Iran als Härtetest für Baerbocks feministische Außenpolitik
14. Oktober 2022Wenn es einen Zeitpunkt gäbe, an dem sich eine feministische Außenpolitik voll entfalten könnte, dann wäre das jetzt, heißt es aus der Opposition im deutschen Bundestag. Die Proteste im Iran seien der beste Anlass, den Begriff "mit Leben zu füllen", so kürzlich der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Hardt.
Eine unangebrachte Debatte, meint dagegen die liberale Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie gestand ein, die Bundesregierung habe möglicherweise etwas spät reagiert, aber man könne ausgerechnet der deutschen Außenministerin, die sich für Frauen weltweit einsetze, kaum den Vorwurf machen, dass sie zu wenig tue. "Wir sollten uns nicht aufhalten, sondern nach vorne schauen und klarmachen, dass wir das Regime im Iran in seine Grenzen verweisen", sagt Strack-Zimmermann.
Doch Exil-Iraner und -Iranerinnen sehen es kritisch, wie die deutsche Regierung auf den Tod der 22jährigen Jina Mahsa Amini reagiert hat. Hohe Erwartungen haben sie vor allem an Annalena Baerbock von den Grünen.
Enttäuschte Exil-Iraner
"Sie haben von feministischer Außenpolitik geredet, aber wo ist der Beweis dafür, dass sie es ernst meinen?", fragt Parisa Khayamdar, eine 35jährige Exil-Iranerin. Seit Tagen harrt sie mit einem Dutzend weiterer Protestierenden vor der Grünen-Parteizentrale in Berlin aus, also vor der Partei von Annalena Baerbock.
Sie halte die Außenministerin für eine "starke, hartnäckige Frau, eine Kämpferin", sagt die iranische Aktivistin. Sie sei beeindruckt und fasziniert gewesen, aber nun sei sie doch enttäuscht. Sie fordert, dass Baerbock die feministische Außenpolitik, über die sie "schöne Reden hält", jetzt auch umsetzt.
Deutschland stelle seine eigenen politischen Interessen ganz nach vorn, finden die Protestierenden, zum Beispiel eine Einigung im Atomabkommen mit Teheran. Doch man dürfe nicht mehr mit diesem Regime sprechen, sondern es isolieren. Auch der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani fordert die Atomverhandlungen nun mit politischen Fragen etwa zur Einhaltung der Menschenrechte zu verknüpfen. "Mit diesem Regime kann man nicht einfach nur abstrakt über Sicherheitsfragen verhandeln",
sagte Kermani in einem Radiointerview.
Sanktionen gegen Repression
Baerbocks Ministerium wehrt die Kritik ab. Man habe schon zweimal den iranischen Botschafter zu dringenden Gesprächen ins Auswärtige Amt einbestellt und "ihm unsere Haltung und unsere Forderung sehr deutlich mitgeteilt", so ein Außenamtssprecher.
Deutschland hatte im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zusammen mit 56 weiteren Staaten eine gemeinsame Erklärung unterschrieben, die das brutale Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte gegen die Demonstrierenden verurteilt. Außerdem forderte Berlin Teheran auf, das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu wahren, und unterstützt das Mandat des Menschenrechtsrats für den Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage im Iran.
Am kommenden Montag sollen außerdem EU-Sanktionen gegen 15 Einzelpersonen und Organisationen verhängt werden, die in Verbindung mit dem Tod der jungen Iranerin stehen. Dafür hat sich Baerbock seit Wochen eingesetzt. Die Verantwortlichen würden Einreisesperren bekommen und ihre Vermögen in der EU eingefroren, kündigte sie kürzlich in einem Zeitungsartikel an. Ein weiteres Sanktionspaket sei in Vorbereitung.
Frauen im Iran anhören und Abschiebungen stoppen
Das sei ein gutes Zeichen, findet die FDP-Politikerin und Menschenrechtsexpertin Gyde Jensen, doch es reiche nicht. Der Westen müsse auch dafür sorgen, dass der Zugang zum Internet und zu freien Informationen für die iranische Bevölkerung aufrechterhalten bleibe, so Jensen im Gespräch mit der DW. Im Bezug auf die feministische Außenpolitik und den Iran sagt die liberale Politikerin, dass Frauen im Iran mehr als Gesprächspartnerinnen des Westens betrachtet werden sollten. "Ganz praktisch heißt das, dass wir vor außenpolitischen Entscheidungen, die den Iran betreffen, vorher die iranischen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen anhören", so Jensen.
Heidi Reichinnek, die frauenpolitische Sprecherin der Linkspartei, fordert von der Bundesregierung mehr materielle Unterstützung für oppositionelle Gruppen im Iran und einen Abschiebestopp aus Deutschland.
Den wünschen sich auch Regierungsmitglieder wie die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD). Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser hält Abschiebungen in den Iran derzeit für nicht verantwortbar.
Doch Abschiebungen in Deutschland sind Sache der Bundesländer. Und diese wollen erst Ende November darüber entscheiden. Ob ein Stopp flächendeckend kommt, ist unklar. Einige Bundesländer haben schon einen Abschiebestopp für Iraner eingeführt, darunter Nordrhein-Westfallen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Andere, wie Sachsen und Sachsen-Anhalt, sehen das kritisch. Aktuell leben fast 12.000 ausreisepflichtige Iraner und Iranerinnen in Deutschland.
Ruf nach mehr Gehör
Einige von ihnen rufen für das kommende Wochenende zu einer Großdemonstration vor der Grünen-Zentrale in Berlin auf. Sie wollen, dass die Bundesregierung "den iranischen Botschafter feuert, die eigenen Botschafter zurückholt, die politischen Beziehungen verringert und Teheran noch mehr isoliert", sagt der 34jähriger Soheil, der in Deutschland studiert hat.
Er hofft zumindest, dass Annalena Baerbock vorbeikommt und ihnen zuhört. "Wir sind hier seit fünf Tagen und haben von ihr nichts gehört", beklagt er. Es seien zwar ein paar ihrer Mitarbeiter und der Grünen-Ko-Vorsitzende Omid Nouripour dagewesen, aber alle hätten nur wenig Zeit gehabt. Er glaube, da gehe noch mehr. Doch ausgerechnet am Wochenende, wenn sich die Exil-Iraner vor der Parteizentrale der Grünen versammeln, wird wahrscheinlich niemand vorbeikommen. Denn die Grünen treffen sich dann in Bonn zu ihrem Parteitag. Dort wollen sie dann auch über die Lage im Iran sprechen.