mehrheit der EU-Mitglieder. Die Regierung in Belgrad betrachtet indes das Kosovo immer noch als Teil Serbiens. Anfang Oktober des vergangenen Jahres stimmte eine knappe Mehrheit der UN-Vollversammlung dem Antrag Serbiens zu, die Unabhängigkeitserklärung Kosovos vom Internationalen Gerichtshof begutachten zu lassen.
Kosovo ein Präzedenzfall?
Der serbische Außenminister Vuk Jeremic begründete das Vorgehen seines Landes so: "Diese nicht-konfrontative Vorgehensweise ist von hohen Prinzipien getragen und legitim. Sie wird zur Beruhigung der Lage in der Region dienen und unsere Bemühungen um Versöhnung erleichtern. Serbien glaubt, dass die Vorlage dieser Frage vor dem Internationalen Gerichtshof die Möglichkeit ausschließen wird, dass das Kosovo in anderen Krisenregionen als zutiefst problematischer Präzedenzfall für sezessionistische Ambitionen benutzt wird." Professor Tomuschat sowie viele andere Experten und Politiker sind dagegen der Meinung, dass das Kosovo nicht als Präzedenzfall dienen kann. Abchasien und Süd-Ossetien haben jedoch das Kosovo als Beispiel angeführt und ihre Unabhängigkeit erklärt, die wiederum von Russland anerkannt wurde.
Unmut in Pristina
Im Gegensatz zu Serbien, wo die Zustimmung der UN-Vollversammlung zum Antrag Belgrads als großer Erfolg gefeiert wurde, war die Regierung in Pristina unzufrieden. Sie betonte, dass diese Idee nur ein Ziel habe, nämlich die weitere Anerkennung des neuen Staates zu verhindern. Premierminister Hashim Thaci bezeichnete dies als schlechte Initiative: "Belgrad hat damit eine zu große Last auf dem Weg in die EU übernommen. Das war eine schlechte Idee für Kosovo, aber auch für Belgrad, weil dies ein Bumerang werden kann." Am 17. April endet nun die Frist des Internationalen Gerichtshofs zur Stellungnahme aller UN-Mitgliedstaaten über die Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo. Jeder Staat hat dann weitere drei Monate Zeit, sich zu äußern.
Vorteil für Serbien
Professor Tomuschat bezweifelt, dass die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs zu Lasten des Kosovo ausfallen wird: "Ich glaube nicht, dass das Rad der Geschichte zurückgedreht werden kann. Ich glaube auch, dass die Kosovo-Albaner das Recht auf eine Sezession gehabt haben, weil sie in der Tat unglaublich schlecht von Serbien behandelt worden sind." Serbien möchte, dass der Internationale Gerichtshof die Unabhängigkeitserklärung für völkerrechtswidrig erklärt und Kosovo wieder in den serbischen Staat integriert wird. Professor Tomuschat ist jedoch überzeugt, dass selbst ein vermeintlich negatives Gutachten für Serbien unter dem Strich positive Effekte haben kann: "Das wäre für die serbische Innenpolitik eine große Erleichterung. Dann könnte man keiner Regierung mehr den Vorwurf machen, dass sie nun auch die kosovarische Selbständigkeit anerkennt. In der serbischen Innenpolitik würde das zu großer Entspannung führen, weil die serbischen Führer sagen können: ’Ja, der Internationale Gerichtshof hat entschieden und wir müssen uns damit abfinden. Das ist bitter, aber das ist die völkerrechtliche Lage.’ Und dann könnte Serbien eine ganz neue Politik einschlagen."
Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs ist nicht verbindlich, verfügt aber über beträchtliches Gewicht. Möglich ist aber, dass aufgrund der unpräzisen Fragestellung, die auch Völkerrechtler Tomuschat kritisiert, keine klare Antwort gegeben werden kann. Das wiederum würde bedeuten, dass der Streit in die nächste Runde geht.
Autor: Bahri Cani / Mirjana Dikic
Redaktion: Birgit Görtz